Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Schließung der Schulen muss das letzte Mittel sein“
Grundschulrektor Frank Wiest spricht über den Schulstart nach den Osterferien und Präsenz- und Fernunterricht
- Unterricht im Klassenzimmer oder im Kinderzimmer? Diese Frage beschäftigt die Familien in ganz Deutschland. Ab Montag wird der Großteil der Schüler in Baden-württemberg erst einmal wieder zu Hause bleiben. Ob das sinnvoll ist? Wolfgang Heyer hat bei Frank Wiest, Rektor der Grund- und Werkrealschule auf dem Döchtbühl und Geschäftsführender Schulleiter, nachgefragt.
Herr Wiest, ab Montag sollen nun wieder alle Schüler, bis auf die Abschlussklassen, zu Hause bleiben und per Fernunterricht unterrichtet werden. Wie beurteilen Sie diese Vorgabe des Kultusministeriums?
Seit Beginn der Pandemie müssen wir den Gesundheitsschutz auf der einen Seite und das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Bildung auf der anderen Seite in Einklang bringen. Das ist keine leichte Aufgabe, und die Schließung der Schulen muss das letzte Mittel sein. Die Entscheidung des Kultusministeriums, nach den Osterferien zunächst nur die Abschlussklassen in Präsenz zu unterrichten, ist für alle anderen Schülerinnen und Schüler und deren Familien natürlich sehr schade, weil sie – wie wir alle – das soziale Miteinander, das Sichtreffen und -austauschen, den Unterricht in der Gruppe und in Präsenz brauchen. Wenn man sich jedoch die Infektionszahlen anschaut, ist die Entscheidung, nur die Abschlussklassen in Präsenz zu beschulen, nachvollziehbar. Eine offene Schule bringt eben per se viele Kontakte mit sich.
Wie viele Schüler werden die Notbetreuung an Ihrer Schule in Anspruch nehmen, und wie schwierig ist die Notbetreuung umzusetzen?
Da die Schließung der Schulen, mit Ausnahme für die Abschlussklassen, zunächst nur für eine Woche angekündigt ist, rechne ich mit einer überschaubaren Zahl von Anmeldungen. Aktuell haben wir 18 Anmeldungen. Meine Erfahrung ist, dass sehr viele Familien die Kontaktbeschränkungen sehr ernst nehmen und die Notbetreuung, oftmals trotz widriger Umstände, nur im äußersten Fall in Anspruch nehmen. Personell ist die Umsetzung in der kommenden Woche zu leisten, da kein Wechselunterricht stattfindet. Wenn jedoch Wechselunterricht, Unterricht für besondere Lerngruppen, Prüfungsvorbereitung für die Abschlussklassen und zusätzlich die Notbetreuung umzusetzen sind, ist das personell und planerisch eine Herausforderung.
Ab dem 19. April soll es dann wieder einen Wechselbetrieb für alle Klassenstufen geben, sofern es das Infektionsgeschehen zulässt. Ist dieses Hin und Her aus Ihrer Sicht richtig?
Mir stellt sich die Frage nach der Alternative. Zurzeit fehlen uns leider noch flankierende und unterstützende Maßnahmen, um langfristiger planen zu können. Die Impfkampagne ist noch langsam, die Kontaktnachverfolgung – Stichwort „Corona-warn-app“– ist nicht sehr effektiv, Schnelltests und Strategien für deren Einsatz liegen noch nicht flächendeckend vor. Erst wenn diese Instrumente wirksam werden, werden wir mehr Sicherheit und damit Konstanz und Kontinuität haben.
Welche Vorteile bietet der Präsenzunterricht im Vergleich zum Fernunterricht?
Beim digitalen Fernunterricht haben wir alle viel dazugelernt und besonders in höheren Klassenstufen und in bestimmten Fächern oder Themen ist er ein probates Mittel. Dennoch ist der Unterricht in Präsenz durch nichts zu ersetzen. Die Kinder und Jugendlichen brauchen die realen Begegnungen mit Mitschülern und
Lehrkräften, brauchen den realen Lerngegenstand bei einem physikalischen Versuch, brauchen den realen Lerngang auf die Frühlingswiese. Das Digitale kann das alles ergänzen, aber die realen Begegnungen, die echten Erlebnisse, nicht ersetzen.
Welchen Wunsch haben Sie an das weitere Schuljahr und die Entscheidungsträger?
Die Pandemie wird uns sicherlich noch über dieses Schuljahr hinaus begleiten. Ich wünsche mir, dass wir als Schulgemeinschaft diese außergewöhnliche Situation, diese größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg mit mittlerweile über 75 000 Toten allein in Deutschland, weiterhin im guten Miteinander bewerkstelligen und als Schule sowohl dem Gesundheitsschutz als auch dem Recht der Kinder auf Bildung gerecht werden. Von den Entscheidungsträgern wünsche ich mir Klarheit und eine gut begründete Kommunikation der Entscheidungen. Zudem mehr Zutrauen zu und Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger. Meine Erfahrung ist, dass sehr viele Menschen in der Krise sehr ernsthaft, umsichtig und verantwortlich handeln und bereit sind, auch schwierige Entscheidungen mitzutragen.