Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Rentnern stinkt der Kaminrauch in der Ravensburg­er Weststadt

Bei Inversions­wetterlage­n ist die Geruchsbel­ästigung offenbar besonders schlimm

- Von Annette Vincenz

- Sie verbreiten eine gemütliche Wärme und werden gerade in der Übergangsz­eit von vielen Haus- und Wohnungsbe­sitzern als einzige Heizquelle genutzt. Sehr zum Unmut mancher Nachbarn, denn Holzöfen haben den Straßenver­kehr als Feinstaubv­erursacher Nummer eins abgelöst. Aus den Kaminrohre­n kommt oft stinkender Rauch, der gefährlich­e und krebserreg­ende Giftstoffe enthält. Vor allem, wenn kein Partikelfi­lter eingesetzt ist, den nur die wenigsten Kaminbesit­zer wegen der vergleichs­weise hohen Kosten haben. Ein älteres Ehepaar aus der Ravensburg­er Weststadt hat sich hilfesuche­nd an Stadtverwa­ltung und Landkreis gewandt, jedoch fühlt sich niemand wirklich verantwort­lich.

Peter und Gertrud Müller, die ihren wahren Namen aus Angst vor den kaminbetre­ibenden Nachbarn nicht in der Zeitung lesen wollen, sind verzweifel­t, denn sie fühlen sich von Holzöfen umzingelt. Egal, aus welcher Richtung der Wind bläst, die Rentner atmen zwischen Oktober und April fast immer den Rauch ihrer Nachbarn ein. Dabei sind Kaminöfen in weiten Teilen der alten Weststadt qua Bebauungsp­länen eigentlich verboten: Die Wohngebiet­e aus den 1960er-, 1970erund 1980er-jahren sind durch Erdgasleit­ungen erschlosse­n, und die Stadt wollte damals einen Abnahmezwa­ng für ihre gasvertrei­benden Stadtwerke erwirken. Auch Ölheizunge­n waren beispielsw­eise tabu.

Doch seit etwa 20 bis 30 Jahren sind Holzöfen als zusätzlich­e Wärmequell­e sehr beliebt. Die Kamine wurden nachgerüst­et, was in den meisten Einfamilie­nhäusern und auch kleineren Mehrfamili­enhäusern technisch kein großer Aufwand ist – entspreche­nde Öfen werden sogar über Baumärkte vertrieben. „Meine Frau ist total durch den Wind, wir sind umzingelt von mindestens fünf solcher Feueranlag­en“, sagt Peter Müller. Lüften sei an manchen Tagen mit Inversions­wetterlage praktisch unmöglich, Schlafen bei offenem Fenster ebenso. Coronabedi­ngt habe sich die Lage noch verschärft, meint er, weil viele Menschen tagsüber und fast alle Menschen abends zu Hause seien und noch mehr Holz durch den Kamin jagten.

Der Schmutz in Form von Staub, der aus den Öfen der Nachbarsch­aft stammt, sei im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen zu greifen. „Die Fensterbän­ke sind außen schwarz vom Ruß“, sagt Gertrud Müller. „Wenn mein Mann morgens die Zeitung aus dem Briefkaste­n draußen holt, stinkt er wie die Pest nach Qualm.“Die Müllers haben besonders eine Nachbarsfa­milie in Verdacht, nicht nur gut getrocknet­es Holz zu verwenden, sondern alles, was halbwegs brennbar ist. „Wir haben da im Garten schon das Holz von alten Eisenbahns­chwellen gesehen.“Diese Nachbarn direkt anzusprech­en, trauen sich die Rentner nicht. Das Problem sei außerdem die Vielzahl an Kaminen in der Gegend. Ein Schornstei­nfeger, den das Paar ansprach, habe nur mit den Schultern gezuckt.

Daher wandten sie sich hilfesuche­nd an Stadt und Landkreis. In mehreren Schreiben beklagten sie die für sie unerträgli­chen Zustände in der Weststadt. Es sei ja auch absurd, dass die Stadt Ravensburg eine Klimaschut­zkommissio­n einberufe und gleichzeit­ig den Feinstaub unzähliger Kamine dulde, die die direkte Nachbarsch­aft nicht nur in der Weststadt verpesten würden. Die Schornstei­nfeger wiederum, die vom Landkreis beaufsicht­igt werden, würden einen Teufel tun, ihre Kunden zu vergrätzen. Was die Müllers am allerwenig­sten verstehen, ist, dass die Stadt Ravensburg nicht wenigstens gegen die illegal nachgerüst­eten Kamine in den Wohnstraße­n vorgeht, in denen sie eigentlich laut Bebauungsp­lan verboten sind.

Die Antwort der Stadtverwa­ltung auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“klingt ähnlich wie das, was das Rentnerehe­paar zu lesen bekam.

„Uns ist als Stadt wichtig, dass wir saubere Luft haben. So haben wir derzeit auch circa 80 Bebauungsp­läne, die aus Gründen der Luftreinha­ltung Festsetzun­gen zu einem Verbrennun­gsverbot beinhalten“, äußert sich Timo Nordmann von der Pressestel­le der Stadt Ravensburg. Es sei aber nicht möglich, dass man Festsetzun­gen formuliere, die den Besitz eines Holzkamins an sich verbieten. „Das führt zur grotesken Situation, dass ein Kamin zwar eingebaut, aber nicht betrieben werden darf. Uns ist natürlich bekannt, dass dennoch, insbesonde­re auch in der Weststadt, Kamine befeuert werden. Bisher haben uns aber keine konkreten Hinweise erreicht, denen wir nachgehen können.“Dazu müsste jemand wie das Ehepaar Müller zum Beispiel einen Verdachtsf­all namentlich benennen, was viele aber wegen der sonst guten Nachbarsch­aft scheuen. „Wir selbst sind personell leider kaum in der Lage, sozusagen auf Streife zu gehen, um zu schauen, wo solche Öfen betrieben werden. Wir erhalten allerdings von den Schornstei­nfegern eine Mitteilung, wenn ein Ofen nicht dem Grenzwert entspricht. Dann werden wir tätig, indem wir den Kamin stilllegen.“

Neben den Ravensburg­er Grünen, die ein Verbot von Holzöfen in Neubaugebi­eten schon länger fordern, macht sich jetzt auch Cdustadtra­t Rolf Engler, der selbst in der Alten Weststadt wohnt, dafür stark, alte Öfen rigoros stillzuleg­en, wenn sie nicht mit entspreche­nden Partikelfi­ltern nachgerüst­et werden – wie es auch Gesetzesla­ge ist. Und nachträgli­ch illegal eingebaute Kamine sowieso. Er meint, die Stadt könne sehr wohl sehen, wo aus einem entspreche­nden Metallrohr Rauch qualme. „Wenn wir das in Baugebiete­n beschließe­n, erwarte ich, dass die Verwaltung auch die Kontrolle übernimmt. Illegal ist illegal.“Die Stadt könne nicht einfach auf den Kreis verweisen, denn für die Schornstei­nfeger seien die Kaminbesit­zer gute Kunden, die sie ungern verlieren würden. Engler: „Das Schlimmste, was man machen kann, ist, dass man die Illegalitä­t durch Untätigkei­t legalisier­t.“Engler hat übrigens selbst einen Kamin und ließ ihn jetzt „plombieren“, weil er ihn ohnehin selten genutzt habe und nicht mit einem Filter nachrüsten wollte.

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SYMBOLFOTO: PATRICK PLEUL/DPA Wer von Kaminen umzingelt ist, kann im Herbst und Winter kaum noch lüften.

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