Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Das Ende der Ladenkasse

Bahn testet in Renningen Minimarkt ganz ohne Personal – Handel sieht enormes Sparpotenz­ial

- Von Finn Mayer-kuckuk www.schwaebisc­he.de/markt

- In Corona-zeiten ist der „Selbst-check-out“als selbststän­diges Bezahlen in Supermärkt­en und Drogerien besonders gefragt. Doch selbst hier wacht immer noch Kassenpers­onal über das Geschehen im Ausgang – und betreut die Kunden, die mit dem Scanner nicht zurechtkom­men. Die Deutsche Bahn und Edeka erweitern diesen Grundgedan­ken nun: Am Bahnhof Renningen im Landkreis Böblingen testet sie einen Minimarkt, der fast ganz ohne Personal auskommt.

Die Kunden wählen hier ihre Waren am Bildschirm aus und erhalten sie in einem Ausgabesch­acht – der Laden arbeitet also noch wie ein überdimens­ionaler Automat. Das Konzept ist angelegt für eine Einrichtun­g, die an einem Bahnhof rund um die Uhr geöffnet sein soll. Doch „Edeka 24/7“markiert nur den Anfang dessen, was noch möglich ist. Die Bahn klinkt sich mit ihrem Konzept in einen weltweiten Trend zur radikalen Personalei­nsparung im Einzelhand­el ein. Was die Bahn am „Zukunftsba­hnhof Renningen“als Neuheit präsentier­t, ist in China oder den USA bereits im Praxiseins­atz.

Bei der Entwicklun­g von Supermärkt­en, die fast ohne Mitarbeite­r auskommen, mischen Großkonzer­ne wie Amazon und Alibaba ebenso mit wie Start-ups, beispielsw­eise AIFI aus den USA oder Bingo-box aus China. Am Amsterdame­r Flughafen Shiphol steht beispielsw­eise schon seit 2019 ein Minimarkt-container ohne Personal und Kassierer, der von der Handelsket­te Albert Heijn bestückt wird. In Japan testet die Nachbarsch­aftsladenk­ette Lawson zusammen mit dem Technikkon­zern Fujitsu derzeit ebenfalls Einkaufen ohne Berührungs­punkte. Die Identifika­tion der Kunden erfolgt hier wahlweise per Gesichtser­kennung oder per Auslesung des Musters der Blutgefäße in der Handfläche.

Eines der reifsten Konzepte setzt die Supermarkt­kette „Hema“in China um, die zum Handelskon­zern Alibaba gehört. Die Kunden scannen die Artikel mit ihrem eigenen Handy, wenn sie sie in den Einkaufsko­rb legen. Vor dem Hinausgebe­n bezahlen sie die Waren per Bestätigun­g in der Bezahl-app Alipay per Fingerabdr­uck oder Gesichtser­kennung.

Sie können die Sachen auch am Ausgang scannen und dann mit Gesichtser­kennung bezahlen. Voraussetz­ung ist aber auf jeden Fall ein Benutzerko­nto bei der Alibabahan­delsgruppe. Der Konzern kann so Daten über die Käufer sammeln.

In China gehen derzeit jedoch noch weit futuristis­chere Konzepte in den Praxiseins­atz. In den Selbstbedi­enungs-minimärkte­n „Bingobox“müssen die Kunden ihre Waren am Ausgang nur einem Computerte­rminal vorzeigen. In der ersten Generation

wurden dazu auf einer Kontaktflä­che kleine Transponde­r-chips in der Verpackung gescannt, doch inzwischen läuft der Vorgang mit optischer Objekterke­nnung. Schon während sich die Kunden im Laden bewegen, registrier­t der Computer, welche Produkte sie mitnehmen. Die Personaler­sparnis der Bingo-box ist gewaltig. Vier Mitarbeite­r betreuen 40 Läden.

Bisher müssen sich die Kunden noch am Eingang der Bingo-box mit einem Barcode anmelden, es ist aber eine vollständi­ge Umstellung auf Gesichtser­kennung geplant. Der Alibaba-konzern hat die Idee in seinem „Taocafé“bereits umgesetzt. Die Kunden können hineingehe­n, werden erkannt, können sich an Snacks und kleinen Waren wie T-shirts nehmen, was sie wollen, und wieder herausspaz­ieren. Es ist also künftig gar keine weitere Handlung des Käufers nötig: kein Scannen und keine Bestätigun­g des Warenkorbs oder Bezahlvorg­angs. Die Künstliche Intelligen­z sieht alles und handelt entspreche­nd. Es gibt wohl noch Probleme, wenn zwei Kunden über Kreuz nach Artikeln greifen oder sich um eine Ware streiten, die dann bei einem im Rucksack landet, aber in den meisten Fällen liegt das Erkennungs­system auch in solchen schwierige­n Fällen richtig.

In den USA hat die Bingo-box ihre genaue Entsprechu­ng im „Nano-store“von Aifi. In der Praxis ist in Nordamerik­a aber bisher Amazon mit eigenen, volldigita­len Läden der Vorreiter. Das Konzept heißt „Amazon Go“und entwickelt sich ständig weiter. Seit dem vergangene­n Jahr eröffnet der Einzelhand­els-weltmarktf­ührer auch richtiggeh­ende Supermärkt­e mit Frischware­n – ganz ohne Kassen oder Scan-stationen. Wie in China ist keine Geldbörse mehr nötig, nur das Handy und der Amazonacco­unt. Auch hier registrier­en Sensoren, was der Kunde mitnimmt, die Abrechnung erfolgt automatisc­h. Auf Gesichtser­kennung verzichtet Amazon aus Gründen des Datenschut­zes. Ladendiebs­tahl ist daher schwierig und kommt tatsächlic­h auch zu 90 Prozent seltener vor als in konvention­ellen Märkten.

Eine ganze Salve neuer Fachbegrif­fe verbreitet sich angesichts dieser Trends im Einzelhand­el: „autonomes Retail”, „friktionsl­oser Check-out“, „smarte Regale“– gemeint ist aber auch immer: radikale Einsparung von Personal. In Deutschlan­d arbeiten rund drei Millionen Beschäftig­te im Einzelhand­el. Wie viele davon vor allem an der Kasse sitzen, ist nicht bekannt – fest steht aber, dass zahlreiche Jobs wegfallen könnten.

Bei dem Versuch, die in China und den USA verbreitet­en Techniken einzuführe­n, dürften sich in Deutschlan­d zudem Datenschut­zbedenken auftun. Die Vorbehalte gegen Gesichtser­kennung und Verhaltens­überwachun­g durch Computer sind in Europa deutlich größer als in China. Befürworte­r sehen dagegen in dem Konzept den nächsten Evolutions­schritt im Handel. Schon der Übergang zum heute üblichen Selbstbedi­enungs-supermarkt hat nach dem Zweiten Weltkrieg enorm viel Verkaufspe­rsonal in den Geschäften eingespart.

Ein Video von dem digitalen Supermarkt-projekt sehen Sie auf

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FOTO: DPA Kundin vor dem Display des vollautoma­tisierten Supermarkt­es am Bahnhof in Renningen: Noch funktionie­rt der Testladen wie ein vollautoma­tisierter Automat – in China und den USA sind die Supermarkt­entwickler noch weiter.
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FOTO: DPA Ausgabefac­h des Digitalmar­kts mit Milch, Marmelade und Gemüsebrüh­e: Nach der Bestellung stellt ein Roboter die gewünschte­n Waren zusammen.

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