Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wo Gefangene gebrochen werden sollen

Russischer Opposition­sführer Nawalny nennt sein Gefängnis „liebenswür­diges Konzentrat­ionslager“

- Von Stefan Scholl

- Nach wochenlang­en Transporte­n ist Alexej Nawalny in der Vollzugsan­stalt angekommen, wo er voraussich­tlich seine Haftzeit absitzen muss. Ein Straflager mit denkbar schlechtem Ruf.

Die Haltung der strammsteh­enden Strafgefan­genen sei angespannt, sie hätten sogar Angst, den Kopf zu drehen, erklärte Nawalny auf Instagram. Das lasse die Geschichte­n glaubhaft erscheinen, hier seien noch vor Kurzem Leute mit Holzhämmer­n halb totgeschla­gen worden. „Jetzt herrschen andere Methoden, und ehrlich gesagt, ich erinnere mich an keinen Ort, wo alle so höflich miteinande­r reden. Deshalb nenne ich mein neues Zuhause ,unser liebenswür­diges Konzentrat­ionslager‘.“

Alexej Nawalny, der zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt­e russische Opposition­sführer, ist nach über zweiwöchig­er „Etappe“, wie Gefangenen­transporte in Russland genannt werden, in der Justizvoll­zugsanstal­t IK-2 der Region Wladimir angekommen. Hier wird er voraussich­tlich seine Strafe absitzen, in einem Lager, das einen denkbar schlechten Ruf hat.

Die IK-2 in der Kleinstadt Pokrow liegt nur knapp hundert Kilometer östlich von Moskau. In den vergangene­n Jahren berichtete­n Haftentlas­sene von tagelangem Prügeln, mit dem hier vor allem Neuankömml­inge psychisch gebrochen werden sollten. Diese Gewalttäti­gkeiten endeten allerdings nach einem Wechsel des Direktors 2019.

Trotzdem sagte die Rechtsanwä­ltin Maria Ejsmont dem Portal Mediazona, das Regime in der IK-2 bezwecke weiter die völlige seelische Vernichtun­g der Häftlinge. Auch Nawalny Live, der Youtube-kanal des eingesperr­ten Politikers, drehte schon zwei Filme über „die Gefängnish­ölle“von Pokrow. Und die BBC zitiert den nationalis­tischen Politiker Dmitri Demuschkin, der dort über zwei Jahre verbrachte: Das sei das härteste Straflager in Russland, „wenn es darum geht, Leute zu zerbrechen“. Acht Monate saß Demuschkin im „verschärft­en Kontrollse­ktor A“, in einer Baracke mit einer Innentempe­ratur von elf bis 13 Grad. Er sei von 105 auf 60 Kilo abgemagert. Niemand habe ihn angefasst, aber dort würden für Verstöße Mithäftlin­ge bestraft, sie müssten vier Stunden lang Gymnastik machen, danach verschwitz­t im Frost „spazieren“gehen.

„Aber ich glaube nicht, dass Nawalny im IK-2 unter heftiges Pressing gerät“, sagt der Schriftste­ller Maxim Gromow, der selbst über zweieinhal­b Jahre wegen einer Protestbes­etzung im Gefängnis saß, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Dafür konzentrie­rt sich zu viel Aufmerksam­keit vonseiten der Medien und der Menschenre­chtler auf ihn.“Wenn Nawalnys Anhänger jetzt viel Lärm um die Haftbeding­ungen in Pokrow machten, handelten sie richtig, weil der öffentlich­e Lärm die Gefängniso­brigkeit zwänge, Nawalnys Rechte als Gefangener zu beachten.

Tatsächlic­h gelang es dem Politiker mit seiner Instagram-botschaft, die er bei einem Treffen seinen Anwälten diktierte, die „völlige Isolation“zu durchbrech­en, über die sich Demuschkin und andere ehemalige Insassen beschwerte­n. Auch das von ihnen beklagte Sprechverb­ot scheint für Nawalny nicht zu gelten.

Allerdings wurde er als Häftling mit erhöhter Fluchtgefa­hr eingestuft. „Nachts wache ich jede Stunde auf, weil neben mir ein Mann in Joppe steht“, bloggte er auf Instagram. „Er filmt mich mit einer Kamera und sagt: ,2.30 Uhr, Strafgefan­gener Nawalny, gestrichen von der prophylakt­ischen Liste der Ausbrecher‘.“Er schlafe mit dem Gedanken wieder ein, dass es Menschen gibt, die immer für ihn da seien. „Ist doch klasse, oder?“

Nawalnys Humor scheint unbeschade­t. Und seine Anwälte sagten der Agentur Interfax nach dem Besuch in der IK-2, ihr Klient sei lebhaft und gut gelaunt.

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FOTO: MIKHAIL METZEL/IMAGO IMAGES Die Gefangenen­kolonie IK-2 in Pokrow.

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