Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Gangsta-rap bereitet den Nährboden für antisemitische Einstellungen
Studie der Universität Bielefeld weist erstmalig auf einen Zusammenhang hin – Texte der Songs haben Einfluss auf Werthaltungen
(dpa) - Gangsta-rap fördert einer Studie zufolge antisemitische und frauenfeindliche Einstellungen bei jugendlichen Hörern. Weniger stark wirke sich der Einfluss auf weibliche Konsumenten aus und auf Hörer mit Gymnasialbildung. Das geht aus einer Untersuchung der Universität Bielefeld hervor, die die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-westfalen, Sabine Leutheusser-schnarrenberger, jetzt in Düsseldorf vorgestellt hat.
Die Studie belege erstmalig durch eine repräsentative Erhebung bei jungen Konsumenten, dass Gangstarap den Nährboden für spätere verfestigte antisemitische Einstellungen bereite, erklärte Projektleiter Marc Grimm vom Bielefelder „Zentrum für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter“. Im Auftrag der Antisemitismusbeauftragten seien in Kooperation mit einem Meinungsforschungsinstitut in den Jahren 2019 bis 2021 Einzelinterviews und Gruppengespräche dazu geführt worden. Zusätzlich sei eine für Nordrhein-westfalen repräsentative Zielgruppe von 500 Zwölf- bis 24-Jährigen per Fragebogen interviewt worden.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von Gangstarap und der Neigung, antisemitische und frauenfeindliche Aussagen zu teilen, gibt“, fasste Grimm zusammen. Entgegen der weitläufigen Auffassung werde Gangsta-rap keineswegs überdurchschnittlich häufig von Jugendlichen aus sozial benachteiligten Schichten konsumiert. Stattdessen stammen die weitaus meisten aus Familien mit mittlerem bis hohem Wohlstand. Drei von fünf Hörern sind männlich.
„Im Gangsta-rap lässt sich seit längerer Zeit beobachten, dass ein Übermaß an Körperkult und autoritäre Machtfantasien zentrale Motive der Selbstinszenierung der meist männlichen Künstler sind“, sagte Grimm. „Ideologien der Ungleichheit“– also die Abwertung von Frauen und Homosexuellen sowie Antisemitismus – seien Kernelemente für diese Rap-spielart, die in Deutschland die ökonomisch erfolgreichste in diesem Genre sei. „Wir können davon ausgehen, dass die Texte der Künstler auch Einfluss auf Werthaltungen, Demokratieverständnis und Diskriminierungsneigungen von jungen Menschen haben.“
Anders als beim nachweislichen Einfluss auf antisemitische, frauenfeindliche und chauvinistische Einstellungen lasse sich ein Zusammenhang zwischen Gangsta-rap und rassistischen Neigungen allerdings nicht messbar feststellen. „Damit liegen erstmals in einer Jugendbefragung Hinweise darauf vor, dass antisemitische Einstellungen unabhängig von rassistischen Einstellungen existieren“, stellten die Forscher fest.
Die Befragung habe ergeben, dass die gewaltverherrlichenden Texte oft gar nicht richtig verstanden würden. Teils werde gar nicht bewusst zugehört, sondern nebenbei gehört, etwa zum Aufputschen beim Sport oder – erstaunlicherweise – „um vor dem Schlafengehen zur Ruhe zu kommen“, berichtete Grimm. Gerade Hörerinnen konsumierten Gangsta-rap – trotz frauenfeindlicher Texte – teilweise nur, weil die Musik in ihrer Clique gehört werde.
In den Gesprächen wurden die jungen Gangsta-rap-hörer ausschließlich zu deutschen Künstlern und ihren Texten und Videos befragt. Viele nähmen Gangsta-rapper als legitime Sprecher wahr, die auf soziale Missstände und Ungerechtigkeiten hinweisen und unbequeme Wahrheiten aussprechen, berichtete Jakob Baier aus dem Forschungsprojekt.
Unter anderem sei „Contraband“der beiden Rapper Fard & Snaga besprochen worden – „ein recht martialisches, gewaltgeladenes Musikvideo, in dem auch Motive des islamistischen Terrorismus gegen Israel bedient werden“, erklärte Baier. „Die israelische Metropole Tel Aviv wird darin als Feindbild herausgestellt.“Als Beispiel, was bei den Konsumenten oft bloß ankomme, nannte er die Aussage eines Befragten, der „Tel Aviv“gar nicht verstanden, sondern geantwortet habe: „Ich dachte, die sagen: ,C’est la vie‘ (zu deutsch: Das ist das Leben).“
Bei einem „Antisemitismus-index“, der die Zustimmung zu 16 antisemitischen Aussagen erfasst habe, hätten sich 26,5 Prozent der Befragten als „sehr antisemitisch“erwiesen, 37 Prozent als „etwas antisemitisch“und 36,5 Prozent als „nicht antisemitisch“. Unter den sehr antisemitisch Eingestellten gaben über 81 Prozent an, „(sehr) gerne“Gangsta-rap zu hören.