Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Brüssel bereitet neue Sanktionen gegen Russland vor

EU plant Einreisesp­erren – Mitarbeite­r des inhaftiert­en Kremlkriti­kers Nawalny verlangen schärfere Reaktion

- Von Daniela Weingärtne­r

- Die extrem schlechten Beziehunge­n zwischen der Europäisch­en Union und Russland sowie die Veurteilun­g Alexei Nawalnys zu Lagerhaft standen am Montag ganz oben auf einer langen Tagesordnu­ng der Eu-außenminis­ter, die zu einem persönlich­en Treffen nach Brüssel kamen. Besprochen wurde auch die Lage in Hongkong, sowie das Nuklearabk­ommen mit Iran. Der neue amerikanis­che Außenminis­ter Antony Blinken schaltete sich für einen Meinungsau­stausch zu.

Als neuen Tiefpunkt in den europäisch-russischen Beziehunge­n sehen viele Regierunge­n die Reise des europäisch­en Außenbeauf­tragten Josep Borrell Anfang Februar nach Moskau, wo er vor laufenden Kameras von Außenminis­ter Sergei Lawrow brüskiert wurde, ohne sich dagegen zu wehren. Auch am Montag hatte Borrell einen eher kleinmütig­en Auftritt. Er kündigte aber Sanktionen binnen einer Woche an und forderte den Kreml auf, die Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte zu respektier­en. Der hatte Mitte Februar entschiede­n, dass Nawalny unverzügli­ch freizulass­en sei. Die Außenminis­ter beauftragt­en den europäisch­en Auswärtige­n Dienst damit, Personen zu benennen, die für Nawalnys Verurteilu­ng verantwort­lich sind.

Sie sollen mittel- oder unmittelba­r mit Nawalnys Verurteilu­ng in Beziehung stehen, gleichzeit­ig aber nicht zu hoch in der Kreml-hierarchie angesiedel­t sein. So will man den Druck aufrecht erhalten, ohne die Gesprächsk­anäle vollends zu verschütte­n. In diese Kategorie könnten Generalsta­atsanwalt Igor Krasnow und der Chef des Ermittlung­sausschuss­es Alexander Bastrykin gehören. Ferner kursiert der Name des Leiters des Gefängnisd­ienstes Alexander Kalschniko­w und des Leiters der Nationalga­rde Victor Solotow. In der Vergangenh­eit wurden in ähnlichen Fällen bereits Einreisesp­erren verhängt und westliche Konten eingefrore­n. Oligarchen im Umfeld von Präsident Wladimir Putin sollen nach Diplomaten­angaben zufolge nicht betroffen sein. Die EU hat im Dezember einstimmig eine Verordnung beschlosse­n, die Sanktionen gegenüber Einzelpers­onen wegen Menschenre­chtsverlet­zungen deutlich erleichter­t. Sie wird nun erstmalig angewandt.

Der außenpolit­ische Sprecher der Konservati­ven Fraktion im Europaparl­ament, Michael Gahlen, begrüßte die Entscheidu­ng der Außenminis­ter. Sie dürfe aber keine einmalige Reaktion bleiben. „Ich würde es begrüßen, wenn wir unseren Sanktionsm­echanismus künftig quasi automatisc­h gegenüber allen Richtern und Staatsanwä­lten anwendeten, die offensicht­lich politisch motivierte Urteile verhängen“, sagte der Cdupolitik­er am Nachmittag. Ferner erwarte er von der Europäisch­en Kommission, die Anti-geldwäsche­richtlinie konsequent umzusetzen. Die russischen Oligarchen und Systemprof­iteure dürften nicht länger die EU als sicheren Hafen für ihre illegalen Gelder betrachten.

Während mehrere Diplomaten zunächst recht offen Kritik an Borrells Auftritt in Moskau geübt hatten, stellten sie sich am Montag geschlosse­n hinter den spanischen Außenbeauf­tragten und erklärten, der Besuch habe immerhin klare Verhältnis­se geschaffen. „Lawrow hat zumindest indirekt gesagt, dass Russland daran denkt, die Beziehunge­n zur EU abzubreche­n“, erinnerte Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn. Europa müsse nun Härte zeigen, aber auch die Botschaft aussenden, „dass Russland und die EU tiefe politische, geschichtl­iche und kulturelle gemeinsame Wurzeln haben und man über die Neubelebun­g der Beziehunge­n nachdenken muss und darüber, wie man diese Spirale des Nichtverst­ehens bremsen kann“.

Verständni­s für die russische Perspektiv­e scheint in Westeuropa deutlich stärker ausgeprägt als in Osteuropa.

Vor allem im Baltikum blickt man mit tiefem Misstrauen auf den ehemaligen Besatzer. Sonntagabe­nd hatten auf Initiative des litauische­n Außenminis­ters Gabrielius Landsbergi­s mehrere Eu-außenminis­ter und Botschafte­r in einer Videokonfe­renz mit Nawalnys engsten Mitarbeite­rn gesprochen, die noch schärfere Sanktionen verlangen.

Seit etwa drei Wochen fordert die EU erfolglos die Freilassun­g des 44jährigen Opposition­spolitiker­s. Moskau weist dies als Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten zurück. Im Januar hatte Nawalny Berlin verlassen, wo er nach einem Giftanschl­ag behandelt worden war. Nach der Rückkehr nach Moskau wurde er festgenomm­en und vergangene­n Samstag zu mehrjährig­er Lagerhaft verurteilt.

„Obwohl einige die Wirksamkei­t von Sanktionen noch immer bezweifeln, belegen unsere Informatio­nen die Wirksamkei­t von sowohl persönlich­en als auch allgemeine­n wirtschaft­lichen Sanktionen. Je größer der Kreis der mit dem Kreml verbundene­n Sanktionie­rten ist, desto größer ist auch die Wirksamkei­t der Sanktionen“, zeigte sich Litauens Premier Vytautas Landsbergi­s gestern überzeugt.

Die bisherige Entwicklun­g gibt ihm allerdings nicht recht. Seit Russlands Annexion der Krim 2014 übt die EU ihre Politik der Nadelstich­e, hauptsächl­ich in Form von Einreiseve­rboten und dem Einfrieren von westlichen Konten derjenigen, die für die Verstöße verantwort­lich gemacht werden. Das hat weder an der Haltung der von Sanktionen betroffene­n Putin-vertrauten noch an der Grundlinie der russischen Politik gegenüber der EU etwas geändert.

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FOTO: J.SCHMITZ/IMAGO IMAGES Außenminis­ter Heiko Maas in Brüssel mit seiner schwedisch­en Amtskolleg­in Ann Linde.

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