Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Bevölkerungsschutz ist kaputtgespart“
Herbe Kritik des Deutschen Roten Kreuzes an der Politik von Bund und Land
- Die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-pfalz und Nordrhein-westfalen hat das Thema Bevölkerungsschutz wieder in den Fokus gerückt. Dabei geht es nicht nur um nicht funktionierende Alarmierungsketten. Der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes Ravensburg (DRK) klagt seit Jahren über eine Unterversorgung der Hilfsorganisationen in diesem Bereich. Jetzt erheben die Verantwortlichen laut die Stimme.
Dieter Meschenmoser ist Präsident des Drk-kreisverbands Ravensburg, Alfred Bosch Vorsitzender des Ortsverbands und zudem stellvertretender Katastrophenschutzbeauftragter des DRK in Baden-württemberg. Die beiden Männer sind besonnen. Aber angesichts der jüngsten Hochwasserkatastrophe platzt ihnen jetzt die Hutschnur. Alfred Bosch: „Wir können aufgrund unserer personellen und materiellen Ausstattung einen Bevölkerungsschutz in Deutschland nicht mehr sicherstellen.“
Die Fakten, nach Darstellung des Ravensburger Drk-kreisverbands, sehen so aus: Der Zivilschutz in Deutschland ist chronisch unterfinanziert. 70 Prozent der dafür gedachten Bundes- und Landesfahrzeuge seien über zehn, einige über 20 Jahre alt. Die Transportkapazitäten der Krankenwagen wurden durch ein Gesetz von vier auf zwei halbiert, aber zeitnah wurde kein adäquater Ersatz, also weitere Fahrzeuge, beschafft. Kurz vor der jüngsten Hochwasserflut im Westen der Bundesrepublik, Ende Mai 2021, forderte die baden-württembergische Drk-chefin Barbara Bosch von der Landesregierung 25 Millionen Euro mehr pro Jahr für den Katastrophenschutz. Sowohl die Unterbringung von Opfern einer solchen Situation wie auch der Unterhalt der Fahrzeuge für den Einsatz seien mit den derzeit vorhandenen Mitteln nicht mehr möglich.
Obwohl Zivil- und Katastrophenschutz Aufgabe von Bund und Ländern sind, nehmen private Hilfsorganisationen viel eigenes Geld in die Hand, um Mittel aufzustocken, die zu wenig aus der Staatskasse fließen, sagt der Ravensburger Drk-ortsvereinsvorsitzende Alfred Bosch. Nach seiner Darstellung fehlt es beim Bevölkerungsschutz in Bund und Land an allem: „Wir haben in ganz Badenwürttemberg nicht eine Feldküche zum Versorgen von Katastrophenopfern. Wir haben keine mobilen Toiletten, keine Zelte, nicht mal Decken. Und Fahrzeuge, die wir aus eigenen Mitteln gekauft haben, sind inzwischen alte Ramschware, kaum mehr einsetzbar. Oder sie werden von Amts wegen außer Dienst gestellt, weil die Sanitätsausstattung fehlt oder abgelaufen ist. Es ist ein Desaster.“Bereits bei der Flüchtlingskrise 2015 habe man Feldbetten aus den USA einfliegen lassen müssen, um Notunterkünfte zu bestücken – weil im eigenen Bestand nichts mehr da war. Der Grund? Bosch: „Der Bevölkerungsschutz in Deutschland wird seit Jahren totgespart.“Präsident Dieter Meschenmoser ergänzt: „Seit der Flut in Hamburg 1962 gab es in der Bundesrepublik Gott sei Dank keine größeren Katastrophen mehr. Dadurch geriet der Zivilschutz in Vergessenheit.“
Die Angaben des DRK in Sachen Bevölkerungsschutz lesen sich dramatisch. Die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen sei nicht sichergestellt, heißt es da, eine krisensichere Kommunikation über Digitalfunk nicht vorhanden, ein Transport kontaminierter Personen nicht möglich. Das meiste Material sei alt oder untauglich, die Fahrzeuge untermotorisiert oder nicht in der Lage, durch überflutete Gebiete zu fahren. Und wenn diese altersbedingt ausgemustert werden, dann gebe es keinen oder kaum Ersatz – oder man müsse monatelang darauf warten und sei damit über längere Zeit nicht einsatzbereit.
Nach Angaben des Drk-kreisverbands Ravensburg finanziert er selbst bis zu 80 Prozent der Mittel für den Bevölkerungsschutz – obwohl das eine Sache von Bund und Ländern ist. Seit 2019 seien in den fünf Jahren zuvor 50 Prozent der Mittel von Bund und Land zur Materialbeschaffung im Zivilschutz gestrichen worden. Allein in Baden-württemberg fehlten demnach 200 Krankentransportwagen.
„Unverantwortlich“sei das, schrieb das DRK bereits in einem Bericht 2019.
„Derzeit könnte der Zivilschutz des Bundes gleichzeitig nur 3000 Menschen in einer Notsituation versorgen, 3000 Leute, das ist doch verrückt!“, ärgert sich Alfred Bosch. Und schlägt, wie so oft, die Hände über dem Kopf zusammen. Weil er die Situation nicht glauben kann. Und weil er seit Jahren als stellvertretender Katastrophenschutzbeauftragter des DRK in Baden-württemberg auf die Missstände und die Unterversorgung hinweist. Offene Ohren und gute Gespräche hatte er viele, beteuert er. Aber passiert sei praktisch nichts.