Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Der Kosmopolit
Der 50-jährige Kunsthistoriker Andrea Lissoni (Foto: Haus der Kunst) aus Mailand hat in Pavia studiert und wurde 2011 in Udine mit der Arbeit „Variavision – Beyond the threshold of disciplines“promoviert. Lissoni hat unter anderem als Kurator in Paris, Mailand und Taschkent gearbeitet. 2014 begann er an der Tate Modern in London als Kurator für Film und internationale Kunst. Seit April 2020 ist Lissoni Künstlerischer Direktor des Hauses der Kunst in München. (sigg)
Sie das Haus der Kunst mit seiner Monumentalität?
Ich habe am Hangar Bicocca in Mailand gearbeitet, das ist eine riesige alte Fabrik mit 30 Meter hohen Räumen. Dort sind die „Kiefer Towers“seit 2004 installiert. Dann kam die Tate Modern mit der 40 Meter hohen Turbinenhalle. Kürzlich habe ich das Berghain in Berlin zum ersten Mal bei Tageslicht gesehen. Das sind noch einmal ganz andere Dimensionen, und selbst da fühlen sich die Menschen nicht klein. Nein, für mich ist das Haus der Kunst weder schrecklich noch riesig groß. Abgesehen davon ist diese Empfindung immer relativ, ich habe jahrelang Basketball gespielt. Also was ist hoch? Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, auf wen dieses Gebäude zurückgeht, wie es ursprünglich genutzt wurde.
Wie stehen Sie denn zu den Sanierungsplänen von David Chipperfield?
Er hat doch einen sehr interessanten Vorschlag gemacht. Wenn man sich hier etwas länger aufhält, will man das Haus einfach zum Park hin öffnen. Das drängt sich auf. Chipperfields Pläne sind für mich sehr inspirierend, und ich hoffe, dass wir sie hier irgendwann angehen können. Aber momentan ist das kein Thema.
Sie sind der erste Museumsdirektor, der sagt, mein Haus kann warten.
Schulen, Krankenhäuser oder Altersheime gehen jetzt vor. Wir haben in München das Lenbachhaus, die Lothringer Halle, die Villa Stuck, den Kunstverein, die Pinakotheken und noch mehr. Alle diese Institutionen befinden sich in einem Veränderungsprozess, und wenn wir wissen, was im Haus der Kunst Sinn macht, kann man sanieren. Zuerst aber sollten wir den Westflügel wieder einbeziehen und das ganze Gebäude bespielen. Nicht alles gleichzeitig, das wäre zu viel. Im Juni öffnen wir zum Beispiel die Mittelhalle mit Jacolby Satterwhite. Wir zeigen nur die Hälfte des Kunstwerks, die andere folgt im Oktober.
Was wird sich noch verändern?
In den letzten 20 Jahren hat sich alles um die Logistik gedreht, vom Transport bis zu den Versicherungen. Immer ging es um Ausstellungen über drei, vier Monate und am besten mit einem großen Namen. Ich meine, man kann genauso mehrere sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler zu kleineren Ausstellungen einladen. Nur für zwei Tage zum Beispiel. So kommt schon viel mehr Diversität ins Spiel, und wir sind flexibler.
Sie haben nicht die Last einer Sammlung, müssen aber ständig etwas Vorzeigbares organisieren. Am Anfang hatte ich tatsächlich das Gefühl, mir fehlt eine solche Basis. Aber wir haben gerade mit der Sammlung Goetz wunderbare Möglichkeiten. Und ehrlich: Am Haus der Kunst mit diesem historischen Zusammenhang keine Sammlung zu haben, ist sicher ein Segen. Stellen Sie sich vor, was hier gesammelt worden wäre. Hoch problematisch!