Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kreis geht Ortsumfahrung Kißlegg an
Nach Jahrzehnten kommt Bewegung in das Projekt Das haben die Kreisräte diskutiert
- Die Gemeinde Kißlegg hat einen großen Schritt in Richtung der langersehnten Entlastung des Ortskerns vom Verkehr gemacht. Der Kreistag hat sich mehrheitlich dafür entschieden, dem Amtshilfeersuchen der Gemeinde nachzukommen und die Gemeinde bei der Planung und Umsetzung der Ortsumfahrung zu unterstützen. Gegenwind kam in der jüngsten Sitzung aus den Reihen der Grünen-abgeordneten.
Bis zu 10 000 Autos, darunter 1000 Lastwagen und landwirtschaftliche Fahrzeuge, rollen täglich via Landesund Kreisstraßen durch die Kißlegger Ortsmitte. Mittlerweile bemüht sich die Gemeinde seit bald vier Jahrzehnten darum, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Ziel des „Jahrhundertprojekts“, wie es Bürgermeister Dieter Krattenmacher nennt, ist es, sowohl die Kreisstraßen, als auch die Landstraße, die den Verkehr direkt durch das Zentrum des Ortes führen, im Süden und Osten um den Ortskern herumzuführen.
Um diesem Langzeitprojekt wieder neues Leben einzuhauchen, hatte sich Krattenmacher mit einem Amtshilfeersuchen an den Landkreis gewandt. Demnach soll der Landkreis bei der Planung und Umsetzung der Südumfahrung helfen, die Verlegung der Kreisstraße 7902 (Emmelhofer Straße) als Ostumfahrung neu in das Kreisstraßenbauprogramm aufnehmen und im Gegenzug den Abschnitt der K 7937 zwischen dem Abzweig nach Holdenreute und Wiggenreute aus dem Kreisstraßenbauprogramm streichen. Im Anschluss an eine Diskussion, in der vor allem Kreisräte von Bündnis 90/Die Grünen Bedenken äußerten, wurde der Beschluss mit großer Mehrheit gefasst.
Dieter Krattenmacher meldete sich in der Diskussion nur einmal zu Wort, vertrat seinen „Hilferuf“an den Landkreis dabei aber mit einer emotionalen Ansprache. Der Durchgangsverkehr sei „eine Katastrophe“für den Ort und er habe höchsten Respekt für alle Anwohner, die auch nach bald 40 Jahren noch immer auf eine Lösung des Problems hoffen würden. Wenn jetzt wieder nur Grundsatzdebatten geführt werden würden, ginge das Vertrauen der Bürger in die Politik endgültig verloren. „Wir müssen Perspektiven anbieten, dass man hier künftig wieder gut leben kann. Wir wollen die Hoffnung nicht begraben müssen“, sagte Kißleggs Bürgermeister.
Inhaltlich wies der Bürgermeister darauf hin, dass die Südspange zu einem großen Teil auf einer bereits bestehenden Straße gebaut werden soll und so möglichst wenig Moorfläche zusätzlich versiegelt werden müsste. Zudem gebe es die Planung, andere Straßen zurückzubauen und stattdessen weitere Fuß- und Radwege anzulegen. Auch versicherte Krattenmacher, dass die Gemeinde alles daran legen werde, den Landkreis möglichst wenig zu belasten. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Aber wir brauchen jetzt das positive Signal. 40 Jahre Diskussion sind genug.“
Grundsätzlich fand der Antrag, der als erster Punkt auf der Tagesordnung des Kreistages behandelt wurde, parteiübergreifend großen Anklang. Roland Bürkle (CDU) erklärte, er habe sich über den Antrag gefreut, da die Entwicklung der Gemeinde Kißlegg als Dienstleistungszentrum in der Region durch die Ortsdurchfahrt bislang behindert werde. Im Status quo könne sich keine innerörtliche Dienstleistungsstruktur entwickeln. Die Vorlage sei nach Jahrzehnten endlich eine Idee, wie man die dringend benötigte Entlastung tatsächlich umsetzen könne.
Der Bundestagsabgeordnete Axel Müller (CDU) beschrieb die Ortsdurchfahrt für Fahrradfahrer aus eigener Erfahrung als „zu gefährlich“. Sie müsse dringend entschärft werden. Zudem stimmte er Bürkle bezüglich der fehlenden innerörtlichen Entwicklungsmöglichkeiten zu. „Wenn wir nichts tun, geht der Ort an dieser Straße zugrunde“, so Müller.
Zustimmung kam auch vonseiten des Fdp-fraktionsvorsitzenden Daniel Gallasch. Auch er sieht in der baulichen Maßnahme den besten Weg, um dem steigenden Verkehr innerorts Herr zu werden. Viele Kißlegger Bürger, mit denen er gesprochen habe, würden das Thema Ortsumfahrung zudem sehr positiv sehen.
Etwas überraschend plädierte auch Siegfried Scharpf, Fraktionsvorsitzender der ÖDP, für den Antrag. Auch wenn seine Partei sonst selten für den Straßenbau sei, müsse man im Fall Kißlegg handeln. Er bezeichnete die Situation als „unerträglich“und kenne persönlich keine vergleichbar große Stadt, die einen „solchen neuralgischen Punkt“in ihrem Zentrum habe.
Widerspruch kam hingegen von Seiten einiger Grünen-abgeordneter. Heinz Strubel erinnerte beispielsweise daran, dass im neuen Koalitionsvertrag der Sanierung von Straßen Vorrang vor einem Straßenneubau gegeben werde. Ein Neubau der Ost-umfahrung auf der grünen Wiese sei für ihn eine „rückwärts gewandte, falsche Politik“. Der Kreistag habe in der Vergangenheit zugestimmt, alle Entscheidungen unter einen Klimavorbehalt zu sehen. Der Straßenneubau widerspreche dieser Entscheidung.
Noch deutlicher wurde sein Parteikollege Bruno Sing. Er verstehe das Anliegen, bezweifelte aber die Zuständigkeit des Kreises beim Bau von Umgehungsstraßen und stellte die Frage in den Raum, ob der Landkreis überhaupt über die nötigen Planungskapazitäten verfüge. „Wir haben genügend mit unseren bisherigen Aufgaben zu tun“, so Sing. Zudem enthalte der Beschluss weder zum Personalaufwand noch zu den Kosten irgendwelche Zahlen.
Er wolle eben keine neuen Straßen, sondern „die Lastwagen auf die Schiene bringen“, so Sing weiter. Seiner Ansicht nach müssten grundsätzlich andere Möglichkeiten zur Lärm- und Verkehrsreduktion im Ort diskutiert werden. Zudem solle der Kreis das Geld lieber in den Ausbau des ÖPNVS stecken, anstatt in Straßenbauprojekte. Solange das nicht geschehe, könne er dem Antrag nicht zustimmen. „Nein zum Straßenbau“, schloss er sein Plädoyer.
Seine Parteikollegin Carmen Kremer konnte sich grundsätzlich mit dem Antrag anfreunden, wollte aber im Beschluss festgehalten wissen, dass es sich im Fall Kißlegg tatsächlich um einen Einzelfall handele. Ein entsprechender Antrag scheiterte in der Abstimmung knapp, jedoch versicherte Landrat Harald Sievers, dass es sich definitiv um eine Einzelfallentscheidung handele, die „keine Signalwirkung auf andere Gemeinden entfaltet.“Zum einen seien hier sehr wohl auch Kreisstraßen betroffen und zum anderen kenne er keinen anderen Fall, wo die „Situation so dramatisch ist.“
Simon Gehringer, Leiter Straßenbauamtes des Landkreises, erklärte zudem, dass das Problem bislang nur skizziert worden sei und in den verschiedenen Stadien der Planung noch Machbarkeits- und Variantenuntersuchungen folgen werden. Er betonte noch einmal, dass der Landkreis durch die später geplante Abstufung der bisherigen Kreisstraßen durchaus Vorteile habe. Als Zeitfenster bis zum möglichen Abschluss der Arbeiten nannte er grob 15 Jahre, wollte sich beim aktuellen Stand der Planungen aber noch nicht festlegen.
Schlussendlich brachten die Kreisräte den Planungen zur Ortsumfahrung viel Sympathie entgegen. 52 von ihnen stimmten für das Amtshilfeersuchen und nur sechs stimmten bei fünf Enthaltungen dagegen.