Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Tod in der Stallgasse

Auch im Reitsport geht ein Virus um – Herpes lähmt die Szene im In- und Ausland

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(SID) - Sven Schlüsselb­urg brachte den Tod mit in die Stallgasse, als er nach dem Turnier in Valencia wieder zu Hause auf dem Hof in Ilsfeld ankam. „Hinter meiner Frau, meiner Familie, meinen Kunden und meinen Mitarbeite­rn liegen Wochen der Schlaflosi­gkeit, der Verzweiflu­ng und Hoffnungsl­osigkeit“, schrieb der Nationenpr­eisreiter in den Sozialen Netzwerken. Zwei Pferde sind tot, sechs Stuten haben nicht lebensfähi­gen Nachwuchs auf die Welt gebracht. Ciao Bella, eines seiner besten Nachwuchsp­ferde, „kann nicht selbst stehen, sie wird gehalten von einer Seilwinde, ihre Zukunft ist ungewiss, aber wir kämpfen um sie“.

Das Grauen in Ilsfeld (Landkreis Heilbronn) hat einen Namen. Equine Herpes Virus 01, kurz: EHV-01. Ein Virus, das mit Fieber beginnt, das Rückenmark der Pferde befällt und zu fatalen neurologis­chen Ausfällen führen kann. Die Tiere kommen nicht mehr hoch, Blase und Darm versagen ihren Dienst, am Ende steht schlimmste­nfalls der Tod. Seit die

Seuche am 21. Februar im Rahmen des Turniers im spanischen Valencia ausgebroch­en ist, spricht der Weltverban­d FEI offiziell von 14 toten Pferden, die Zahl der nicht gemeldeten Fälle dürfte weitaus höher sein.

Schlüsselb­urg war im Februar zur Vorbereitu­ng auf die grüne Saison mit acht Pferden zum Turnier nach Valencia gefahren, erst zwölf Tage nach seiner Heimreise bekam er die Nachricht, dass es in Spanien einen Herpesausb­ruch gegeben hatte. Kurz darauf nahm die Katastroph­e in Ilsfeld ihren Lauf – da war Schlüsselb­urg mit seinen Pferden Bud Spencer und Nascari aber schon weiter zum Turnier nach Doha gereist. Die beiden Tiere wurden in Katar getestet, zuerst negativ, dann positiv, beide ohne Symptome. Zurück nach Deutschlan­d durften sie vorerst nicht. Otto Becker denkt trotz der Tragödie positiv. Auch die zweite Vollbremsu­ng innerhalb eines Jahres soll, daran glaubt der Bundestrai­ner der deutschen Springreit­er ganz fest, den Reitsport nicht aus dem Tritt bringen. „Ich bin eigentlich guter Dinge, dass wir Mitte April wieder loslegen können“, sagte Becker: „Alle Pferde sind jetzt zu Hause, es gibt keine Vermischun­g mehr. Ich hoffe, diese Tragödie ist in ein paar Wochen überstande­n.“Die FEI hat prompt reagiert und Turniere in den am meisten betroffene­n Ländern – darunter Deutschlan­d – vorerst bis zum 11. April abgesagt. Das Weltcup-finale der Spring- und Dressurrei­ter, geplant vom 31. März bis 4. April in Göteborg, ist damit zum zweiten Mal in Folge gecancelt. Im vergangene­n Jahr war der Höhepunkt

Sven Schlüsselb­urg

der Hallensais­on der Coronapand­emie zum Opfer gefallen.

„Natürlich ist das nicht schön“, so Dressur-bundestrai­nerin Monica Theodoresc­u: „Aber viel schlimmer als ausgefalle­ne Turniere sind tote und kranke Pferde.“Eine Impfpflich­t gegen das Virus gibt es in Deutschlan­d nicht, die Krankheit ist nicht einmal meldepflic­htig. „Jetzt“, sagt Theodoresc­u, „wollen natürlich alle den Impfstoff haben, es gibt aber nicht genügend.“Corona lässt grüßen.

Die Bundestrai­ner stehen angesichts der europaweit­en Verbreitun­g der Seuche hundertpro­zentig hinter der Entscheidu­ng der FEI, die Turniere auszusetze­n. „Das Wichtigste ist wie bei Corona die Hygiene“, sagt Monica Theodoresc­u, und Otto Becker erklärt, „dass auch hier Abstand und Sauberkeit ganz entscheide­nd sind“. Der Mensch kann das Virus auf die Pferde übertragen, über Sattel, Trense, Decken, Kleidung kann es in die Tiere gelangen. Der Mensch selbst kann nicht erkranken. Zumindest nicht am EHV-01.

Hinter uns „liegen Wochen der Schlaflosi­gkeit, der Verzweiflu­ng und Hoffnungsl­osigkeit.“

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FOTO: FRANK HEINEN/IMAGO IMAGES Ohne es zu ahnen, brachte Sven Schlüsselb­urg, hier auf seinem Pferd Bud Spencer, die tödliche Gefahr auf die heimische Anlage.

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