Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Schwäche der EU
Wer auf das aktuelle Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union blickt, denkt nahezu wehmütig an die Zeiten zurück, in denen deutsche Regierungschefs zusammen mit russischen Präsidenten in der Sauna schwitzten. Helmut Kohl und Boris Jelzin taten dies gelegentlich. „Er ist ein Prachtkerl, natürlich, offen und direkt“, schrieb der frühere russische Präsident über den Kanzler aus der Pfalz. Seither ist das Verhältnis, man könnte sagen, abgekühlt. Moskau lässt keine Gelegenheit aus, der Europäischen Union ihre Schwäche vorzuführen. Brüssel wehrt sich wahlweise mit harschen Worten oder – wie im Fall Nawalnys und der völkerrechtswidrigen Krim-annexion – mit Sanktionen. Erreicht wurde in beiden Fällen wenig.
Dass die Drohungen aus dem Westen in Russland nicht ernst genommen werden, hat Gründe. Einer davon liegt auf oder unter dem Meeresboden in der Ostsee. Mit dem Festhalten an dem Pipeline-projekt Nord Stream 2 signalisiert die Bundesregierung ganz klar, wie wenig europäische Interessen zählen, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Auch dass sich die EU von Politikern aus den eigenen Reihen wie dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán auf der Nase herumtrampeln lässt, schwächt ihre Position. Orbán macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für Putin – und kommt damit durch. Dabei haben die vergangenen Jahre gezeigt: Russland nutzt jede Gelegenheit, westlichen Demokratien zu schaden und vermeintliche Gegner loszuwerden, sei es mit Cyberangriffen auf Regierungscomputer oder, etwas altmodischer, mit Giftmord.
Wenn die EU diesem Gebahren etwas entgegensetzen will, muss sie Stärke demonstrieren – gegenüber den Kreml-kuschlern in den eigenen Reihen und den Strippenziehern in Moskau. Sanktionen sind zwar kurzfristig eine Möglichkeit zu zeigen, dass Provokationen und Rechtsverstöße nicht unbeantwortet bleiben. Doch solange die EU keine klare Linie in der Außenpolitik fährt, wird sie von listigen Staatschefs wie Putin als Spielball betrachtet. Daran wird sich absehbar nichts ändern.