Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Biontech-vakzin erweist sich als Pandemiestopper
Impfung schützt laut israelischer Studie nicht nur vor Krankheit, sondern auch vor deren Weitergabe
Nach Wochenenden ist bei der Interpretation der Zahlen zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter an allen Tagen Daten an das Robert-koch-institut übermittelt haben. In der Tabelle werden die zu Redaktionsschluss neuesten verfügbaren Zahlen angegeben. Dadurch kann es zu Abweichungen zu nationalen und lokalen Zahlen kommen. Die 7-Tage-inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab. Quellen: Robert-koch-institut von Sonntag, 3.10 Uhr; Landesgesundheitsamt Badenwürttemberg von Sonntag, 16 Uhr; Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit von Sonntag, 8 Uhr.
Finn Mayer-kuckuk
- Es gibt erste Antworten auf die große offene Frage im Zusammenhang mit der Impfkampagne: Schützen die Spritzen nur vor einer fühlbaren Erkrankung oder auch vor verdeckten Verläufen und damit einer möglichen Weitergabe? Daten aus Israel zeigen nun, dass zwei Dosen des Biontech-impfstoffs tatsächlich in neun von zehn Fällen eine Infektion unterbinden können. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Die Geimpften wären damit für das Virus nicht mehr erreichbar. Sie bilden in der der Gesellschaft Brandmauern, die das Virus stoppen.
Das israelische Gesundheitsministerium hat die Daten zwar bisher nur unter Vorbehalt öffentlich gemacht. Wenn die Aussage zur Ansteckung durch Geimpfte stimmt, handelt es sich jedoch um eine außerordentlich gute Nachricht. Sie sagt viel über den weiteren Verlauf der Pandemie. Wenn die Impfung weiter Infektionen zulässt, werden die Leute zwar nicht krank, doch die Pandemie läuft verdeckt weiter. Eine Impfung, die eine Infektion in den meisten Fällen von Anfang verhindert, wirkt dagegen als starker Dämpfer für das Pandemiegeschehen.
Ein kleines Rechenbeispiel: Sarscov-2 verursacht im Naturzustand pro Wirt rund drei Neuinfektionen. Daher reicht es, wenn es sich an zwei Dritteln der Bevölkerung die Zähne ausbeißt, damit die Fortpflanzungsrate R von selbst unter eins sinkt – ohne Lockdown, ohne Masken, bei offenen Geschäften, Schulen und Kinos. Um das zu erreichen, müssen bei den Eigenschaften des Biontechimpfstoffs etwas mehr als 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sein.
Die israelischen Forscher hatten eine Beobachtungsgruppe geimpfter Personen nicht nur auf merkliche Symptome überprüft, sondern durch regelmäßige Antikörpertests auch auf die Krankheit selbst. Israel hat sich in den vergangenen Monaten gut für so eine Studie geeignet: Es gab viele Geimpfte, aber wegen hoher Infektionszahlen auch noch reichlich Gelegenheit, sich anzustecken. Die Hälfte der Bewohner Israels haben inzwischen ihre Impfung erhalten. Die Daten aus Israel zeigen insgesamt noch einmal die hohe Wirksamkeit von mrna-impfstoffen. Das Biontech-vakzin verhindert nach Beobachtung der Forscher dort 99 Prozent der schweren Erkrankungen. Die Wirksamkeitsrate erreicht zudem schon nach der ersten von zwei Dosen 85 Prozent, wie aus einer Studie an geimpften Krankenhausmitarbeitern hervorgeht, die in der Fachzeitschrift „The Lancet“erschienen ist. Damit könnte das Biontech-produkt schon nach der ersten Spritze bereits so wirksam sein wie manch anderes Präparat erst nach zwei Gaben.
Der Chef des zuständigen Paulehrlich-instituts, Klaus Cichutek, lehnt eine Änderung der Abstände zwischen den beiden Dosen jedoch ab. Der Impfstoff sei für das formelle Zulassungsverfahren mit zwei Dosen getestet und zugelassen worden. Es sei unklug, voreilig und ohne weitere Forschung von dem ermittelten Schema abzuweichen. Auch britische Ärzte sprachen sich in „The Lancet“gegen Gedankenspiele rund um eine verzögerte zweite Dosis aus.
Etwas überraschend kam derweil die Erkenntnis von Biontech, dass der Wirkstoff sich auch bei minus 15 Grad recht lange hält – er braucht also gar nicht unbedingt die ultratiefen Temperaturen, die bisher genannt waren. Diese waren aber der Grund dafür, ausgefeilte Kühltransportketten aufzubauen. Die vermeintlichen Temperaturerfordernisse waren auch ein Mitgrund dafür, die Impfzentren aufzubauen. In Wirklichkeit scheint ein handelsüblicher Tiefkühler für die Lagerung über zwei Wochen
völlig auszureichen. „Die eingereichten Daten könnten den Impfzentren eine noch größere Flexibilität bieten“, erklärte Biontech-chef Ugur Sahin am Freitag.
Angesichts der paradoxen Situation steigender Fallzahlen und bevorstehender Schulöffnungen will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun Lehrkräfte und Erzieherinnen in der Impfreihenfolge vorziehen. Das erkenne auch deren entscheidende Rolle in der Gesellschaft und ihre relativ hohe Gefährdung an, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) am Wochenende. Bisher stehen die Lehrenden und Erziehenden in Gruppe 3. Spahn will sie nun per Änderung der Impfverordnung in Gruppe 2 vorziehen, die demnächst schon an der Reihe sein wird. Auch der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) hat sich am Wochenende dafür ausgesprochen, Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher bei der Impfung vorziehen. Sie würden in die zweite Priorisierungsstufe eingruppiert, teilte das Gesundheitsministerium in Stuttgart mit. Eine entsprechende Grundsatzentscheidung soll am heutigen Montag
auch in der Gesundheitsministerkonferenz fallen.
Die Fallzahlen haben am Wochenende eine beunruhigende Trendwende hingelegt. Nachdem sie am Freitag noch seitwärts liefen, sind sie am Wochenende wieder gestiegen. Die Aussagekraft der Sonntagsdaten ist zwar begrenzt, die Abwärtsbewegung ist aber eindeutig gebrochen. „Die dritte Welle beginnt jetzt“, twitterte der Spd-gesundheitsexperte Karl Lauterbach. „Die Frage ist nur, wie schnell und wie stark.“Laut Robert-koch-institut wurden zum Sonntag 1500 mehr Neuinfektionen durch die Gesundheitsämter gemeldet als eine Woche vorher. Die Daten vom Wochenende verheißen damit nichts Gutes für die angedachten Öffnungen von Läden und Kultureinrichtungen im kommenden Monat. Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, den nächsten Öffnungsschritt erst bei einem stabilen Wert von höchstens 35 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner zu tun. Nachdem ein Absinken auf diesen Wert zeitweilig in Reichweite lag, erreichte die aussagekräftige Sieben-tage-inzidenz am Sonntag wieder 60,2. Am Samstag lag sie noch unter 60.