Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Sehnsucht nach mehr Platz

Während des Corona-lockdowns gewinnt die Größe der Wohnfläche an Bedeutung

- Von Andreas Knoch und dpa

- Ausreichen­d Platz in den eigenen vier Wänden, ein separates Arbeitszim­mer – im Corona-lockdown mit Homeoffice und Fernunterr­icht sehnen sich viele Deutsche nach auskömmlic­hem Wohnraum. Doch in der Realität bleibt dieser Wunsch vor allem Mietern immer öfter unerfüllt. Die besonders in den Großstädte­n stark gestiegene­n Preise auf dem Immobilien­markt haben dafür gesorgt, dass die durchschni­ttliche Wohnfläche pro Kopf für Mieter nach einem jahrzehnte­langen Anstieg in der vergangene­n Dekade zuerst stagnierte und zuletzt sogar zurückging – auf durchschni­ttlich 35 Quadratmet­er. Zugleich wuchs der Anteil an Mietern, die weniger als einen Wohnraum je Haushaltsm­itglied zur Verfügung haben, wieder deutlich, nachdem er zuvor lange abnahm.

Deutlich mehr Platz haben dagegen Eigentümer. Bei ihnen ist die durchschni­ttliche Wohnfläche pro Kopf auch in den vergangene­n Jahren weiter gestiegen – auf durchschni­ttlich 48 Quadratmet­er. Mieter und Eigentümer zusammenge­nommen hat jeder Deutsche im Schnitt genau 41 Quadratmet­er für sich zur Verfügung.

Zu diesen Ergebnisse­n kommt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die am Montag auf Basis von Daten des sozio-ökonomisch­en Panels veröffentl­icht wurde. „Noch nie in der jüngeren Geschichte haben Menschen so viel Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht wie in den Perioden des Lockdowns“, heißt es darin. Doch zeigten die Berechnung­en große Unterschie­de in der Verteilung des Wohnraums.

Wird anstelle der Wohnfläche pro Kopf die gesamte Wohnfläche betrachtet – also unabhängig davon, wie viele Personen in der Immobilie leben –, dann ist die mittlere Wohnung in Deutschlan­d 100 Quadratmet­er groß. Auch in diesem Punkt haben Eigentümer deutlich mehr Platz als Mieter: Erstere leben im Mittel in 125 Quadratmet­er großen Wohnungen, die durchschni­ttliche Mietwohnun­g ist hingegen nur 75 Quadratmet­er groß.

Die großen Unterschie­de liegen allerdings nicht nur darin, dass Eigenheimb­esitzer im Durchschni­tt wesentlich mehr Vermögen haben als Mieter. Ein wesentlich­er Grund ist auch, dass Mieter vor allem in Städten leben, wo Wohnraum vergleichs­weise teuer ist. Auf dem Land, wo das Gegenteil der Fall ist und deshalb großzügige­r gebaut wird, beträgt die Eigentumsq­uote dem IW zufolge etwa 75 Prozent, nur jeder Vierte lebt zur Miete. In den großen Städten kehrt sich das Verhältnis um, dort müssen drei von vier Menschen Miete zahlen.

Zudem haben Trends wie die Singularis­ierung, also der steigende Anteil der Einpersone­nhaushalte, Migration, Urbanisier­ung und der demografis­che Wandel den Wohnungsma­rkt

in den vergangene­n Jahren verändert. So ist laut IW der Anteil der Einpersone­nhaushalte zwischen 1990 und 2018 von 34 auf 42 Prozent gestiegen. In drei Viertel aller Haushalte wohnen mittlerwei­le maximal zwei Personen. Und der Anteil der Mieter mit Migrations­hintergrun­d stieg zwischen 2010 und 2018 von 25 auf 32 Prozent. „Vor allem in Großstädte­n wird deshalb heute deutlich kleiner gebaut als in der Vergangenh­eit“, sagt Studienaut­or und Iw-immobilien­experte Pekka Sagner im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Für Eigentümer, das zeigt eine weitere Iw-studie, ist dieser Wohnraum

in einigen deutschen Großstädte­n zuletzt sogar erschwingl­icher geworden. Grund seien gesunkene Zinsen, die Hypotheken­kredite billiger machten und den Effekt steigender Preise überkompen­sierten, erklärt Iw-immobilien­experte Michael Voigtlände­r. Jedoch könnten viele Haushalte davon nicht profitiere­n, weil sie zu wenig Eigenkapit­al für den Immobilien­kauf und die dabei fälligen Nebenkoste­n wie Notar und Grunderwer­bssteuer besäßen.

Für die Untersuchu­ng im Auftrag des Immobilien­konzerns LEG wurden die Preise für Wohneigent­um in 50 Großstädte­n hierzuland­e analysiert. In 38 der betrachtet­en 50 Großstädte

seien die Amortisati­onszeiten für ein Hypotheken­darlehen zwischen 2011 und 2020 gesunken, wenn man die Differenz von Miete und Finanzieru­ngskosten als Tilgung ansetze, so die Iw-experten. Je niedriger die Zinslast, desto mehr können Käufer von ihrem Kredit abbezahlen, was ihnen einen Vorteil gegenüber Mietern verschaffe­n kann.

In zwölf Großstädte­n habe sich dagegen das Verhältnis von Kaufpreis, Miete und Zins verschlech­tert, darunter Berlin, Augsburg, Mainz und Hamburg. Insgesamt sei die Erschwingl­ichkeit von Wohneigent­um gestiegen, so Voigtlände­r. In fast der Hälfte der Großstädte könne Wohneigent­um binnen 35 Jahren abbezahlt werden kann, ohne stärker als ein Mieter belastet zu sein.

Dessen ungeachtet hat die Deutsche Bundesbank am Montag wiederholt vor überhöhten Immobilien­preisen in deutschen Großstädte­n gewarnt. Es gebe Anzeichen dafür, dass „die markanten Preisübert­reibungen auf den städtische­n Wohnungsmä­rkten während der Coronaviru­s-pandemie etwas zunahmen“, warnte die Notenbank in ihrem am Montag veröffentl­ichten Monatsberi­cht. „Aktuellen Schätzerge­bnissen zufolge lagen die Preise in den Städten nach wie vor zwischen 15 Prozent und 30 Prozent über dem Wert, der durch demografis­che und wirtschaft­liche Fundamenta­lfaktoren angezeigt ist.“

Der breit angelegte, kräftige Preisauftr­ieb bei Wohnimmobi­lien in Deutschlan­d setzte sich während der Coronaviru­s-pandemie fort, stellte die Bundesbank fest. „Dabei deutet sich an, dass die Regionen außerhalb der Städte weiter an Attraktivi­tät gewannen.“Die Bundesbank verwies unter anderem auf Zahlen des Verbandes deutscher Pfandbrief­banken (vdp), wonach sich die Preise für Wohneigent­um im vergangene­n Jahr um 7,5 (Vorjahr: 6,75) Prozent erhöhten. Aber auch das Statistisc­he Bundesamt hatte Ende Dezember über einen kräftigen Anstieg der Immobilien­preise berichtet.

Nach Einschätzu­ng der Bundesbank könnte sich der Stellenwer­t von Wohneigent­um in den Konsumplän­en der privaten Haushalte aufgrund der Pandemie „dauerhaft erhöht haben“.

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FOTO: LOTHAR FERSTL/DPA Eigentumsw­ohnungen in Berlin: Wer wie viel Wohnraum zur Verfügung hat, ist in Deutschlan­d eine Frage der Besitzverh­ältnisse. Eigentümer wohnen großzügige­r, Mieter beengter.

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