Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Im Sommer ist eine Woche Vesperkirche geplant
Trotz Abbruch in Wilhelmsdorf ziehen Organisatoren der „Vesperkirche unterwegs“ein positives Fazit
- Die von der monatelangen Organisation bis hin zur Durchführung ungewöhnlichste Vesperkirche, die es im Kreis Ravensburg je gab, ist seit Samstag vorbei. Bedingt durch die Corona-pandemie mussten mehrere ausgefeilte Pläne Stück für Stück verändert werden. Am Schluss wurde „Vesperkirche unterwegs“, die erstmals in Wilhelmsdorf Station machte, in dieser Gemeinde nach zehn erfolgreichen Tagen abrupt wegen eines massiven Corona-ausbruchs abgebrochen. Trotzdem sprachen zum Ende der Aktion Organisationsteam und Ehrenamtliche von vielen positiven Impulsen und Rückmeldungen. Außerdem soll es in Leutkirch eine Sommer-vesperkirche geben. Und, am 18. Juni ebenfalls in Leutkirch, eine große Abschlussfeier für alle Helfer der Jahre 2020 und 2021. Das verkündete Ralf Brennecke, Geschäftsführer des Diakonischen Werks Oberschwaben Allgäu Bodensee, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Abschlussandacht im Wilhelmsdorfer Betsaal wurde per Videobotschaft verbreitet, da eine große Beteiligung der Helfer vor Ort wegen der Corona-gefahr nicht möglich war. Die „Vesperkirche unterwegs“in Wilhelmsdorf und Ravensburg gehört mit all ihren coronabedingten Besonderheiten der Vergangenheit an. Zugleich gibt es aber die klare Ansage, dass vom 13. bis 18. Juni in Leutkirch eine Sommer-vesperkirche mit vielen persönlichen Begegnungen angeboten werden soll. Dies in der Hoffnung, dass Corona nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht. „Wir freuen uns auf jeden Fall auf Leutkirch“, warf Ralf Brennecke einen Blick in die Zukunft, bevor er ein Fazit zur Vesperkirche in den vergangenen zwei Wochen zog. „Alles war ganz anders und mit der Einbeziehung von Wilhelmsdorf auch ganz neu.“Nach vielen Gesprächen mit den ehrenamtlichen Helfern schälte sich die Erkenntnis heraus, dass diese total dankbar dafür waren, eine wichtige Aufgabe erfüllen zu können. „Sie hatten immer das Gefühl, dass sie nicht mehr allein in diesen Zeiten sind“, schilderte Brennecke seine Eindrücke.
Genauso wertvoll sei die Erfahrung von Mitarbeitern gewesen, dass sie anderen Menschen in deren Einsamkeit helfen können. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Angebot von telefonischen Kontakten, wie sie statt der Gespräche vor Ort angeboten wurden. Mehr als 200 Telefonate wurden geführt. In einem Fall erzählte eine Frau, sie könne den Vesperkirchen-mitarbeiter nicht richtig verstehen, da ihr Hörgerät defekt sei. Die Folge war, dass der Ehrenamtliche zu dieser Frau fuhr, ihr Hörgerät abholte und dieses zur Kontrolle zum Akustiker fuhr. Ein anderes Mal führte das Gespräch zu einer Einladung zu einer kleinen Kaffeerunde. Student Felix Davidsen, erstmals als Helfer dabei, fand es nicht nur spannend, fremde Menschen
anzurufen, sondern dabei auch die Erfahrung zu machen, wie sich solche Gespräche von anfänglicher Zurückhaltung hin zu einer gewissen Offenheit entwickeln können. Die angebotenen Brieffreundschaften hielten sich mit knapp über zehn Kontakten in Grenzen.
Die statistischen Zahlen zu den verteilten Vespertüten können nicht mit den vergangenen Aktionen verglichen werden. Die Menschen mussten zu den Ausgabestellen am Wilhelmsdorfer Gemeindehaus und zum ehemaligen Haus der Diakonie in Ravensburg kommen. Insgesamt gingen 2514 Tüten und Boxen durch die Fenster. In Ravensburg waren es knapp 2000, in Wilhelmsdorf 517. Auffallend war, dass gerade in Wilhelmsdorf der Aufruf, nicht nur für sich selbst sondern auch für Bekannte, Freunde oder Alleinstehende Vesperboxen mitzunehmen und zu verteilen, auf fruchtbaren Boden fiel. Dieses Engagement wurde jäh gebremst, als nach einem heftigen Corona-ausbruch die Vesperkirche in der Riedgemeinde vergangene Woche abgebrochen werden musste. Der Wilhelmsdorfer Pfarrer Ernest Ahlfeld dazu: „Wir hatten zehn sehr erfolgreiche Aktionstage. Als am Mittwoch die Verteilung der Boxen gestoppt wurde, kamen noch 15 Leute, die vom Abbruch überrascht wurden.“Ahlfeld hofft jetzt auf eine Neuauflage der Vesperkirche in Wilhelmsdorf 2022, dann aber unter normalen Umständen mit persönlichen Begegnungen und gemeinsamen Essensangeboten.
Eigentlich hätte der Abschlussgottesdienst der Vesperkirche am Samstag im Betsaal mit vielen Ehrenamtlichen gefeiert werden sollen. Doch davon wurde angesichts der Corona-lage abgesehen. Dafür versammelten sich rund zehn Mitglieder des Organisationsteams, um gemeinsam eine Andacht zu gestalten, die per Video-lifestream übertragen wurde. Pfarrer Ralf Brennecke fand in seiner Predigt bewegende Worte: „Eine gefüllte Tüte Leben, das habe ich erlebt. Menschen, die gestrahlt haben – beim Rauskommen, beim Anpacken und Arbeiten, beim Besuchen der Fenster, um ein Paket entgegen zu nehmen. Beim Überwinden der eigenen Zurückhaltung.“
Das Schlusswort nach zwei Wochen Vesperkirche blieb Diakon Gerd Gunßer vorbehalten. Er hob eine „Mutter der Vesperkirche“hervor: Seit 2008 ist Ilse Ruetz an jedem Tag als Ehrenamtliche bei der Organisation der Vesperkirche dabei. Gunßer verlas zudem einen Brief eines 85 und 80 Jahre alten Ehepaares, das sich überschwänglich für die Zustellung von Vespertüten an sechs Tagen bedankte. Beide leiden unter schweren Krankheiten. Sie können und wollen wegen der Virus-gefahr das Haus nicht verlassen. „Das Wichtigste war für uns das Bringen. Deshalb der Dank für die Hilfe am Küchenfenster.“Im Blick auf das geplante Treffen aller Helfer am 18. Juni in Leutkirch kam sein Kommentar aus vollstem Herzen: „Mi freit es, dass wir dann endlich wieder richtig feschte könnet!“
„Eine gefüllte Tüte Leben, das habe ich erlebt.“
Pfarrer Ralf Brennecke