Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Exot in der Glitzerwelt
Wie Robin Gosens auf Umwegen Karriere machte und es bis in die Nationalmannschaft schaffte
(dpa) - Was hat er sich da nur wieder angetan? Robin Gosens sitzt irgendwo auf der Geschäftsstelle seines Vereins Atalanta Bergamo, man sieht ihn über den Bildschirm seines Handys. Er kommt gerade aus dem Büro des Vereinspräsidenten, der genau das von ihm wissen wollte: Robin, was hast du dir dabei gedacht?
Der 26-Jährige schmunzelt, als er darüber erzählt, kurz darauf wird das Gespräch auch noch von der hektischen Stimme des Pressesprechers unterbrochen. Die Clubspitze ist nervös, Gosens antwortet dem Sprecher lässig auf Italienisch. Er kennt das ja. Diesmal ist es die Idee einer Super League, die er kritisiert hatte. Jetzt bestimmt er die Schlagzeilen einiger Sportmedien. Sein Instagram-account quillt über. Die Bosse schütteln den Kopf. Und Gosens? Der lehnt sich erst mal zurück.
„Ich lasse mich sicherlich nicht von meinem Weg abbringen“, sagt er. „Ich glaube, es ist auch einfach wichtig, seine Meinung zu sagen.“Stimmt, würden viele sagen. Machen trotzdem nur wenige Profifußballer. Aber Gosens wirkt in dieser Glitzerwelt ja ohnehin wie ein Exot. Der 26-Jährige hat nie in der Bundesliga gespielt und nie ein Nachwuchsleistungszentrum durchlaufen, trotzdem darf er sich Nationalspieler mit besten Chancen auf die EM im Sommer nennen.
Seine Geschichte klingt so verrückt, dass er sie schon lange vor ihrem Ende aufgeschrieben hat. In seiner Autobiografie „Träumen lohnt sich“wird allerdings auch schnell deutlich, dass sie sehr spät angefangen hat. Als sich Deutschland 2014 in Brasilien zum Weltmeister krönt, steht Gosens mit Bierchen und seinen Freunden in Bocholt auf der Fanmeile. Fast genau sechs Jahre danach bekommt er eine SMS von Bundestrainer Joachim Löw, wie er im Buch schreibt. „Hallo Robin. Hier ist Joachim Löw. Habe die Nummer von deinem Berater. Würde gerne die nächsten Tage mal mit dir telefonieren. Wann passt es am besten? Liebe Grüße.“So schreibe doch Joachim Löw nicht, dachte er im ersten Moment. Im zweiten beginnt er zu begreifen, dass sich gerade ein Traum erfüllt. „Wie viel geiler konnte es noch werden?! Wir saßen da und weinten vor Freude.“
Der Ton seines Buches klingt wie Gosens selbst: erfrischend offen, authentisch und unverstellt. Bis zu seinem 18. Geburtstag feierte er jeden Samstag mit seinen Kumpels in der Dorfdisco. Als ihn schließlich ein Scout des niederländischen Erstligisten Vitesse Arnheim bei einem Jugendspiel in Kleve entdeckt, steht Gosens mit Restalkohol im Blut auf dem Platz. Obwohl er nach Stationen beim
FC Dordrecht und Heracles Almelo inzwischen längst mit Bergamo in der Champions League spielt, redet Gosens noch immer wie der Junge aus Emmerich.
„Ach du lieber Himmel“, erinnerte sich seine Mutter im ZDF, wie sie Teile seines Manuskripts gelesen hatte. „Manches hat er dann auch akzeptiert, wo wir gesagt haben: Entweder musste das entschärfen oder streichen.“Abbringen ließ sich Gosens aber nicht. Er wolle anderen Menschen mit seiner Geschichte Mut machen, erzählte sein Vater. Gosens’ Botschaft: Dass man Träume wahr machen könne.
Der späte Aufstieg vorbei an allen Spähern und Systemen des Deutschen Fußball-bundes lässt sich am ehesten noch mit dem von Miroslav Klose vergleichen. Klose spielte sogar noch in der Bezirksliga für die SG Blaubach-diedelkopf, und der heutige Wm-rekordtorschütze war längst kein Teenager mehr, als er im April 2000 erstmals für den 1. FC Kaiserslautern in der Bundesliga auflief. Auch Gosens flog lange Jahre unter dem Radar. Als er 2011 doch zu einem Probetraining der U19 von Borussia Dortmund eingeladen wird, spielt er so schlecht, dass er seinen Traum vorerst aufgibt.
„Ich war in meiner Jugend eben nicht dieser krass auffällige Spieler, der auf jeden einen Rieseneindruck gemacht hat. Kaum einer hat gesagt: Der kann so gut kicken, der muss irgendwann Profi werden!“Geschafft hat er es dennoch. Ob eine solche Geschichte noch mal möglich sein wird? Er glaubt es kaum. „Wir werden Einzelfälle bleiben“, sagt er über Klose und sich. 26 statt 23 Spieler bei der EM: Joachim Löw kann bei seinem letzten Turnier als Bundestrainer auf einen größeren Pool an Spielern zurückgreifen. Die UEFA entschied, die Kader für die Europameisterschaft wegen der Corona-pandemie von 23 auf 26 Spieler aufzustocken. Damit soll das Risiko verringert werden, dass Mannschaften wegen Quarantänemaßnahmen nicht zu einer Partie antreten können. Allerdings gilt die Änderung nur mit Blick auf das Gesamtturnier. Bei den einzelnen Partien dürfen weiterhin nur 23 Spieler auf dem Spielberichtsbogen stehen, drei Profis müssen jeweils auf der Tribüne Platz nehmen. Dies können allerdings von Begegnung zu Begegnung andere Spieler sein. Die Trainer der 24 Mannschaften müssen bis zum 1. Juni ihr Aufgebot für die EM (11. Juni bis 11. Juli) benennen.
Martinez sagt „Servus“: Javi Martinez und der deutsche Fußball-rekordmeister FC Bayern gehen ab Sommer wie erwartet getrennte Wege. Man habe sich „einvernehmlich“darauf verständigt, „den am 30. Juni auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern“, teilten die Münchner mit. „Ich habe diesen Verein gelebt, immer alles für ihn gegeben. Der FC Bayern und seine Fans werden immer in meinem Herzen bleiben. Muchas gracias, Dankeschön, Servus – wir sehen uns“, sagte Martinez in emotionalen Worten. Der Spanier war 2012 für die damalige Rekordsumme von 40 Millionen Euro von Athletic Bilbao zu den Bayern gewechselt und feierte acht Meisterschaften fünf Dfb-pokal-, zwei Champions-league-und einen Club-wm-titel.