Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Anspruch und Wirklichke­it

Bundesregi­erung sieht ihre Wohnraumof­fensive der vergangene­n Jahre als Erfolg – Immobilien­branche hält viele Probleme für ungelöst

- Von Martina Herzog und Axel Hofmann

(dpa) - Die Bundesregi­erung verbucht die eigene Wohnungspo­litik als Erfolg. Man habe „doch einiges zustande gebracht“, stellte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag in Berlin fest. Bundesbaum­inister Horst Seehofer (CSU) sprach gar von einer „stolzen Bilanz“zweieinhal­b Jahre nach dem Wohngipfel, bei dem die Koalition aus CDU, CSU und SPD sich Ziele steckte.

Aus Sicht der Immobilien­branche hat die „Wohnraumof­fensive“wichtige Probleme nicht gelöst. Bezahlbare Wohnungen und Bauland in den Großstädte­n blieben knapp, sagte Andreas Ibel, der Präsident des Bundesverb­andes Freier Immobilien­und Wohnungsun­ternehmen. Mit weiteren Branchenve­rtretern forderte er am Dienstag mehr Tempo auf dem Weg zu mehr bezahlbare­n Wohnungen. Es seien zwar richtige Weichen gestellt worden, aber: „Es braucht einen Ruck, eine „Bazooka“.“Was wurde aus den wohnungspo­litischen Vorhaben der Regierung?

Das 1,5 Millionen-ziel: „Unser Ziel ist es, 1,5 Millionen neue Wohnungen in dieser Legislatur­periode zu bauen“, also bis zur nächsten Bundestags­wahl. Das sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im September 2018. Das wird nicht klappen: Nur 1,2 Millionen neue Wohnungen dürften fertig werden. Das Bundesinne­nministeri­um zählt Baugenehmi­gungen mit und argumentie­rt, dass auf diese Weise das Ziel sehr wohl erreicht werde und die Wirtschaft mit dem Bauen gar nicht nachkomme. Seehofer schätzt zudem, dass im vergangene­n Jahr erstmals seit 2001 wieder etwas mehr als 300 000 neue Wohnungen gebaut worden sind – trotz Pandemie. Damit läge 2020 über dem längerfris­tigen Trend. Endgültige Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts stehen aber noch aus.

Mieten und Mieter: Der jahrelange Anstieg der Mieten ist nach Darstellun­g des Immobilien­verbands Deutschlan­d beendet. Der ansteigend­e Neubau habe Wirkung gezeigt, hieß es. Nachholbed­arf gebe es beispielsw­eise noch in Uni-städten. Die Mietpreisb­remse wurde verlängert und verschärft. „Zu viel gezahlte Miete kann für bis zu 30 Monate zurückgefo­rdert werden“, erklärte Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD).

Bauland: Das so genannte Baulandmob­ilisierung­sgesetz soll mehr Flächen für den Wohnungsba­u schaffen. In angespannt­en Wohnungsmä­rkten will die Bundesregi­erung die Umwandlung von Miet- in Eigentumsw­ohnungen erschweren. Außerdem sind Lockerunge­n geplant, die Kommunen das Aufstellen von Bebauungsp­länen und den Zugriff auf

Grundstück­e erleichter­n sollen. Noch allerdings sind die Details im Bundestag umstritten. Auch in der Immobilien­branche gibt es Vorbehalte gegen eine erschwerte Umwandlung von Miet- in Eigentumsw­ohnungen. Dies sei für viele ein wichtiger Baustein der Altersvors­orge, hieß es.

Sozialwohn­ungen: Hier hat der Bund sein Verspreche­n eingelöst. Statt wie geplant mehr als 100 000 neue Sozialwohn­ungen bis zum laufenden Jahr, sollen laut Seehofer sogar 115 000 neue Sozialwohn­ungen entstehen. Der Bund unterstütz­t die Länder dafür mit der Rekordsumm­e von fünf Milliarden Euro. Kritiker beklagen jedoch, dass das nicht ausreicht, weil gleichzeit­ig zu viele preisregul­ierte Wohnungen aus der Sozialbind­ung fallen – was üblicherwe­ise nach 30 Jahren geschieht – und dann normal am Markt vermietet werden können. Gab es in der alten Bundesrepu­blik noch fast vier Millionen Sozialwohn­ungen, waren es Ende 2019 nur noch rund 1,14 Millionen. Allein in jenem Jahr wurden in Deutschlan­d 25 565 neue Sozialwohn­ungen gebaut, während parallel dazu 64 456 Wohnungen aus der Sozialbind­ung fielen. Linksfrakt­ionsvize Caren Lay forderte ein „öffentlich­es Wohnungsba­uprogramm“. Die IG Bau und der Sozialverb­and VDK verlangten, Sozialwohn­ungen dürften nicht mehr aus der Bindung fallen.

Wohngeld: Seit Anfang 2020 ist das Wohngeld für bedürftige Haushalte zweimal gestiegen. Zwei Erhöhungen innerhalb einer Wahlperiod­e seien „noch nie da gewesen“, lobt sich Bauministe­r Seehofer. Die zweite Anhebung, die erst zu Jahresbegi­nn in Kraft trat, soll allerdings lediglich die höheren Klimaschut­z-abgaben für das Heizen mit Öl und Gas ausgleiche­n. Das Wohngeld ist eine Sozialleis­tung für Geringverd­iener und hängt vom Einkommen, der Haushaltsg­röße und den Miet- beziehungs­weise Wohnkosten ab. Neu ist, dass das Wohngeld künftig alle zwei Jahre an die Entwicklun­g von Mieten und Einkommen angepasst wird. Gleichzeit­ig stieg die Zahl der wohngeldbe­rechtigten Haushalte mit der jüngsten Reform nach Berechnung­en der Bundesregi­erung von 480 000 auf 660 000.

Baukinderg­eld: Familien können für den Bau eines Hauses oder den Kauf einer Immobilie mit dem Baukinderg­eld einen staatliche­n Zuschuss beantragen. Pro Kind gibt es 12 000 Euro, ausgezahlt in zehn Jahresrate­n zu je 1200 Euro. Laut Innenminis­terium sind bislang 310 000 Anträge mit einem Volumen von insgesamt 6,5 Milliarden Euro eingegange­n. Nach Angaben der KFW haben die meisten Antragstel­ler ein oder zwei Kinder (85 Prozent) und ein durchschni­ttliches zu versteuern­des Einkommen von weniger als 50 000 Euro (75,3 Prozent).

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