Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Trotz Verbot: 1000 demonstrieren in Kempten
Polizei räumt Plätze und Wochenmarkt – Viele „Querdenker“ohne Mund- und Nasenschutz
- 1000 „Querdenker“, 300 Anzeigen, weil die Maskenpflicht ignoriert wurde, 230 Platzverweise und 180 Verstöße gegen das Versammlungsrecht: Das ist die Bilanz der Polizei, nachdem am Samstag in Kempten trotz gerichtlichen Verbots Hunderte Menschen zusammengekommen sind, um gegen die Corona-regeln der Politik zu protestieren.
Zunächst waren es vor allem kleiner Gruppen von Demonstranten, die sich an mehreren Orten in der Stadt trafen. Beispielsweise an der Basilika St. Lorenz kam es gegen Mittag zu Reibereien zwischen „Querdenkern“und Polizisten. In einschlägigen Online-foren kursierte der Tipp, dass jeweils wenige Personen zusammen über den Marktplatz laufen sollten, „dann können sie euch nicht mehr zuordnen“. Um halb zwei dann räumten die Beamten Residenz- und Hildegardplatz samt Wochenmarkt, etwa 70 Personen wurden anschließend umstellt, weil sie nach Auffassung der Polizei gegen das Versammlungsverbot verstoßen hatten.
Am Nachmittag formierte sich ein Demonstrationszug durch die Innenstadt. Der Ruf „Frieden, Freiheit, Demokratie“, war dabei immer wieder zu hören, viele der Beteiligten trugen weder Masken noch hielten sie sich an die Abstandsregeln. Phasenweise waren keine Beamten vor Ort oder ließen Maskenverweigerer gewähren.
„300 Anzeigen bei 1000 „Querdenkern“zeigen, dass konsequent eingeschritten wurde“, sagt Polizeisprecher Dominic Geißler dazu. Es sei aber aus personellen Gründen nicht möglich gewesen, zu jeder Zeit überall Präsenz zu zeigen, man habe sich auf „den harten Kern“konzentriert. Zudem hätten immer wieder einzelne Gruppen versucht, sich an verschiedenen Stellen zu sammeln. „Das war teilweise ein Katz- und Maus-spiel“. Insgesamt sei die Polizei mit dem Ablauf des Tages „größtenteils zufrieden“.
Neben den „Querdenkern“waren in der Stadt auch Gegendemonstranten aus der linken Szene unterwegs, die sich immer wieder zusammenfanden und antifaschistische Parolen skandierten. Sie wurden regelmäßig vertrieben. „Es war unser Ziel, sich entwickelnde Versammlungen gleich im Anfangsstadium zu unterbinden“, sagt Geißler.
Ursprünglich hatten die „Querdenker“geplant, in Kempten einen Demonstrationszug mit 2000 Teilnehmern sowie eine Versammlung an einem festen Ort mit 8000 Menschen abzuhalten. Die Stadt hatte aber beide Veranstaltungen im Vorfeld
verboten. Die Organisatoren wandten sich daraufhin mit einem Eilantrag ans Verwaltungsgericht in Augsburg. Dieses untersagte den Demonstrationszug, erlaubte aber eine Versammlung mit maximal 200 Teilnehmern. Gegen diesen Beschluss legten sowohl die Stadt Kempten als auch die Organisatoren Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein.
Die Richter bestätigten am Freitag gegen 23 Uhr das Verbot beider Veranstaltungen – nur so könnten Infektionsgefahren verhindert werden. Die Gefahrenprognose der Stadt und der Polizei, dass im Falle von Versammlungen mit systematischen Verstößen gegen Masken- und Abstandsvorschriften zu rechnen sei, war aus Sicht des Gerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Hierfür sprächen Erfahrungen aus jüngerer Vergangenheit. Auch eine Veranstaltung mit wenigen Teilnehmern hielten die Richter infektionsschutzrechtlich nicht für vertretbar, da die
Kundgebung deutschlandweit beworben worden sei. Eine Überschreitung der Beschränkung wäre daher erwartbar gewesen.
„Ich bin sehr erleichtert, dass der Verwaltungsgerichtshof das Verbot der Stadt bestätigt hat“, sagt Kemptens Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU). „Das hat uns Sicherheit gegeben.“Wie die Polizei hatte auch er damit gerechnet, dass trotz des Verbots Demonstranten auftauchen. Der richterliche Beschluss habe aber geholfen, der Exekutive Nachdruck zu verleihen. „Das Einschreiten der Polizei war notwendig und gerechtfertigt“, sagt Kiechle. Erst am späten Nachmittag kehrte in der Stadt wieder Ruhe ein.
Die Sieben-tage-inzidenz lag am Sonntag in Kempten bei einem Wert von 326,8 – damit hat die Stadt den vierthöchsten Wert in ganz Bayern, in Deutschland weisen lediglich elf Kommunen höhere Zahlen auf. „Ich beobachte die Entwicklung mit Sorge“, sagt Kemptens Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU). Die dritte Welle nehme an Kraft und Dynamik zu, steigende Werte seien fast überall zu beobachten. Die Fälle seien breit gestreut, gerade in Schulen und Kindertagesstätten gebe es viele Infektionsherde. „Auch Unternehmen spielen hier eine Rolle.“Kiechle spricht sich für „rigorose Maßnahmen“wie beispielsweise konsequenten Distanzunterricht aus. Andreas Kaenders, Sprecher des Oberallgäuer und Kemptener Gesundheitsamtes, berichtet von einem „diffusen Infektionsgeschehen“. „Zudem wird in den Schnelltestzentren viel getestet, sodass wir unter anderem einen gewissen Effekt der Teststrategie sehen.“