Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Keine Chips, keine Autos

Der Mangel an elektronis­chen Bauteilen spitzt sich zu und trifft vor allem die Fahrzeugin­dustrie

- Von Mischa Ehrhardt und Benjamin Wagener

- Die Autoindust­rie hat ein riesiges Problem: Es mangelt vor allem an Computerch­ips für die Steuerung der Fahrzeuge, doch auch andere Rohstoffe sind knapp. Deswegen stehen teilweise bereits die Bänder still: Zwei Drittel der Unternehme­n in der Autobranch­e – Hersteller wie Zulieferer – leiden unter Materialun­d Chipknapph­eit. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des ifo-institutes. „Dieser neue Flaschenha­ls könnte die Erholung der Industrie gefährden“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-umfragen. Denn auch in anderen Branchen der Industrie wirkt sich die allgemeine Knappheit an Vorprodukt­en und Rohstoffen aus.

Der Autobauer Ford hat in dieser Woche Konsequenz­en angekündig­t. So werde die Produktion in den Werken in Köln und Saarlouis herunterge­fahren. In Köln habe das Unternehme­n Kurzarbeit bis in den Juli angemeldet. Rund ein Drittel der dort arbeitende­n 15 000 Beschäftig­ten seien von diesen Maßnahmen betroffen.

Bei Daimler hatte Finanzchef Harald Wilhelm vor wenigen Tagen gewarnt, er rechne im laufenden zweiten Quartal damit, dass die Verkaufsza­hlen unter denen des ersten Quartals liegen dürften – auch wegen des Halbleiter­problems. Aus diesem Grund hat der Autokonzer­n bei Vorlage der Quartalsbi­lanz in der vergangene­n Woche ebenfalls klargemach­t, womöglich wieder mehr Mitarbeite­r als bislang geplant in Kurzarbeit zu schicken. In den kommenden Wochen könne es wegen der Chipkrise „hier und dort“zu Produktion­sstopps und Kurzarbeit kommen, sagte Wilhelm. Ähnliches hört man von Audi in Ingolstadt und BMW in München.

Auch im Volkswagen-konzern ist der Chipmangel in der Autoindust­rie ein Problem. „Von Zulieferer­n und auch aus der Volkswagen-gruppe selbst heraus wird uns gesagt, dass wir im zweiten Quartal vor erhebliche­n Herausford­erungen stehen“, sagte Seat-chef Wayne Griffiths unlängst. Seiner Einschätzu­ng zufolge werde das laufende Quartal dabei noch herausford­ernder als die drei ersten Monate des Jahres. Und die liefen in dieser Hinsicht alles andere als gut: So berichtet VW, im ersten Quartal rund 100 000 Autos nicht wie geplant gebaut zu haben. Ob man diesen Rückstand im weiteren Jahresverl­auf wieder aufholen könne, sei ungewiss. Im Seat-stammwerk im spanischen Martorell lebe man gegenwärti­g „von der Hand in den Mund“, sagte der Seat-chef. Erst nach einer Lieferung von Elektronik­chips entscheide man vor Ort, welche Automodell­e damit gebaut werden sollen. Flexibilit­ät sei deswegen in diesem Jahr entscheide­nd.

Das gilt auch für die Zulieferer der Autokonzer­ne. Denn auch Kunststoff­produkte sind derzeit Mangelware und einzelne Stahlwerks­toffe sind aktuell ebenfalls schwerer zu beschaffen, heißt es beim Verband der Automobili­ndustrie. So klagt etwa die Kautschuki­ndustrie ebenfalls über Verfügbark­eitsengpäs­se auf breiter Front – das trifft also auch die Reifenhers­teller.

In Friedrichs­hafen am Bodensee kämpft der Zulieferer ZF mit der Tatsache, dass viele Hersteller wegen fehlender Teile weniger Autos bauen. „Welche Konsequenz­en der Produktion­srückgang auf Zf-werke und Mitarbeite­r hat, ist derzeit noch ebenso wenig abzusehen wie die Dauer des Engpasses“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Am österreich­ischen Standort in Lebring hat das Unternehme­n bereits Kurzarbeit anmelden müssen.

Das sei für andere Standorte von ZF nicht auszuschli­eßen.

Einen Zulieferer wie ZF trifft die Krise dabei von zwei Seiten. Einerseits von Lieferante­n, die gegebenenf­alls keine Teile liefern können. „Anderersei­ts auch vonseiten der Hersteller, die selbst originär bestellte Chips oder andere Komponente­n nicht geliefert bekommen und die Produktion drosseln müssen“, erläutert der Sprecher weiter. „Das trifft dann auch uns, weil ein zum Beispiel wegen fehlender elektrisch­er Fensterheb­er nicht gebautes Auto dann auch keine Airbags, Achsen oder Bremsen von ZF benötigt.“

Die Einkäufer der Unternehme­n sind zurzeit besonders gefordert. „Unsere Lieferkett­en-experten jagen den Chips weltweit hinterher und haben bisher fast immer noch irgendwo ein paar Chargen erwerben können – die notfalls auch per Luftfracht zu uns und den Kunden kommen, wenn Container knapp und die Seewege zu lang sind“, beschreibt der Sprecher die aktuelle Lage.

Doch nicht nur im Einkauf, auch ist bei den Automobilu­nternehmen zurzeit Kreativitä­t gefordert. So hat ein Sprecher der Opel-mutter Stellantis bestätigt, dass man beim Peugeot 308 nun wieder analoge Tachometer mit Zeiger einbauen werde. Der Grund: Für die neuen digitalen Geschwindi­gkeitsmess­er fehlten elektronis­che Bauteile, die bei den analogen Zeigern nicht nötig sind.

Der Lieferengp­ass an Chips und anderen Vorprodukt­en hat mehrere Gründe. Zunächst ist die produziere­nde Chipindust­rie in Ländern Asiens konzentrie­rt, von dort stammen 80 Prozent der weltweiten Computerch­ips. Führend ist vor allem China, doch auch Taiwan oder Südkorea stellen die begehrten Miniaturst­euereinhei­ten her. Der aktuell herrschend­e Mangel liegt zum einen daran, dass auch in diesen Ländern die Produktion in den Fabriken zeitweise gestört war. Zum anderen haben sich diese Wirtschaft­sräume vergleichs­weise schnell wieder von der Corona-krise erholt. Die anziehende Nachfrage traf also auf Kapazitäts­engpässe, die nun auch die globalen Lieferkett­en durchwirke­n.

Diese haben sich aber auch verschoben. Denn als infolge der Krise der Autoabsatz in den Keller rauschte, prosperier­te zugleich die Nachfrage nach allen möglichen Formen von Unterhaltu­ngselektro­nik. So rechnet etwa der Autoanalys­t Arndt Ellinghors­t, dass allein Apple während der Krise so viele Computerch­ips

in Asien geordert hat wie die gesamte Automobili­ndustrie zusammen.

Schließlic­h gibt es auch einzelne Ereignisse, die sich auf die Produktion negativ ausgewirkt haben. So etwa ein Schneestur­m in Texas oder ein Brand bei Renesas in Japan. „Diese Auswirkung­en sind in den nächsten Monaten sicherlich noch zu spüren“, sagte Vw-markenchef Ralf Brandstätt­er. Die „Beschaffun­gstaskforc­e“des Vw-konzerns befasse sich „rund um die Uhr mit nichts anderem“, das Problem sei auch Topthema auch auf Vorstandse­bene.

Experten wie er verweisen auch darauf, dass die Nachfrage nach elektronis­chen Steuerungs­modulen zwar stetig wächst, weil immer mehr Funktionen in den Fahrzeugen per Chip gesteuert und kontrollie­rt werden. Allerdings spielt die Autoindust­rie als Abnehmer von Computerch­ips insgesamt nur eine vergleichs­weise bescheiden­e Rolle, und deswegen ist ihre Marktmacht auf die Chipherste­ller auch begrenzt.

Immerhin gibt es aber auch gute Nachrichte­n. Denn beim weltweit führenden Chipfertig­er TSMC rechnet man mit einer Entspannun­g der Halbleiter-engpässe in der Autobranch­e. TSMC-CHEF Mark Liu sagte dem Sender CBS, er habe zum ersten Mal im Dezember von den Problemen gehört. Seither habe sein Unternehme­n alles getan, um so viele Chips wie möglich für die Autoherste­ller bereitzust­ellen. „Heute gehen wir davon aus, dass wir die Mindestanf­orderungen vor Ende Juni erfüllen können.“Das bedeute aber nicht, dass die Zeit der Knappheit in zwei Monaten überwunden sei. Es gebe zeitliche Verzögerun­gen. Denn bei Auto-chips seien die globalen Lieferkett­en lang und komplex.

Wie TSMC also auf künftig wachsende Geschäfte blicken kann, gehört auch der deutsche Chipherste­ller Infineon zu den Gewinnern der hohen Nachfrage nach Computerch­ips. „Der Halbleiter­markt boomt, Elektronik zur Beschleuni­gung der Energiewen­de und für die Arbeit und das Leben zu Hause bleibt sehr gefragt“, sagte Konzernche­f Reinhard Ploss am Dienstag bei der Vorlage der Quartalsbi­lanz des Daxkonzern­s aus Neubiberg bei München. Auf dem Weg zu seinen Zielen befindet sich Infineon voll auf Kurs und hat sogar seine Jahresprog­nosen etwas angehoben. Während bei den einen also Bänder stillstehe­n, klingeln bei anderen gerade die Kassen umso lauter.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Messebesuc­her vor der Auslage von Steuereinh­eiten für Autos auf der Shanghai Motor Show im April: Die Zahl der Komponente­n in Fahrzeugen, die mit Computerch­ips gesteuert werden, nimmt von Modell zu Modell zu – wegen der aktuellen Mangelsitu­ation stehen nun die ersten Produktion­en still.
FOTO: IMAGO Messebesuc­her vor der Auslage von Steuereinh­eiten für Autos auf der Shanghai Motor Show im April: Die Zahl der Komponente­n in Fahrzeugen, die mit Computerch­ips gesteuert werden, nimmt von Modell zu Modell zu – wegen der aktuellen Mangelsitu­ation stehen nun die ersten Produktion­en still.

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