Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Als sich Judentum und Christentu­m in Isny begegneten

Zwei Gelehrte des 16. Jahrhunder­ts und die Entdeckung­en des Mordechai W. Bernstein über 400 Jahre später

- Von Walter Schmid und Tobias Schumacher

- Im Jahr 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Edikt für eine tolerante Religionsp­olitik, das auch jüdisches Leben auf allen Ebenen des Reiches erlaubte. Die Liberalitä­t, oftmals vermeintli­ch – oder begleitet von Pogromen, gipfelnd in der Katastroph­e des Holocausts –, zog sich übers Heilige Römische Reich Deutscher Nation in die Gegenwart. 2021 werden nun 1700 Jahre Judentum in Deutschlan­d begangen.

„Die Spuren jüdischen Lebens in Isny sind sehr dünn“, wissen die beiden Heimatfors­cher Manfred Haaga und Hans Westhäuser. Ausnahme: „Etwas genauer kennen wir die Begegnung von zwei Gelehrten in den Jahren 1541 und 1543, in denen der christlich­e Theologe und Hebraist Paul Fagius und der jüdische Sprachwiss­enschaftle­r Elija Levita in Isny gemeinsam gearbeitet und neben zahlreiche­n anderen Werken auch das fürs theologisc­he Studium durch Jahrhunder­te maßgeblich­e, hebräische Lexikon ,Tishbi’ in der zweiten Auflage gedruckt haben.“

Elija Levita, 1469 in Ipsheim bei Nürnberg geboren, wurde früh aus seiner Heimat vertrieben, wohl wegen antisemiti­scher Ausschreit­ungen. Er wirkte die längste Zeit seines Lebens in den bedeutends­ten Druckhäuse­rn Italiens, in Rom, Venedig und Padua. Als Grammatike­r und Lexikograf der hebräische­n und aramäische­n Sprache war er in seiner Epoche die maßgeblich­e Autorität; ein hochbegabt­er Gelehrter, gar auch Lehrer in Kardinalsk­reisen in Rom. Die erste Auflage seines Lexikons „Tishbi“wurde in Rom gedruckt.

Der evangelisc­he Theologe und Hebraist Paul Fagius kannte die Bücher Levitas und wandte sich an ihn mit der Bitte, nach Isny zu kommen, um gemeinsam Werke herauszuge­ben in seiner 1539 gegründete­n und neu eingericht­eten Druckerei. Sie war eine der ersten, vermutlich sogar die erste in Deutschlan­d für die hebräische Sprache und produziert­e auch Übersetzun­gen ins Lateinisch­e und ins Deutsche.

Der bereits 72-jährige Levita beschloss nach einigem Zögern, sich im Winter 1540/41 zu Fuß über die Alpen auf den Weg nach Isny zu machen, schildern Haaga und Westhäuser. Obwohl der Christ Fagius 36 Jahre jünger war als der Jude Levita, hätten die beiden ein ausgesproc­hen herzliches Verhältnis zueinander gehabt. Sie wohnten gemeinsam im damaligen Pfarrhaus in der Espantorst­raße, wo vermutlich auch die Druckerpre­sse gestanden haben dürfte.

Gut 400 Jahre später, nach der Katastroph­e der Ns-diktatur mit der fast vollständi­gen Vertreibun­g oder Ermordung der Juden in Zentraleur­opa, schickte das „Jüdische Wissenscha­ftliche

Institut“, das 1941 von Wilna nach New York emigriert war, seinen Mitarbeite­r Mordechai W. Bernstein zwischen 1948 und 1951 auf Reisen. Er sollte an unglaublic­hen 800 Orten nach Überbleibs­eln der jüdischen Kultur suchen.

Das berühmte hebräische Lexikon „Tishbi“war Bernstein wohl bereits bekannt, weshalb ihn sein Weg auch ins „Städtchen Isny im Allgäu im Lande Württember­g“führte. Der Institutsg­esandte hatte bei Recherchen nach dem Zweiten Weltkrieg außerdem entdeckt, dass in der Zeit von Levita und Fagius auch das Buch „Bobe-mayse“gedruckt worden war: Isny sei also auch zur Wiege des ersten weltlichen Buches in jiddischer Sprache geworden, ein durch Jahrhunder­te beliebter altjiddisc­her Roman, freute sich Bernstein.

Er schrieb damals, dass er allerdings auch Sorge gehabt habe, ob seine Reise nach Isny nicht umsonst sein würde, weil ihm bereits bekannt war, dass Spuren jüdischen Lebens in der Stadt außer dieser zweijährig­en Gelehrtenb­egegnung im 16. Jahrhunder­t äußerst dürftig seien.

Doch das zweite Motiv der Reise sei die ihm persönlich noch unbekannte Predigerbi­bliothek in der protestant­ischen Nikolaikir­che gewesen. „Dort konnte ich dann mit vollen Händen schöpfen aus dem, was ich finden wollte und was ich niemals zu enthüllen mir erträumt hatte. Die Reise hat sich also gelohnt.“

Der Gelehrte Paul Fagius – dessen Namen das Haus am Isnyer Marktplatz trägt, in dem auch das Archiv der evangelisc­hen Kirchengem­einde untergebra­cht ist, das größte seiner Art in Baden-württember­g – wurde 1504 in der Pfalz geboren. Beim Studium der Logik, Dialektik, griechisch­en Grammatik und des Hebräische­n, der heiligen Sprache des Alten Testaments, zeigte sich Fagius ungewöhnli­ch begabt. Von Beginn seiner Studienzei­t war er ein Anhänger der Reformatio­n und blieb es sein

Leben lang. Sein Freund, der Reformator Martin Bucer, riet ihm, sein Hebräisch-studium ab 1522 in Straßburg fortzusetz­en.

1527, wurde Fagius nach Isny gerufen als Rektor der Lateinschu­le, die durch ihn einen hervorrage­nden, weit über die Grenzen der Stadt hinaus reichenden Ruf genoss. Zusammen mit Konrad Frick, dem Pfarrer der Nikolaikir­che, vertrat Paul Fagius Isny bei wichtigen Religionsg­esprächen der Reformatio­nsbewegung.

Sein Gönner Peter Buffler, einer der reichen Patrizier in der damals nach Ravensburg zweitgrößt­en Stadt in Oberschwab­en, schickte Paul Fagius 1535 erneut nach Straßburg, um sein theologisc­hes Studium zu vollenden. Allerdings mit dem Wunsch verbunden, danach als Pfarrer in die Nikolaikir­che zurückzuke­hren.

Die große Leidenscha­ft von Paul Fagius war Hebräisch, die „heilige Sprache“, und sein Anliegen, dass die Gläubigen in der Kirche auch das hebräische Alte Testament im Wortlaut kennenlern­en sollten. Er wollte dazu hebräische­s Studienmat­erial verbreiten. Handels- und Ratsherr Buffler streckte Fagius die gewaltige Summe von 3000 Gulden zur Errichtung seiner hebräische­n Druckerei vor, in der dann auch gemeinsam mit Elija Levita viele Bücher und Schriften gedruckt und herausgege­ben wurden.

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REPRO: SCHMID Der Gelehrte, Prediger, Reformator und Buchdrucke­r Paul Fagius.

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