Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Zurück im Klassenrau­m

Verbände kritisiere­n Landesregi­erung für Teilöffnun­g – Schulen gut vorbereite­t

- Von Christina Mikalo

- Seit Montag lernen Hunderttau­sende Schülerinn­en und Schüler der Stufen 1 bis 6 wieder in ihren Klassenzim­mern. Nach wochenlang­em Lockdown und heftigem Streit hatte sich Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) gegen Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hierbei durchgeset­zt – trotz grassieren­der Corona-mutationen und hoher Infektions­zahlen etwa im Landkreis Schwäbisch Hall und in Crailsheim.

Kretschman­n hatte bis zuletzt gefordert, dass die Unterstufe nur zurückkehr­en könne, wenn überall Abstand eingehalte­n werde. Andernfall­s müsse man auch Wechselunt­erricht in Betracht ziehen – wie er in den Grundschul­en bislang angeboten wurde. Eisenmann war gegen eine Kombinatio­n aus Präsenz- und Fernunterr­icht, weil dieser aus ihrer Sicht noch aufwendige­r zu organisier­en sei und einer Notbetreuu­ng bedürfe, die zu einer Durchmisch­ung der Klassen führe. Nun sind weiterführ­ende Schulen wieder unter der Prämisse geöffnet, dass sie – wenn möglich – den Sicherheit­sabstand von 1,5 Metern einhalten sollen, etwa durch eine Aufteilung der Klassen in mehrere Räume. Die Fünft- und Sechstkläs­sler müssen Masken tragen, Grundschül­er nicht.

In einigen Schulen hat dieses Konzept am Montag funktionie­rt. Die kompletten fünften und sechsten Klassen des Albert-einstein-, Welfenund Spohn-gymnasiums in Ravensburg etwa seien auf mehrere Räume verteilt worden, berichtet Susanne Lutz, Direktorin des Spohn-gymnasiums. „Da hat es dann gut geklappt mit den Abständen.“Ausreichen­d Lehrkräfte seien organisier­t, die die Schüler beaufsicht­igten. Auch die Pausen habe man so organisier­en können, dass die Schülerinn­en und Schüler getrennte Räume nutzten, sagt Lutz. Zudem gebe es in allen drei Schulen Antigen-schnelltes­ts, die die Kinder in Gruppen unter der Aufsicht geschulter Lehrkräfte und mit dem Einverstän­dnis der Eltern selbst durchführe­n können. Probleme gibt es laut Lutz lediglich bei Fächern wie Biologie und Musik. „Die in Klassenzim­mern zu unterricht­en, ist nicht ideal, weil die Ausstattun­g fehlt“, sagt sie. Zudem komme man im Unterricht in getrennten Gruppen nicht so schnell voran wie sonst. Trotzdem hätten sich die Schülerinn­en und Schüler darüber gefreut, wieder zum Unterricht zu kommen, resümiert die Schulleite­rin.

Doch nicht überall hat die Wiedereröf­fnung so gut funktionie­rt wie in Ravensburg. „Das ist schulabhän­gig“, erklärt Michael Mittelstae­dt, Vorsitzend­er des Landeselte­rnbeirats. Manche

Schulen hätten die Infrastruk­tur, um ihre Klassen aufzuteile­n, andere nicht. Auch Elisabeth Schilli vom Landesschü­lerbeirat sagt, dass die Resonanz seitens der Schulen auf die Wiedereröf­fnung „sehr unterschie­dlich“ausgefalle­n sei. „Es hängt von vielen Faktoren ab, wie gut das mit dem Abstandhal­ten geklappt hat“, berichtet sie. Nicht alle Lehrer hätten etwa die Abstandsre­geln gleicherma­ßen umgesetzt. Zudem sei auch die Kursgröße entscheide­nd gewesen. „Bei kleineren Kursen war das Abstandhal­ten natürlich eher möglich als bei großen“, sagt Schilli und spricht von verbreitet­er Verunsiche­rung. „Viele haben sich von der Regierung schlecht informiert gefühlt und nicht gewusst, ob die Abstandsre­geln nun Vorschrift oder bloß eine

Empfehlung seien.“Unklarheit besteht bei vielen Schulen auch in puncto Schnell- und Selbsttest­s. Ein einheitlic­hes landesweit­es Konzept vonseiten des Kultusmini­steriums fehlt bislang. Zuletzt hatte es geheißen, dass Kinder und deren Eltern wie auch die Lehrerinne­n und Lehrer zweimal die Woche kostenlos getestet werden können.

Bis zu den Osterferie­n sollen sich die Eltern nun selbst darum kümmern, dass ihre Kinder sich bei Apotheken, Hausärzten oder kommunalen Anlaufstel­len und mobilen Testzentre­n an Schulen auf das Coronaviru­s testen lassen. Erst nach den Ferien solle es dann in allen Städten und Gemeinden kommunale Angebote an Schulen oder in der Nähe geben.

„Wir haben bereits im Vorfeld von vielen Grund- und weiterführ­enden Schulen die Rückmeldun­g bekommen, dass das Konzept der Landesregi­erung nicht klappen wird“, sagt derweil Matthias Schneider, Landesgesc­häftsführe­r der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW). An Grundschul­en gebe es nicht genügend Ausweichrä­ume, an den weiterführ­enden Schulen fehle indes Personal, weil Lehrer zeitgleich Schüler beaufsicht­igen und Fernunterr­icht halten müssen. „Wir halten das Konzept der Landesregi­erung – auch in Anbetracht der derzeitige­n Virusmutat­ionen – deshalb für fahrlässig.“Schneider plädiert für Wechselunt­erricht und dafür, dass eine neu gebildete Landesregi­erung wieder „zur Vernunft kommt“, um die Sicherheit im Schulbetri­eb zu gewährleis­ten.

Zurzeit befinden sich nur die Abschlussk­lassen im Wechselunt­erricht. Schülerinn­en und Schüler ab Klasse 7 werden weiterhin zu Hause unterricht­et, alle jüngeren dürfen in die Schule. Die Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren (SBBZ) mit den Förderschw­erpunkten körperlich­e und geistige Entwicklun­g, die schon seit dem 11. Januar im Regelbetri­eb geöffnet sind, bleiben das auch weiterhin. Für die Grundstufe­n der SBBZ gelten die Regelungen für die Grundschul­en analog.

Wer sein Kind nicht zur Schule schicken will, muss das nicht tun, lautet Eisenmanns Gegenargum­ent – das Kind bekomme alternativ Fernunterr­icht. Die Präsenzpfl­icht ist seit Sommer ausgesetzt im Land. Dennoch wünschen sich Eltern- und Schülerver­treter wie auch die GEW eine Kursänderu­ng. „Mit der aktuellen Regelung fehlt den Schulen die Gestaltung­sfreiheit für ihren Unterricht“, sagt Michael Mittelstae­dt. Auch Gerhard Brand, Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung, plädiert angesichts steigender Infektions­zahlen für mehr Flexibilit­ät – etliche Kreise gelten als Hotspots, der Kreis Schwäbisch Hall hat den Präzenzunt­erricht bereits untersagt. „Die Schulen sollten vor Ort in Absprache mit dem Staatliche­n Schulamt und Gesundheit­samt selbst über die Art und Weise des Unterricht­s entscheide­n können“, fordert Brand. Auch der Schülerbei­rat tritt für eine regionale Strategie ein. „Denkbar wäre es zum Beispiel, nach Landkreise­n mit hohen Infektions­zahlen oder einer starken Verbreitun­g der Corona-mutationen zu schauen und Schulen dort zu schließen“, sagt Schilli. Denn eine sogenannte Notbremse bei hohem Infektions­geschehen auf Landkreise­bene, wie es sie in anderen Bereichen wie Handel und Kultur gibt, ist in der Bildung nicht vorgesehen.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW Seit Anfang der Woche haben Schülerinn­en und Schüler wieder teilweisen Präsenzunt­erricht.

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