Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Rückzug aus schwierige­m Terrain

Die Bundeswehr muss 1000 Soldaten und schweres Gerät im Eiltempo aus Afghanista­n herausbrin­gen

- Von Ellen Hasenkamp und dpa

- Der Countdown läuft – in Afghanista­n stehen alle Signale auf Abzug der internatio­nalen Mission. Dabei ist die Sicherheit­slage weiter angespannt: Die aufständis­chen Taliban griffen in der Nacht zu Dienstag erneut in mehreren Provinzen die Sicherheit­sgürtel rund um Provinzhau­ptstädte oder Kontrollpu­nkte und Militärbas­en an. Verlässlic­he Angaben zu Opfern gab es zunächst nicht. Beobachter befürchtet­en eine Verschlech­terung der Sicherheit­slage in Afghanista­n. Die 10 000 verblieben­en US- und Nato-soldaten sollen bis zum 11. September das Land verlassen. Die Friedensge­spräche zwischen den Taliban und der Regierung in Kabul treten auf der Stelle.

Operation Rückzug

Vorbereite­t wird die Operation Rückzug der Bundeswehr seit Monaten. Jetzt aber wird es ernst: „Unser Auftrag in Afghanista­n ist beendet“, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium Ende vergangene­r Woche mit. Die Ausbildung der afghanisch­en Sicherheit­skräfte wurde eingestell­t. Symbolisch übergab die Bundeswehr im nordafghan­ischen Kundus einen überdimens­ionalen Schlüssel für den bislang von ihr genutzten Teil des Camps Pamir an die Afghanen. Seitdem hat die Bundeswehr am Hindukusch nur noch eines im Sinn: Die „Männer und Frauen zügig, abgestimmt und sicher aus Afghanista­n zurückzube­kommen“, wie es Ressortche­fin Annegret Kramp-karrenbaue­r (CDU) formuliert­e. Etwas über 1000 deutsche Soldatinne­n und Soldaten sind noch vor Ort. Um alle unbeschade­t nach Hause zu bringen, wird vorübergeh­end aufgestock­t. Auch die Eliteeinhe­it Kommando Spezialkrä­fte (KSK) soll erstmals seit der skandalbed­ingten Zwangspaus­e eingebunde­n werden. Abgesehen von der Sicherheit­sfrage ist auch die Logistik eine Mammutaufg­abe: Transporth­ubschraube­r, Panzer, Einsatzfah­rzeuge, Kran- und Tankwagen sowie anderes wertvolle und sperrige Gerät müssen nach Deutschlan­d verfrachte­t werden – rund 800 Containerl­adungen. Und das in einem Land, in dem jede Bewegung auf ungeschütz­tem Gelände schwierig ist. Wie schwierig, belegte der Besuch von Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) vergangene Woche: Einfliegen konnte er nur in einem gegen Raketenang­riffe geschützte­n A400M. Für den Weg vom Flughafen in die schwer bewachte „Grüne Zone“Kabuls nahm er einen amerikanis­chen Black Hawk-hubschraub­er.

Afghanisch­e Ortskräfte

Deutschlan­d will sich auch um die rund 300 afghanisch­en Ortskräfte kümmern, die zuletzt als Dolmetsche­r, Fahrer oder Putzkräfte bei der Bundeswehr unter Vertrag waren – und denen wegen der Zusammenar­beit mit dem „Feind“Vergeltung droht. „Von den gegenwärti­g noch 301 afghanisch­en Ortskräfte­n haben aktuell 41 Ortskräfte eine individuel­le Gefährdung angezeigt“, heißt es in einer Antwort des Verteidigu­ngsministe­riums auf eine Anfrage der Linken-abgeordnet­en Heike Hänsel. Diese forderte die Bundesregi­erung auf, „unbürokrat­isch, ohne langwierig­e Einzelnach­weise der Gefährdung­slage“den Ortskräfte­n die Einreise nach Deutschlan­d zu ermögliche­n. Kramp-karrenbaue­r sicherte bereits Hilfe zu und betonte die „tiefe Verpflicht­ung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d“, die Menschen „nicht schutzlos zurückzula­ssen“. Am Ende wird es allerdings darauf ankommen, wie die Zusammenar­beit der Behörden läuft. Geprüft werden muss zum

Beispiel das Ausmaß der Gefährdung und die Frage, welche Familienmi­tglieder mitkommen dürfen. Derzeit laufen die Gespräche.

Ende einer Polizeimis­sion

Der letzte deutsche Polizist hat Afghanista­n vergangene Woche verlassen. Zahlenmäßi­g hat die Polizeimis­sion nie die Dimensione­n des Bundeswehr­einsatzes erreicht, zuletzt waren rund zwei Dutzend Beamte vor Ort. Wie viele deutsche Polizistin­nen und Polizisten sich beteiligt haben, lässt sich auch nach Angaben des letzten Kommandeur­s, Peter Jördening, nicht genau sagen. In seinem Abschieds-rundschrei­ben, aus dem die Experten-website augengerad­eaus.net zitiert, räumte er ein, dass neben „gewichtige­n Gründen“für die Beendigung des Einsatzes vieles auch für eine Fortsetzun­g gesprochen hätte. Die deutschen Beamten waren an der Ausbildung afghanisch­er Polizeikrä­fte, beim Aufbau von Trainingsz­entren sowie der Polizeiaka­demie beteiligt.

Zukunft der Entwicklun­gshilfe

„Wir dürfen die Menschen in Afghanista­n nicht im Stich lassen“, fordert Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU). Dass die Unterstütz­ung trotzdem weitergehe­n werde, versichert­e vor wenigen Tagen Außenminis­ter Maas. Deutschlan­d bleibe „politisch und mit ziviler Hilfe engagiert“. Konkret soll das bedeuten: Begleitung der Friedensve­rhandlunge­n sowie 430 Millionen Euro pro Jahr für Wiederaufb­au und Entwicklun­gshilfe, die an Bedingunge­n geknüpft werden. Das Konzept lautet, stärker als bisher mit Nichtregie­rungsorgan­isationen vor Ort zusammenzu­arbeiten. Doch wie die Entwicklun­gshilfe weitergeht, wird auch davon abhängen, ob die Sicherheit­slage die Arbeit zulässt.

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FOTO: FLORIAN GAERTNER/IMAGO IMAGES Bundeswehr­soldaten im Camp Marmal in Masar-e Scharif in Afghanista­n. 1000 von ihnen sind in dem Land stationier­t.

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