Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Sehnsucht nach mehr Platz
Während des Corona-lockdowns gewinnt die Größe der Wohnfläche an Bedeutung
- Ausreichend Platz in den eigenen vier Wänden, ein separates Arbeitszimmer – im Corona-lockdown mit Homeoffice und Fernunterricht sehnen sich viele Deutsche nach auskömmlichem Wohnraum. Doch in der Realität bleibt dieser Wunsch vor allem Mietern immer öfter unerfüllt. Die besonders in den Großstädten stark gestiegenen Preise auf dem Immobilienmarkt haben dafür gesorgt, dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf für Mieter nach einem jahrzehntelangen Anstieg in der vergangenen Dekade zuerst stagnierte und zuletzt sogar zurückging – auf durchschnittlich 35 Quadratmeter. Zugleich wuchs der Anteil an Mietern, die weniger als einen Wohnraum je Haushaltsmitglied zur Verfügung haben, wieder deutlich, nachdem er zuvor lange abnahm.
Deutlich mehr Platz haben dagegen Eigentümer. Bei ihnen ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf auch in den vergangenen Jahren weiter gestiegen – auf durchschnittlich 48 Quadratmeter. Mieter und Eigentümer zusammengenommen hat jeder Deutsche im Schnitt genau 41 Quadratmeter für sich zur Verfügung.
Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die am Montag auf Basis von Daten des sozio-ökonomischen Panels veröffentlicht wurde. „Noch nie in der jüngeren Geschichte haben Menschen so viel Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht wie in den Perioden des Lockdowns“, heißt es darin. Doch zeigten die Berechnungen große Unterschiede in der Verteilung des Wohnraums.
Wird anstelle der Wohnfläche pro Kopf die gesamte Wohnfläche betrachtet – also unabhängig davon, wie viele Personen in der Immobilie leben –, dann ist die mittlere Wohnung in Deutschland 100 Quadratmeter groß. Auch in diesem Punkt haben Eigentümer deutlich mehr Platz als Mieter: Erstere leben im Mittel in 125 Quadratmeter großen Wohnungen, die durchschnittliche Mietwohnung ist hingegen nur 75 Quadratmeter groß.
Die großen Unterschiede liegen allerdings nicht nur darin, dass Eigenheimbesitzer im Durchschnitt wesentlich mehr Vermögen haben als Mieter. Ein wesentlicher Grund ist auch, dass Mieter vor allem in Städten leben, wo Wohnraum vergleichsweise teuer ist. Auf dem Land, wo das Gegenteil der Fall ist und deshalb großzügiger gebaut wird, beträgt die Eigentumsquote dem IW zufolge etwa 75 Prozent, nur jeder Vierte lebt zur Miete. In den großen Städten kehrt sich das Verhältnis um, dort müssen drei von vier Menschen Miete zahlen.
Zudem haben Trends wie die Singularisierung, also der steigende Anteil der Einpersonenhaushalte, Migration, Urbanisierung und der demografische Wandel den Wohnungsmarkt
in den vergangenen Jahren verändert. So ist laut IW der Anteil der Einpersonenhaushalte zwischen 1990 und 2018 von 34 auf 42 Prozent gestiegen. In drei Viertel aller Haushalte wohnen mittlerweile maximal zwei Personen. Und der Anteil der Mieter mit Migrationshintergrund stieg zwischen 2010 und 2018 von 25 auf 32 Prozent. „Vor allem in Großstädten wird deshalb heute deutlich kleiner gebaut als in der Vergangenheit“, sagt Studienautor und Iw-immobilienexperte Pekka Sagner im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Für Eigentümer, das zeigt eine weitere Iw-studie, ist dieser Wohnraum
in einigen deutschen Großstädten zuletzt sogar erschwinglicher geworden. Grund seien gesunkene Zinsen, die Hypothekenkredite billiger machten und den Effekt steigender Preise überkompensierten, erklärt Iw-immobilienexperte Michael Voigtländer. Jedoch könnten viele Haushalte davon nicht profitieren, weil sie zu wenig Eigenkapital für den Immobilienkauf und die dabei fälligen Nebenkosten wie Notar und Grunderwerbssteuer besäßen.
Für die Untersuchung im Auftrag des Immobilienkonzerns LEG wurden die Preise für Wohneigentum in 50 Großstädten hierzulande analysiert. In 38 der betrachteten 50 Großstädte
seien die Amortisationszeiten für ein Hypothekendarlehen zwischen 2011 und 2020 gesunken, wenn man die Differenz von Miete und Finanzierungskosten als Tilgung ansetze, so die Iw-experten. Je niedriger die Zinslast, desto mehr können Käufer von ihrem Kredit abbezahlen, was ihnen einen Vorteil gegenüber Mietern verschaffen kann.
In zwölf Großstädten habe sich dagegen das Verhältnis von Kaufpreis, Miete und Zins verschlechtert, darunter Berlin, Augsburg, Mainz und Hamburg. Insgesamt sei die Erschwinglichkeit von Wohneigentum gestiegen, so Voigtländer. In fast der Hälfte der Großstädte könne Wohneigentum binnen 35 Jahren abbezahlt werden kann, ohne stärker als ein Mieter belastet zu sein.
Dessen ungeachtet hat die Deutsche Bundesbank am Montag wiederholt vor überhöhten Immobilienpreisen in deutschen Großstädten gewarnt. Es gebe Anzeichen dafür, dass „die markanten Preisübertreibungen auf den städtischen Wohnungsmärkten während der Coronavirus-pandemie etwas zunahmen“, warnte die Notenbank in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht. „Aktuellen Schätzergebnissen zufolge lagen die Preise in den Städten nach wie vor zwischen 15 Prozent und 30 Prozent über dem Wert, der durch demografische und wirtschaftliche Fundamentalfaktoren angezeigt ist.“
Der breit angelegte, kräftige Preisauftrieb bei Wohnimmobilien in Deutschland setzte sich während der Coronavirus-pandemie fort, stellte die Bundesbank fest. „Dabei deutet sich an, dass die Regionen außerhalb der Städte weiter an Attraktivität gewannen.“Die Bundesbank verwies unter anderem auf Zahlen des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken (vdp), wonach sich die Preise für Wohneigentum im vergangenen Jahr um 7,5 (Vorjahr: 6,75) Prozent erhöhten. Aber auch das Statistische Bundesamt hatte Ende Dezember über einen kräftigen Anstieg der Immobilienpreise berichtet.
Nach Einschätzung der Bundesbank könnte sich der Stellenwert von Wohneigentum in den Konsumplänen der privaten Haushalte aufgrund der Pandemie „dauerhaft erhöht haben“.