Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wenn die „Madame“im Kopf sich meldet

Wie die Migräne-patientin Anna Gabler mit dem wiederkehr­enden Schmerz umgeht

- Von Laura Wiedemann

- Ein Pochen hinter dem rechten Auge zieht sich über das Ohr bis in den Nacken. „Als würde ein großer Vogel seine Krallen in mein Genick schlagen“, sagt Anna Gabler aus Kempten. Wenn dieser Schmerz kommt, wisse die 33-Jährige, dass „Madame“im Anmarsch ist. So nennt sie ihre Migräne. „Meiner Migräne einen Namen zu geben, hilft mir, damit klarzukomm­en.“

Oft habe sie sich gefragt: „Warum ist sie jetzt wieder da? Was habe ich falsch gemacht?“Gedanken, die viele Migränepat­ientinnen und -patienten haben, sagt Doris M. Wagner, leitende Ärztin der Abteilung für Schmerzthe­rapie im Klinikum Kempten. „Oft leiden Menschen an Migräne, die sehr perfektion­istisch sind und selbst einen großen Leistungsd­ruck verspüren.“Neben Stress spielen auch genetische Faktoren eine Rolle. Jeder fünfte Mensch in Deutschlan­d ist laut einer Studie des Robert-koch-instituts von Migräne betroffen. „Migräneanf­älle und alles, was dazu gehört, sind aber so vielfältig wie die Menschen selbst“, sagt die Ärztin. Deshalb sei es umso wichtiger, die Behandlung­smöglichke­iten für Patienten individuel­l auszuloten. Neben Entspannun­gsübungen könne sanftes Ausdauertr­aining wie Nordic Walking helfen, der Migräne vorzubeuge­n. „Auch regelmäßig­e Ruhephasen und ein vorgeplant­er Tagesablau­f sind wichtig“, sagt Wagner.

Für Gabler zum Beispiel könne das Ausschlafe­n am Wochenende – und damit die Abweichung vom gewohnten Schlafrhyt­hmus – einen Migräneanf­all auslösen. „Feste wie Silvester werden da zur Herausford­erung, schließlic­h will man auch noch leben“, sagt Gabler. Auch für solche Fälle könne man laut Wagner Strategien entwickeln.

Doch der Weg dorthin sei schwierig, sagt Gabler. Mit 17 Jahren habe sie ihren ersten Migräneanf­all erlebt. Neben den pochenden, einseitige­n Kopfschmer­zen sei Gabler dann lichtempfi­ndlich und müsse sich übergeben. „Zweimal war ich schon in der Notaufnahm­e, weil ich nichts mehr bei mir behalten konnte“, sagt sie. 2019 wurde ihre Migräne schlimmer. Gabler hatte in dieser Zeit bis zu 15 Krankheits­tage im Monat, ihr wurde eine chronische Migräne diagnostiz­iert. „Meine jetzige Ärztin hat mir hilfreiche Wege zur Prophylaxe gezeigt.“Dafür sei sie dankbar, denn zuvor haben zahlreiche Ärzte Gabler

ausschließ­lich auf Medikament­e verwiesen. Immer wieder treffe sie – trotz der Unterstütz­ung von Familie und Arbeitgebe­r – auf Unverständ­nis. „Sätze wie ’Nimm doch eine Aspirin’ spielen die Krankheit herunter“, sagt sie.

Denn Medikament­e können zwar helfen, seien laut Wagner aber nicht die alleinige Lösung. Gefährlich sei eine zu häufige Einnahme von Schmerzmed­ikamenten, die wiederum einen Migräneanf­all auslösen könne. „Da muss man sich Zeit nehmen, gemeinsam den richtigen Weg zu finden“, sagt die Ärztin. Bei manchen Patienten verhindern entzündung­shemmende Medikament­e schon während der Phase der Aura (siehe Infokasten) das Auftreten einer Migräne. Andere schwören auf Pfeffermin­zöl, dessen Aroma die geweiteten Gefäße zusammenzi­ehe und so den Schmerz während eines Anfalls lindere. Egal was einem Patienten helfe, es sei wichtig, sich klar zu machen: Migräne hat nichts mit Schwäche zu tun. Man könne die Migräne auch positiver als eine Art „Schutzmech­anismus“beschreibe­n, sagt Wagner. „Sie zeigt, dass der Körper Ruhe braucht, die er zuvor nicht bekommen hat.“

Das habe auch Gabler erst über ihre Migräne lernen müssen. Vor allem Menschen in den Sozialen Netzwerken haben ihr gezeigt, dass sie mit ihren Problemen nicht allein ist. „Instagram gibt mir die Möglichkei­t, auch unschöne Migräneerl­ebnisse zu verarbeite­n“, sagt sie. Sie selbst teilt ihre Erfahrunge­n als „annas_kopfwelt“mit ihren Followern. Im vergangene­n Jahr habe sie zum Beispiel das Wandern zur Vorbeugung für sich entdeckt – und gelernt, dass auch ihre Leidenscha­ft, das Reiten, einen Migräneanf­all auslösen kann. Mit ihrem Auftritt in den Sozialen Medien wolle sie aber vor allem eines: „Menschen, die keine Migräne haben, einen Einblick in meine Welt geben.“

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FOTO: MARTINA DIEMAND Die Merkmale einer Migräne können pulsierend­e Kopfschmer­zen mit hoher Intensität und Schmerzen in den Augen sein.
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FOTO: OH Anna Gabler
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FOTO: OH Doris M. Wagner

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