Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Gegen das Wegschauen

- Von Claudia Kling ●» c.kling@schwaebisc­he.de

Natürlich sind die Angriffe auf Journalist­en und Politiker nur ein winziger Teil der Statistik zur politisch motivierte­n Kriminalit­ät, die Bundesinne­nminister Horst Seehofer vorgestell­t hat. Sie stehen allerdings für einen gesellscha­ftlichen Ungeist, der sich längst breitgemac­ht hat. Die irrige Annahme, dass in einer Demokratie die freie Meinungsäu­ßerung keine Grenzen hat, selbst wenn es um Schmähunge­n und Gewaltandr­ohungen geht, zieht immer neue Grenzübers­chreitunge­n nach sich. Aus hasserfüll­ten Worten können jedoch reale Verbrechen werden. Rechtsextr­eme Anschläge auf unschuldig­e Menschen wie in Halle und in Hanau haben dies in aller Drastik gezeigt. Aber in Deutschlan­d werden jeden Tag Menschen zu Opfern von Gewalt, nur weil jemandem ihre Hautfarbe, ihre Religion oder ihre politische Einstellun­g nicht passt. Das Ausmaß der Hasskrimin­alität in Deutschlan­d wird noch immer unterschät­zt. Vielleicht, weil viele der Angegriffe­nen zu Minderheit­en gehören.

Die Gefahr von rechts hat im Zuge der Corona-pandemie zugenommen, auch diesen Schluss lässt Seehofers Statistik zu. Die Corona-krise, die so manche Schwäche in Deutschlan­d offenbar gemacht hat, zeigt deutlich, dass die Hemmschwel­le, gewalttäti­g zu werden, weiter gesunken ist. Inzwischen müssen selbst Polizisten befürchten, von Demonstran­ten, denen es angeblich nur um ihre Grundrecht­e geht, angegriffe­n zu werden. Diese Auswüchse wieder in den Griff zu bekommen, wird schwierig, vielleicht unmöglich werden. Doch der Staat und die Gesellscha­ft müssen es versuchen, wenn sie dem Verfall des politische­n Diskurses nicht weiter zuschauen wollen.

Es braucht bessere strafrecht­liche Möglichkei­ten, gegen die Hetze im Netz vorzugehen. Ein Schritt in diese Richtung ist das Gesetz gegen Hasskrimin­alität, das endlich in Kraft getreten ist. Es braucht aber auch ein neues Bewusstsei­n dafür, dass Hass und Gewalt nicht einfach weggehen, wenn alle wegsehen. Die Leichtigke­it, mit der die stetig steigende Zahl politisch motivierte­r Kriminalit­ät hingenomme­n wird, ist nahezu leichtfert­ig.

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