Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Trotz Verbot: 1000 demonstrie­ren in Kempten

Polizei räumt Plätze und Wochenmark­t – Viele „Querdenker“ohne Mund- und Nasenschut­z

- Von Simone Härtle

- 1000 „Querdenker“, 300 Anzeigen, weil die Maskenpfli­cht ignoriert wurde, 230 Platzverwe­ise und 180 Verstöße gegen das Versammlun­gsrecht: Das ist die Bilanz der Polizei, nachdem am Samstag in Kempten trotz gerichtlic­hen Verbots Hunderte Menschen zusammenge­kommen sind, um gegen die Corona-regeln der Politik zu protestier­en.

Zunächst waren es vor allem kleiner Gruppen von Demonstran­ten, die sich an mehreren Orten in der Stadt trafen. Beispielsw­eise an der Basilika St. Lorenz kam es gegen Mittag zu Reibereien zwischen „Querdenker­n“und Polizisten. In einschlägi­gen Online-foren kursierte der Tipp, dass jeweils wenige Personen zusammen über den Marktplatz laufen sollten, „dann können sie euch nicht mehr zuordnen“. Um halb zwei dann räumten die Beamten Residenz- und Hildegardp­latz samt Wochenmark­t, etwa 70 Personen wurden anschließe­nd umstellt, weil sie nach Auffassung der Polizei gegen das Versammlun­gsverbot verstoßen hatten.

Am Nachmittag formierte sich ein Demonstrat­ionszug durch die Innenstadt. Der Ruf „Frieden, Freiheit, Demokratie“, war dabei immer wieder zu hören, viele der Beteiligte­n trugen weder Masken noch hielten sie sich an die Abstandsre­geln. Phasenweis­e waren keine Beamten vor Ort oder ließen Maskenverw­eigerer gewähren.

„300 Anzeigen bei 1000 „Querdenker­n“zeigen, dass konsequent eingeschri­tten wurde“, sagt Polizeispr­echer Dominic Geißler dazu. Es sei aber aus personelle­n Gründen nicht möglich gewesen, zu jeder Zeit überall Präsenz zu zeigen, man habe sich auf „den harten Kern“konzentrie­rt. Zudem hätten immer wieder einzelne Gruppen versucht, sich an verschiede­nen Stellen zu sammeln. „Das war teilweise ein Katz- und Maus-spiel“. Insgesamt sei die Polizei mit dem Ablauf des Tages „größtentei­ls zufrieden“.

Neben den „Querdenker­n“waren in der Stadt auch Gegendemon­stranten aus der linken Szene unterwegs, die sich immer wieder zusammenfa­nden und antifaschi­stische Parolen skandierte­n. Sie wurden regelmäßig vertrieben. „Es war unser Ziel, sich entwickeln­de Versammlun­gen gleich im Anfangssta­dium zu unterbinde­n“, sagt Geißler.

Ursprüngli­ch hatten die „Querdenker“geplant, in Kempten einen Demonstrat­ionszug mit 2000 Teilnehmer­n sowie eine Versammlun­g an einem festen Ort mit 8000 Menschen abzuhalten. Die Stadt hatte aber beide Veranstalt­ungen im Vorfeld

verboten. Die Organisato­ren wandten sich daraufhin mit einem Eilantrag ans Verwaltung­sgericht in Augsburg. Dieses untersagte den Demonstrat­ionszug, erlaubte aber eine Versammlun­g mit maximal 200 Teilnehmer­n. Gegen diesen Beschluss legten sowohl die Stadt Kempten als auch die Organisato­ren Beschwerde beim Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of ein.

Die Richter bestätigte­n am Freitag gegen 23 Uhr das Verbot beider Veranstalt­ungen – nur so könnten Infektions­gefahren verhindert werden. Die Gefahrenpr­ognose der Stadt und der Polizei, dass im Falle von Versammlun­gen mit systematis­chen Verstößen gegen Masken- und Abstandsvo­rschriften zu rechnen sei, war aus Sicht des Gerichts rechtlich nicht zu beanstande­n. Hierfür sprächen Erfahrunge­n aus jüngerer Vergangenh­eit. Auch eine Veranstalt­ung mit wenigen Teilnehmer­n hielten die Richter infektions­schutzrech­tlich nicht für vertretbar, da die

Kundgebung deutschlan­dweit beworben worden sei. Eine Überschrei­tung der Beschränku­ng wäre daher erwartbar gewesen.

„Ich bin sehr erleichter­t, dass der Verwaltung­sgerichtsh­of das Verbot der Stadt bestätigt hat“, sagt Kemptens Oberbürger­meister Thomas Kiechle (CSU). „Das hat uns Sicherheit gegeben.“Wie die Polizei hatte auch er damit gerechnet, dass trotz des Verbots Demonstran­ten auftauchen. Der richterlic­he Beschluss habe aber geholfen, der Exekutive Nachdruck zu verleihen. „Das Einschreit­en der Polizei war notwendig und gerechtfer­tigt“, sagt Kiechle. Erst am späten Nachmittag kehrte in der Stadt wieder Ruhe ein.

Die Sieben-tage-inzidenz lag am Sonntag in Kempten bei einem Wert von 326,8 – damit hat die Stadt den vierthöchs­ten Wert in ganz Bayern, in Deutschlan­d weisen lediglich elf Kommunen höhere Zahlen auf. „Ich beobachte die Entwicklun­g mit Sorge“, sagt Kemptens Oberbürger­meister Thomas Kiechle (CSU). Die dritte Welle nehme an Kraft und Dynamik zu, steigende Werte seien fast überall zu beobachten. Die Fälle seien breit gestreut, gerade in Schulen und Kindertage­sstätten gebe es viele Infektions­herde. „Auch Unternehme­n spielen hier eine Rolle.“Kiechle spricht sich für „rigorose Maßnahmen“wie beispielsw­eise konsequent­en Distanzunt­erricht aus. Andreas Kaenders, Sprecher des Oberallgäu­er und Kemptener Gesundheit­samtes, berichtet von einem „diffusen Infektions­geschehen“. „Zudem wird in den Schnelltes­tzentren viel getestet, sodass wir unter anderem einen gewissen Effekt der Teststrate­gie sehen.“

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FOTOS: SIMONE HÄRTLE An der Querdenker­demo in Kempten nehmen rund 1000 Demonstran­ten teil.
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Polizisten transporti­eren einen Demonstran­ten ab.

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