Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Lockern, impfen, testen
Was Baden-württembergs Regierung plant und worüber sie streitet
- Impfen und Testen: Zwei der wohl wichtigsten Bausteine im Kampf gegen die Corona-pandemie. Vor allem um die Teststrategie im Land streiten die grünschwarzen Regierungspartner in Stuttgart. Antworten auf die drängendsten Fragen im Überblick:
Welche Lockerungen stehen an?
Kitas und Grundschulen sind seit Montag geöffnet, kommenden Montag sollen Frisörläden, Blumengeschäfte und Gartencenter folgen. Wenn sich die Regierungschefs aus Bund und Ländern kommende Woche Mittwoch erneut beraten, sollen weitere Schritte besprochen werden, sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. „Vielleicht machen wir einen kleinen weiteren Schritt, vielleicht sowas wie Click&meet – also Einkaufen nach Terminvergabe.“Bislang können Geschäfte ihre Produkte und Waren lediglich online anbieten und zum Abholen verkaufen – das sogenannte Click&collect.
Wie sieht es im Privaten aus?
Eigentlich wolle er nichts ändern, sagte Kretschmann. Aber die aktuelle Bestimmung, wonach sich ein Haushalt nur mit einer Person eines weiteren treffen darf, führe zu vielen „Plausibilitätsdebatten“. Als Beispiel sagte er: „Wenn etwa unser Sohn uns besucht, darf er seine Freundin nicht mitbringen.“Hinterher seien die beiden aber natürlich wieder zusammen. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir wieder auf zwei Haushalte kommen, weil die ja eh oft zusammen sind“, so Kretschmann.
Welchen Grund nennt Kretschmann für sein Zögern?
Er argumentiert mit den Infektionszahlen. Von knapp 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche im Dezember ist diese Sieben-tage-inzidenz stetig auf etwa 40 gefallen. Dieser Landeswert stagniert nun seit Tagen – als Ziel gilt bundesweit eine Inzidenz unter 35. Kretschmann sieht darin eine „Seitenbewegung oder vielleicht sogar einen Anstieg“. Für den Grund hält er die Ausbreitung der Virusmutationen, die als ansteckender gelten. Laut Experten könnten diese Mitte März für die Hälfte der Ansteckungen im Land verantwortlich sein.
Geht das Impfen voran?
Seit Dienstag können alle Menschen Impftermine ausmachen, die in der Stufe 2 der Prioritätenliste einsortiert sind, erklärte Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). Zu ihnen gehören unter anderem Mitarbeiter im Gesundheitssektor sowie
Menschen mit geistiger Behinderung. Die Gesundheitsminister aus Bund und Länder haben am Montag zudem Beschäftigte in Kitas sowie in Grund- und Förderschulen in diese Kategorie hochgestuft. Im Südwesten sind sogar Lehrer aller Schularten impfberechtigt – allerdings nur die bis einschließlich 64 Jahre.
Kommt dadurch jemand zu kurz?
Nein, sagt Lucha. Denn bei dem Impfstoff für Berechtigte der Kategorie 2 handelt es sich um das Produkt von Astra-zeneca. Dieses ist für Menschen zwischen 18 und 64 Jahren zugelassen. Die Vakzine von Biontech und Moderna, die deutlich rarer sind, gehen weiterhin an ältere Menschen der Stufe 1. „Das ist eine politische Entscheidung“, betonte Kretschmann. Dass Lehrer und Kitapersonal nun vorgezogen würden, begründete er mit den Vorbehalten vieler Berechtigter. „Ich habe dem Sozialminister nur grünes Licht gegeben, weil der Astra-zeneca-impfstoff bei den Empfängern leider nicht so abgerufen wird, wie er es verdient hätte. Das ist sozusagen der Pragmatik geschuldet.“Lucha ergänzte: „Bis Mitte März erwarten wir rund 450 000 Impfdosen des Impfstoffs von Astra-zeneca, deshalb können wir nun schneller in die Prio-2-impfung einsteigen, als wir noch vor einigen Wochen gedacht hatten.“
Wo und wie gibt es die Impfung?
Anfänglich habe es noch etwas geruckelt, räumte Lucha ein. Inzwischen könnten aber auch Lehrer und Kitabeschäftigte telefonisch oder über das Internetportal des Bundes Impftermine vereinbaren. Mitarbeiter in Bildungseinrichtungen sollten sich nicht beirren lassen, dass sie im Bundesportal nicht als impfberechtigte Gruppe geführt würden. „Die so gebuchten Termine sind gültig“, so Lucha. Geimpft wird weiter in den zentralen Impfzentren des Landes sowie in den Kreisimpfzentren. Mitte des zweiten Quartals, also Mitte Mai, rechnet das Land mit sehr viel mehr Serum. Ab dann sollen verstärkt Arztpraxen die Dosen verimpfen. Bis dahin müsse der Bund aber noch viele Fragen zu Dokumentation, Logistik und Finanzierung klären, so Lucha. Ministerpräsident Kretschmann betonte ein anderes Problem: „Zu glauben, man könnte dann die ganzen Prioritätsstufen über alle Arztpraxen machen, darüber müssen wir nochmal reden.“Wenn genügend Impfstoff verfügbar sei, könne dann vielleicht ganz auf Prioritätenlisten verzichtet werden. „Unsere niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in den Praxen stehen bereit“, sagt derweil Johannes Fechner von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-württemberg.
Wer kann sich wo testen lassen?
Darüber zankt die grün-schwarze Koalition. Die CDU pocht lange schon auf eine breit angelegte Teststrategie. Lehrer und Erzieher können sich pro Woche zweimal kostenlos testen lassen. Das soll nach Wunsch der CDU nicht nur in Apotheken und Arztpraxen möglich sein, sondern auch in Zentren der Städte und Gemeinden – und auch für andere Berufe mit vielen Kontakten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte ab 1. März kostenlose Schnelltests für alle in Aussicht gestellt und zusätzlich Selbsttests für Laien. Gerade letztere lassen die Grünen zögern. „Wir müssen überlegen, ob wir jetzt eine Teststruktur aufbauen, obwohl man die gar nicht braucht, weil die neuen Tests die alten verdrängen werden“, sagte Kretschmann, der von einem „heftigen Schlagabtausch“mit dem Koalitionspartner berichtete.
Laut Deutscher Presse-agentur soll Innenminister Thomas Strobl (CDU) Minister Lucha in der Kabinettssitzung am Dienstag scharf dafür kritisiert haben, dass eine Woche nach einem Test-gipfel mit den kommunalen Spitzenverbänden viel zu wenig getestet werde. Die Verbände hatten vergangenen Freitag in einem Brief an die Landesregierung Klarheit eingefordert. Befristet bis 31. März bekommen die Kommunen drei Millionen Schnelltests aus der Reserve des Landes sowie eine Vergütung für das Durchführen der Tests, erklärte Lucha. Kostenpunkt: 53,4 Millionen Euro. Das Land wolle zudem sieben Millionen Selbsttests ordern.