Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Sanitäter brechen nach Portugal auf
Dornstadter Soldaten übernehmen Intensivstation in Lissabon – Solidarität in der Pandemie
- Etwa 60 Soldatinnen und Soldaten des Sanitätsregiments 3 aus Dornstadt (Alb-donaukreis) und von weiteren Bundeswehr-standorten werden in den kommenden sechs Wochen in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon eine Intensivstation für Covid-19-patienten betreiben. Am Dienstag startet in Stuttgart ein Luftwaffen-airbus mit dem ersten Kontingent, das drei Wochen vor Ort bleiben wird. Die Soldaten lösen ein Hilfsteam des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst aus dem ostfriesischen Leer ab, das seit Anfang Februar in Lissabon tätig ist.
Die Bundeswehr engagiert sich nach einem Hilferuf der portugiesischen Regierung in dem südwesteuropäischen Land, das besonders stark von der als höher ansteckend geltenden Virusvariante betroffen ist, die zunächst in Großbritannien auffiel. Zwar sind die täglichen Neuinfektionen in Portugal seit etwa zwei Wochen deutlich zurückgegangen, da der von der Regierung Mitte Januar verordnete Lockdown Wirkung zeigt. Aber immer noch stecken sich Tag für Tag 1500 Menschen mit dem Virus an, die Sieben-tage-inzidenz liegt bei 115,4 Menschen je 100 000 Einwohner. Vor einem Monat lag er bei fast 900. Für den starken Anstieg werden unter anderem die Lockerungen der Einschränkungen zu Weihnachten sowie die von Großbritannien ausgehende, besonders ansteckende Virusvariante verantwortlich gemacht.
In Dornstadt hat der Kommandeur des Sanitätsregiments 3, Oberstarzt Dr. Ingo Weisel, an diesem Montagmorgen zur Pressekonferenz eingeladen. Weisel wird die Mission bis Anfang April leiten: Ein Engagement, das so ganz anders verlaufen dürfte als die bisherigen Einsätze, auf die der 48-jährige Offizier zurückblickt. Allein dreimal war Weisel, er ist ausgebildeter Allgemein- und Notfallmediziner, in Afghanistan unterwegs. Er musste verletzte Soldaten unter Gefechtsbedingungen und im Taliban-kugelhagel retten. Den Portugal-einsatz („Den portugiesischen Frühling können wir jetzt nicht genießen, das fällt aus.“) hält Weisel aus zwei Gründen für wichtig: „Wir retten Leben, wofür jeder Aufwand gerechtfertigt ist, und wir sind im Sinne des europäischen Gedankens unterwegs.“Gerade in Zeiten des Brexits und der Kritik an der Europäischen Union „ist der Zusammenhalt Europas wichtig“, betont Weisel. Schon das gemeinsame Vorgehen
bei der Beschaffung der Impfstoffe sei richtig gewesen: „Allein hätte das kein Land geschafft“, verteidigt Weisel die Eu-kommission gegen Kritik, „Europa ist jetzt stärker als vorher.“Und nun könne die Bundeswehr auch vor Ort den europäischen Gedanken stärken.
Zusammen mit Weisel wird Oberfeldarzt Dr. Andrea Vanegas Ramirez vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg nach Lissabon fliegen: „Eine Stadt, die ich gut kenne, weil Verwandte dort leben.“Doch die gebürtige Kolumbianerin, seit 2013 als Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Tropenmedizinerin bei der Bundeswehr tätig, wird auf Besuche ihrer Familie verzichten müssen: Die Soldaten sind in einem zivilen Hotel untergebracht, dürfen ihre Unterkunft nur zum Sport verlassen. Neben den medizinischen Fähigkeiten und ihren Sprachkenntnissen („Portugiesisch und Spanisch sind sich ähnlich.“) bringt Vanegas-ramirez ihre Ausbildung als Hygienikerin ein: „Ich muss fragen und beantworten: Wer braucht welches Material? Worauf müssen wir besonders achten?“
Die Bedingungen, unter denen die Soldaten arbeiten, sind gut: Die sechs Ärztinnen und Ärzte sowie das Sanitätspersonal, 15 Frauen und Männer aus verschiedenen Standorten, sowie fünf Soldaten für Organisation und Versorgung werden im privaten Hospital da Luz in Lissabon, einem Haus der Maximalversorgung, tätig sein. Dort wurden Ende Januar bereits Covid-19-patienten des zum Teil stark überforderten staatlichen Gesundheitssystems SNS aufgenommen. Anfang des Jahres wurde in der angesehenen Klinik – einer der modernsten und größten des Landes – eine neue Intensivstation mit acht Betten errichtet, die bisher die komplette Infrastruktur hatte, aber kein Personal.
„Wir können in dem Krankenhaus weitgehend autark arbeiten“, berichtet Oberstarzt Weisel, „derzeit sind vier der acht zur Verfügung stehenden Betten belegt.“Jeweils fünf Pflegekräfte und ein Mediziner bestreiten die Zwölf-stunden-schichten: „Dieser Schlüssel ist ähnlich wie in Deutschland, nur die Qualifikationen der Mitarbeitenden unterscheiden sich.“
Das Virus bereitet zwar weltweit große Probleme – in Portugal deckt es aber auch grundlegende Defizite des kleinen Landes schonungslos auf. Der Präsident der Gesellschaft für Innere Medizin (SPMI), João Araújo Correia, nennt Beispiele dafür: In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Krankenhausbetten „konstant reduziert“worden. „Wir haben pro 100 000 Einwohner die Hälfte der Betten, die Deutschland hat“, klagt er. „Schon in einem normalen Winter müssen Grippekranke in den Notaufnahmen oft tagelang auf ein Bett warten.“
Es mangelt aber längst nicht nur an Betten. Wegen der schlechten Bezahlung im öffentlichen Dienst wechseln viele Ärzte und Pfleger in die Privatwirtschaft oder gehen gleich ins Ausland. Schon kurz hinter der Grenze, in der spanischen Region Galicien zum Beispiel, sind die Gehälter doppelt so hoch. Die Gewerkschafterin Póvoas klagte, die Zahl der im staatlichen Gesundheitsdienst SNS tätigen Ärzte sei allein zwischen Januar und Oktober vergangenen Jahres um „fast tausend“zurückgegangen.