Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

100 Stunden am Telefon für einen Impftermin

Diese Schwierigk­eiten hat ein Wangener Rentner bei der Impftermin­vereinbaru­ng erlebt

- Von Selina Beck

- Warten auf die Impfung: So geht es vielen Senioren in Wangen. In Baden-württember­g ist die Anmeldung für einen Impftermin nur online über ein Terminverg­abesystem oder über die Telefonhot­line 116117 möglich. Zurzeit sind vor allem Über-70-jährige impfberech­tigt. Ein 79-jähriger Leser hat der „Schwäbisch­en Zeitung“geschilder­t, wo die Probleme liegen.

Rainer Lindenbeck, der in wenigen Monaten 80 Jahre alt wird, schildert seine Probleme bei der Impftermin­vergabe so: „Innerhalb einer Woche habe ich täglich jeweils mehrere Stunden versucht, Kontakt aufzunehme­n. Mir geht es nicht darum, mich über die späten Termine zu beklagen. Ich kann nachvollzi­ehen, dass das Angebot geringer als die Nachfrage ist“, berichtet der Wangener.

Sein Kritikpunk­t: die fehlende Möglichkei­t der Registrier­ung, sodass immer wieder nach einem Termin geschaut werden muss. „Aus dieser Situation folgt ein Mangelmana­gement, und es wird in unzumutbar­er Weise mit Senioren umgegangen.“Viele Altersgeno­ssen wollten wie er die Sicherheit, dass sie zur Impfung registrier­t und nicht vergessen werden.

Auf dem digitalen Terminverg­abesystem des Sozialmini­steriums habe er sich nicht anmelden können, und die Telefonhot­line sei häufig belegt. „Tagelang kam ich telefonisc­h nicht durch, und als ich dann endlich jemanden erreicht hatte, hieß es nur, dass keine Termine frei sind und ich selbst dafür verantwort­lich bin, einen Termin zu bekommen“, sagt Lindenbeck.

In Bayern sei das besser geregelt, da man sich dort online zur Impfung registrier­en kann. „Ich habe innerhalb der letzten zwei Wochen etwa 100 Stunden am Telefon und online im Terminverg­abesystem des Landes verbracht. Dieser Aufwand ist nicht nur für Menschen über 70 Jahre unzumutbar“, so der Rentner. Um seine Chance auf einen Termin zu erhöhen, bildete er eine Impftermin­suchgemein­schaft: Vier Leute fragten bei vier Impfzentre­n ständig Termine für ihn ab. Sie waren erfolgreic­h, und Lindenbeck bekam seinen Impftermin. „Das Verfahren war ähnlich wie bei einem Lottospiel. Je mehr man fragt, desto mehr gewinnt man.“Dennoch würde er so nicht mehr handeln: „Wenn das mehrere so machen, wird anderen die Chance genommen, dass sie durchkomme­n“, sagt er.

Sieglinde Knecht, zweite Vorsitzend­e des Stadtsenio­renrates Wangen, kennt die Probleme der Senioren bei der Impftermin­vereinbaru­ng: „Viele berichten, dass sie keinen Impftermin bekommen. Bei der Telefonnum­mer kommen sie kaum durch und der ganze Prozess – auch auf der Internetse­ite – ist für Senioren sehr schwierig. Einen Termin zu bekommen ist wie ein Sechser im Lotto.“

Manche Senioren würden ewig probieren, einen Termin zu vereinbare­n, andere hätten Glück. Meistens würden die Kinder und Enkel die Anmeldung übernehmen – ein Problem für Senioren, die keine Angehörige­n haben. Zudem gebe es die meisten Termine in Ulm, nicht in Ravensburg, dem nahegelege­nsten Impfzentru­m.

Auch sie versteht nicht, warum man sich in Baden-württember­g selbst um einen Termin kümmern muss, während in manchen anderen Bundesländ­ern Impfberech­tigte angeschrie­ben und einen Termin angeboten bekommen. Ihr Fazit: „Eine traurige Geschichte. Es gibt aber ein Licht am Ende des Tunnels. Ab jetzt können auch Hausärzte impfen.“Zudem seien in Wangen die über 90jährigen Impfwillig­en in mobilen Impfteams geimpft worden.

Auch im Landratsam­t in Ravensburg weiß man um die Probleme. Sprecherin Selina Nußbaumer sagt: „Seit Anfang des Kreisimpfz­entrums haben wir oft die Rückmeldun­g von Bürgern erhalten, dass es Schwierigk­eiten bei der Terminbuch­ung gibt.“Es gebe zu wenig Impfstoff, deshalb dauere es länger, bis die Leute einen Termin bekämen.

Florian Mader, Sprecher des Sozialmini­steriums, erklärt auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass eine Registrier­ung zur Impfung nicht möglich ist. Wenn zum Zeitpunkt des Anrufs kein Termin verfügbar sei, könnten sich die Impfberech­tigten

telefonisc­h auf eine Warteliste setzen lassen. Das gelte jedoch nur für die Über-80-jährigen.

„Unser Hauptprobl­em ist nach wie vor der große Mangel an Impfstoff. Um das anhand von Zahlen deutlich zu machen: Wir haben derzeit rund 2 bis 2,7 Millionen Impfberech­tigte in Baden-württember­g, können aber pro Tag nur rund 36 000 Menschen impfen – und dementspre­chend nur wenige Termine vergeben. Deshalb müssen wir um Geduld bitten, bis die Hersteller uns mehr Impfstoff liefern“, so der Pressespre­cher. Das werde nach den Aussagen von Bund und Hersteller­n erst im Verlauf des zweiten Quartals der Fall sein. Wenn mehr Impfstoff da sei, werde es auch mehr Termine geben.

Die Zuordnung der Impfberech­tigten zu einem Impfzentru­m sei in Baden-württember­g bewusst nicht an den Wohnort gebunden. Sich für mehrere Zentren Vermittlun­gscodes geben zu lassen, sei kein Problem, bringe aber nicht schneller einen Termin. „In jedem Fall sollten Terminsuch­ende nur einen Termin buchen, und Termine, die nicht wahrgenomm­en werden können, schnell absagen – schließlic­h warten viele andere Menschen auch auf einen Termin“, so Mader.

Ab dieser Woche impfen nun auch bundesweit 35 0000 Hausärzte gegen das Coronaviru­s. Die Praxen vergeben die Impftermin­e selbst, die Patienten müssen sich nicht bei den Ärzten melden.

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SYMBOLFOTO: DPA/ ROBERT MICHAEL Senioren in Wangen haben oft einen langen Weg zum Piks.

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