Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Biedermänner mit tödlicher Phantasie
In Stuttgart hat der Prozess gegen eine Bande mutmaßlicher Rechtsterroristen begonnen
- Der von Weitem angereiste niederländische Journalistenkollege staunt und fragt dann vorsichtig: „Diese Leute sollen wirklich den gewaltsamen Nazi-umsturz in Deutschland geplant haben?“Wer da am Dienstag alles als Angeklagter in den Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Stuttgart geführt worden ist, wirkt höchst grau und durchschnittlich: zwölf Männer mittleren Alters mit meist schütterem Haar oder gleich einer Glatze. Vielfach tragen die Herren Bauchansatz. Überwiegend schlabbern ihre Hosen um formlose Hinterteile.
Eigentlich hätte man sich Nazi-revoluzzer wehrsportgestählt vorgestellt. Eine naive Fehleinschätzung. Zudem eine gefährliche, wie die Bundesanwaltschaft im Sitzungssaal klarmacht. Die Angeklagten „zielten darauf ab, mit ihrer Vereinigung die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern“, sagt eine Vertreterin der Anklage. „Zu diesem Zweck sollten durch Angriffe auf Moscheen und die Tötung oder Verletzung von einer möglichst großen Anzahl dort anwesender muslimischer Gläubiger bürgerkriegsähnliche Zustände herbeigeführt werden.“
Die Bundesanwaltschaft hält die aus dem ganzen Bundesgebiet stammenden Angeklagten für gut vernetzt im rechtsextremen Milieu. Es habe Bemühungen zum Waffenhorten gegeben, ebenso enge Kontakte zu möglichen Waffenlieferanten. Was heißt, dass nach Einschätzung der Ermittler nicht nur die Absicht für Anschläge vorhanden war, sondern auch das Potenzial, tatsächlich zuzuschlagen. Bis Juli 2022 sind rund 120 Verhandlungstage terminiert. Über 1000 Zeugen sollen registriert sein. Ein Mammutprozess für die Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts.
Managen muss den Ablauf der Vorsitzende Richter Herbert Anderer. Er gilt in solchen Fällen als sehr erfahren und penibel. Ort des Geschehens ist sinnigerweise der Hochsicherheitstrakt im Stuttgarter Teilort Stammheim, bekannt geworden durch die Prozesse gegen Verbrecher der Roten Armee Fraktion in den 1970er-jahren, Älteren auch als Baader-meinhof-bande bekannt. Seitdem sind Prozesse mit Terrorzusammenhang im Bereich des Stuttgarter Oberlandesgerichts generell hier. Auf größere Sicherheitsmaßnahmen ist man vorbereitet. So sind auch am Dienstag Bereitschaftspolizisten aufmarschiert. Zum einen hat die linke Antifa eine Demonstration gegen rechts angekündigt. Des weiteren gibt es Spekulationen, Gesinnungsgenossen der Angeklagten könnten einfallen. Solche Erfahrungen hat die Justiz unter anderem beim Nsu-prozess in München gemacht.
Vorerst bleibt aber alles ruhig – draußen wie drinnen. Im Saal führen stämmige Justizwachtmeister die Angeklagten in Handfesseln zu den Plätzen, die wegen Corona mit Plexiglasscheiben abgeschirmt sind. Manch einer der Beschuldigten schwankt bedenklich, weil er einen Aktenordner als Fotoabwehr vors Gesicht hält und deshalb weniger sieht. Soweit es sich erkennen lässt, ist unter den Letzten beim Hereinführen Werner S., der Rädelsführer, wie die Bundesanwaltschaft glaubt. Er versuchte praktisch auf Teufel komm raus neue Rekruten anzulocken: „Intelligent, hart, brutal, schnell und zügig“sollten sie laut überwachten Chats sein – also brauchbar für den „bewaffneten Kampf“, wie Werner S. vorgab.
Nach ihm wurde auch das mutmaßliche Terrorteam benannt: Gruppe S. Intern haben sich die braunen Kameraden lieber als „der harte Kern“gesehen. Sie ließen ihren Hass auf andere wachsen, stachelten sich mit immer übleren Beschimpfungen ihrer erklärten Gegner an, in erster Linie Migranten. Diese wurden in abgehörten Telefonaten oder Chatgruppen als „Kakerlaken“und „Untermenschen“bezeichnet. Muslime sollten ins „Konzentrationslager“.
Die meisten der Bandenmitglieder sind nicht urplötzlich wie aus dem Sumpf rechtsextremer Verwirrung und Mordphantasien aufgetaucht. Im Gegenteil: Sie waren dort schon länger verwurzelt. Die Spur führt zu Bruderschaften im Nazigeiste oder Möchtegern-bürgerwehren:
„Freikorps Heimatschutz Division 2016 – das Original“, „Bruderschaft Deutschland“oder „Vikings Security Germania“. Banden mit bombastischen Namen wie sie die rechte Szene liebt. So war Werner S. bei „Wodans Erben Germanien“mit dabei, einer 2019 aufgetauchten Nachfolgegruppe der ebenso rechtsextremen „Soldiers of Odin“.
Bereits der Name führt tief in die wirre Welt der Angeklagten hinein. Mit Wodan – oder auch Odin – wird der germanische Chefgott beschrieben. Mit ihm verknüpft die Szene gerne ein von Filmen und Internetspielen aufgepepptes gewalttätiges Wikingertum jenseits der historischen Wirklichkeit. Es verspricht heroische Erlebnisse. Im tatsächlichen Leben ist es mit dem Abenteurertum der Deliquenten hingegen nicht weit her. Sie sind Fliesenleger, Gas- und Wasserinstallateur, Trockenbauer, Hilfsarbeiter oder arbeitslos. Einer war Sachbearbeiter in einer Polizeidienststelle.
Der mutmaßliche Anführer Werner S. soll sich seine Brötchen zuletzt als Trödelhändler in der Augsburger Gegend verdient haben. Einige bezeichnen sich als verheiratet, andere als verlobt oder alleinstehend.
So bieder wie ihr tägliches Dasein kommt sinnigerweise auch der Namen des Platzes daher, auf dem die Bande laut Bundesanwaltschaft gegründet wurde: Hummelgautsche, ein idyllisch von Fichten und Buchen umgebener Spielplatz bei Alfdorf im Welzheimer Wald. Zwischen Kinderwippe und Grillplatz durften 15 Männer und eine Frau am 28. September
2019 von einem irgendwie gearteten Germanentum träumen. Was außerhalb der Köpfe geschah, ist sogar recht gut bekannt. Die Gruppe war bereits auf dem Radar der Polizei. Speziell Werner S. stand offenbar bereits unter Überwachung. Die Staatsgewalt hatte ihn Monate vorher als „Gefährder“eingestuft.
So war nach vorliegenden Informationen ein mobiles Einsatzkommando zwecks Beobachtung zur Hummelgautsche angerückt. Es sah Gruppenmitglieder in Kleidung mit rechtsextremen Symbolen. Die Beamten konnten zuschauen, wie mit Streitäxten geworfen wurde. Für weitere Informationen konnten sie aber schon kurz darauf einen Informanten gewinnen: U., eine weitere seltsame Erscheinung in den braunen Kreisen. Der Mann hatte bereits mehr als 20 Jahre hinter Gittern verbracht – etwa wegen räuberischer Erpressung und der Geiselnahme eines Polizisten.
Nach seiner jüngsten Haftentlassung 2017 führten seine Schritte jedoch zeitweise zu „Wodans Erben Germanien“. Im Sommer 2019 stieß er nach eigenen Angaben in einer rechtsextremen Chatgruppe auf Werner S. Dieser sei ihm aber nach einigen Wochen zu suspekt geworden. Die Radikalisierung von Werner S. habe sich beschleunigt. Weshalb Paul-ludwig U. sagt, er habe den Kontakt zu den Sicherheitsbehörden gesucht. Was ihn die folgenden Monate zum Hauptinformanten der Polizei gemacht hat – und danach zum Kronzeugen. Der Lohn dafür: Er sitzt als Einziger aus der Gruppe nicht in
Haft, durchläuft dafür aber ein Zeugenschutzprogramm – übrigens mit gutem Grund. Gegen Werner S. gibt es den Vorwurf, er habe in der Uhaft über einen Mafiosi einen Auftragskiller für U. gesucht. Dessen Tod sei ihm 50 000 Euro wert gewesen, besagen Medien-recherchen.
Die Polizei soll dann tatsächlich nach weiteren Hinweisen des Informanten zugeschlagen haben. Es ging darum, dass Werner S. Dampf machte. Er wollte Taten sehen, das heißt, Morde begehen. Innerhalb der Bande sollten 50 000 Euro für Waffenkäufe gesammelt werden. Was bisher im Arsenal war, kann für die Idee einer ausgedehnten Revolte als eher bescheiden bezeichnet werden: vor allem verbotene Messer, Handgranatenmodelle, eine selber gebaute Flinte, Signalpistolen. Nur Werner S. soll eine halbautomatische Kurzwaffe gehabt haben. Aufrüstung tat in den Augen der braunen Kameraden Not.
Am 14. Februar 2020 wurden großangelegte Razzien in mehreren Bundesländern angesetzt – das Ende der Gruppe. Auf Ermittlerseite geht man davon aus, dass sie letztlich rund 24 Mitglieder gehabt habe. Weitere Abklärungen sollen folgen. Hinzukomme aber noch ein irgendwie geartetes Unterstützerumfeld. Wer plötzlich in solchen Kreisen auftauchen kann, wird am Beispiel Michael B. deutlich. Er gehört zum engeren Kreis um Werner S. und stammt aus Kirchheim unter Teck.. Michael B. hat Familie, betrieb ein Minigeschäft in der Metallbranche und war in der
Stadt als Sportler bekannt. Er muss sich im Stillen radikalisiert haben. Der unauffällige Nachbar mutierte zum Nazi.
Solch unliebsame Überraschungen gibt es immer wieder. Im sonst so idyllischen württembergischen Allgäu fielen beispielsweise 2017 und 2019 rechtsextreme Konzerte auf Gehöften auf, die niemand als Bastionen für Verfassungsfeinde auf dem Schirm hatte. Nur die Musikmacher waren länger bekannt: Voice of Anger, einer seit Langem vom bayerischen Verfassungsschutz registrierten Gruppe. Sie hatte zuletzt bei Memmingen eine Art Vereinsheim.
Mitarbeiter des politisch linksgerichteten Online-mediums „allgaeurechtsaussen.de“beobachten die dortig Szene seit Jahren. Sie gehen davon aus, dass es verfestigte Nazistrukturen in der ansonsten eher als Feriengegend bekannten Region gibt. Wobei Verfassungsschützer nicht so weit gehen möchten. Aber auch sie waren 2016 überrascht, als sie an einem schönen Oktobertag einen rechtsextremen Reisestrom von Deutschland aus in die Ostschweiz feststellen mussten, genauer ins Toggenburg südlich des Bodensees, einer Ferienregion. 6000 Nazis sollen dort nach Behördenangaben für ein Konzert zusammengekommen sein – der Löwenanteil aus Deutschland.
Ein Blick in den baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht verschafft weitere Eindrücke, wo Rechtsextreme auftauchen können. So ist darin eine „Kameradschaft Höri-bodensee“notiert. Es finden sich die „Freien Kräfte Schwarzwald-baar-heuberg“, auch die „Kameradschaft Freudenstadt“. In diesem Zusammenhang weisen die Verfassungsschützer daraufhin, dass sich die Mitgliedergewinnung und Ideologieverbreitung verstärkt ins Internet verlagert habe. Eine besondere Gefahr gehe dabei von „militanten Kleingruppen und radikalisierten Einzelpersonen aus“– wie es ja auch bei der Gruppe S. nachvollzogen werden kann.
Wollte sie nun tatsächlich losschlagen? Oder ging es nur um Maulhelden-terrorismus? Die 27 Anwälte der Angeklagten stellen den Willen zur Tat infrage. „Wir haben keine homogene Gruppe. Nicht alle haben an einem Strang gezogen“, sagt etwa Daniel Sprafke, einer der Anwälte. Es gebe individuelle Unterschiede, die sich auch auf die Schuld auswirken würden. Ein besonderer Augenmerk gelte dem Kronzeugen U. Seine kriminelle Vergangenheit lege den Verdacht nahe, er habe sich den Vermittlern nur angedient, um die eigene Haut zu retten. Jedenfalls hat der Verteidiger seine Lebensplanung bereits auf den Prozess eingestellt – und nicht nur bis 2022, wie es der Plan des Oberlandesgerichts bis jetzt vorsieht. „Das kann locker bis 2023 dauern“, schätzt er.