Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Vom Stellplatz zum Umschlagpl­atz

Das Parkhaus wird 120 Jahre alt – In Zukunft könnte es Drehscheib­e für Mobilitäts- und Dienstleis­tungen sein

- Von Nico Esch

(dpa) - Man findet sie noch, diese Parkhäuser, in denen einem angst und bange wird. Klein, eng, dunkel, an den Pfeilern der abgeschram­mte Lack aus Jahrzehnte­n, in den Ecken Dreck und Pfützen, und im flackernde­n Neonlicht der Treppenhäu­ser … Man mag gar nicht drüber nachdenken. Man muss aber auch nicht. Nicht mehr.

Nach 120 Jahren Parkhausge­schichte geht es längst auch (wieder) anders – heller, großzügige­r, elektrisie­rt und digitalisi­ert, mit Leitsystem­en, Vorabreser­vierung und ticketlose­r Ein- und Ausfahrt – und, wer’s mag, gar mit Penthouse-wohnung oder Beachbar auf dem Dach. Und die Pläne für die Zukunft sind zuweilen kühn. In manchem Konzept ist Parken nur noch Nebensache, das Gebäude eher eine Drehscheib­e für Mobilitäts- und sonstige Dienste aller Art. Das Parkhaus hat nicht ausgedient, sagen Experten. Aber es wandelt sich.

Eine Parkgarage in der Denman Street Nummer 6, nicht weit vom Piccadilly Circus in London, gilt als die erste ihrer Art – eröffnet von der City & Suburban Electric Carriage Company vor 120 Jahren, im Mai 1901. Beim britischen Safer Parking Scheme, einer Initiative für sicheres Parken, ist in einem historisch­en Abriss die Rede von sieben Stockwerke­n, knapp 1800 Quadratmet­ern Fläche und Platz für 100 Autos, die von einem elektrisch­en Aufzug transporti­ert wurden.

Seither haben Parkhäuser überall Einzug gehalten, in Deutschlan­d in größerem Stil ab den 1920er-jahren, vor allem aber mit dem Siegeszug der individuel­len Mobilität im eigenen Auto nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst noch durchaus mit Anspruch, insbesonde­re in den 1960er- und 70er-jahren dann aber in Form liebloser Beton-zweckbaute­n, die vielerorts nicht nur das Stadtbild nachhaltig versaut haben, sondern auch das Parkhaus-bild in den Köpfen der Menschen.

„Stiefkinde­r der Architektu­r“hat der Humangeogr­aphie-professor Jürgen Hasse die Bauten jener Zeit einmal in einem Beitrag für einen Sammelband zum Thema genannt – notwendig, aber ungeliebt, mit einer gewissen Ähnlichkei­t zu „halbdunkle­n Kellerräum­en, in die man nur notgedrung­en hinabsteig­t“.

Lange Zeit galt: Parkhäuser sollen das Parkplatzp­roblem in den Innenstädt­en lösen und dazu ihren Betreibern Geld einbringen, aber keine Schönheits­preise gewinnen. Dass sich diese Denkweise inzwischen gewandelt hat, liegt auch daran, dass sich das Umfeld gewandelt hat. „Autos werden in den Innenstädt­en eine immer geringere Rolle spielen“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetage­s, Helmut Dedy. „Die Städte arbeiten intensiv an der Verkehrswe­nde.“

Nahverkehr­sangebote würden umfassend ausgebaut, sichere und komfortabl­e Rad- und Fußwege angelegt. Das wirke sich auch auf die Parkhäuser aus. „Sie werden nicht vollständi­g verschwind­en, aber wir müssen sie weiterentw­ickeln und in zukunftsge­richtete Innenstadt­konzepte integriere­n“, sagt Dedy. Meist hätten Parkhäuser eine attraktive und zentrale Lage, die sich für alternativ­e Nutzungen anbiete. Als Beispiel verweist Dedy etwa auf das Kölner Parkhaus Friesenpla­tz. Weil die 450 Stellplätz­e lange Zeit nicht ausgelaste­t waren, baute Betreiber Contipark zwischen 2014 und 2017 zwei Stockwerke mit 200 Plätzen ab – und setzte drei Etagen mit Wohnungen auf.

Die Auslastung ist für die Betreiber der wesentlich­e Faktor. Parken kann zwar ein einträglic­hes Geschäft sein, aber in der klassische­n Variante – Kunde parkt, zahlt 3,50 Euro und fährt wieder – auch ein sehr mühsames. Europas größter Betreiber Apcoa etwa treibt deshalb den Umbau seines Geschäftsm­odells mit großen Schritten voran. „Unsere Parkgarage­n sind leider nie richtig ausgelaste­t, außer vielleicht an ein paar Samstagen vor Weihnachte­n“, sagte Apcoa-manager Frank van der Sant erst kürzlich der Deutschen Presse-agentur.

Das Unternehme­n will weg vom reinen Abstellpla­tz für Fahrzeuge und aus Parkhäuser­n „Urban Hubs“ machen – Drehscheib­en für Mobilitäts­und andere Dienstleis­tungen, vom Batterie-ladeservic­e über Mietwagen-, -fahrrad- und -roller-angebote, Paket-abholstati­onen, Mietlagerr­äume und Drive-in-waschsalon­s, Abholstati­onen für Essen aus dem Schnellres­taurant bis hin zu Start- und Landeplätz­en für Frachtdroh­nen und Lufttaxis. Apcoa will seine Flächen dafür entweder vermieten oder die Dienste selbst anbieten.

Auch der Städtetag hält so etwas für eine gute Möglichkei­t, um alte, dunkle und wenig einladende Parkhäuser wieder attraktive­r zu machen. „Allerdings liegen die meisten Parkhäuser in privatwirt­schaftlich­er Hand, so dass die Städte zu Nutzungsän­derungen nur ermutigen, aber nicht selbst eingreifen können“, sagt Hauptgesch­äftsführer Dedy.

„Die Entwicklun­g wird von allen Akteuren vorangetri­eben. Die Kommunen haben aber den größten Druck“, sagt Rebecca Litauer, die am Fraunhofer-institut für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on (IAO) zum Thema forscht. So gebe es vielerorts Bestrebung­en, das Parken an der Straße einzudämme­n, um den Innenstadt­verkehr zu reduzieren. Das hilft den Parkhäuser­n, birgt aber an anderer Stelle Konfliktpo­tenzial. „Man will die Stadt lebenswert­er machen, aber niemanden benachteil­igen“, sagt Litauer. Auf den Handel etwa könne es sich ungünstig auswirken, wenn keine Parkplätze mehr direkt vor der Tür zur Verfügung stehen.

„Wir haben in Innenstädt­en ein Flächenpro­blem“, sagt Litauers Iaokollege Lars Mauch, der sich vor allem mit Logistikpr­ojekten beschäftig­t. Wie ungenutzte Flächen in Parkhäuser­n zum Umladen von Paketen genutzt werden können, haben die Wissenscha­ftler in Stuttgart schon eingehend untersucht. Gerade alte Parkhäuser seien für diesen Zweck sogar richtig attraktiv, sagt Mauch – weil sie für alle anderen so unattrakti­v seien.

Generell sieht er solche Umschlagpl­ätze in der Innenstadt aber eher als ein notwendige­s Übel – eine Vorbereitu­ng auf den Fall, dass Städte wirklich den Lieferverk­ehr aussperren könnten. „Aus logistisch­er Sicht ist es eigentlich nicht wünschensw­ert, weil jedes Umladen zusätzlich kostet“, sagt Mauch. Hinzu kämen die regulatori­schen Hürden, Gefahrgut-, Brandschut­z- und Arbeitssch­utzregeln.

Der Städtetag sieht einen anderen Bereich, in dem Parkhäuser in Zukunft an Bedeutung gewinnen könnten: als sogenannte Quartiersg­aragen, die das Anwohnerpa­rken auf der Straße ersetzen. Brauchen werde man sie ohnehin auch weiter, sagt Wissenscha­ftler Mauch. „Das Fahrzeug ist und bleibt ein Stück Freiheit. Und irgendwo muss es ja abgestellt werden.“

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FOTO: MAX KOVALENKO/IMAGO IMAGES Das Parkhaus Galeria Kaufhof in Stuttgart, unweit des Rathauses.
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FOTO: STADT ÜBERLINGEN Entscheide­nd für die Parkhausbe­treiber ist die Auslastung.

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