Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Pflegeplatzsuche für 20-Jährigen lässt Familie verzweifeln
Weder die St.-elisabeth-stiftung noch das Landratsamt Biberach haben eine Lösung – Weshalb Plätze für junge Pflegebedürftige rar sind
- Pflegebedürftigkeit wird oft in Zusammenhang mit älteren Menschen gebracht, doch sie betrifft auch Kinder und Jugendliche. Laut dem Bundesministerium für Gesundheit mache diese zwar eine vergleichsweise kleine Gruppe unter den rund fünf Millionen pf legebedürftigen Menschen in Deutschland aus (Stand: 2021), doch die Komplexität für Familien sei häufig vielschichtiger. „Pf legebedürftige Kinder und Jugendliche werden fast immer zu Hause von ihren Familien versorgt, auch bei schwerwiegenden Behinderungen und Erkrankungen“, so das Ministerium. Aber allein den Alltag mit einem pflegebedürftigen Kind zu bewältigen, bringt Familien oft an ihre Grenzen. So auch Familie Funk aus Berkheim, die seit Jahren vergeblich nach einer geeigneten Einrichtung für ihren schwerbehinderten Sohn sucht. Weder die für solche Fälle zuständige St.-elisabeth-stiftung noch der Landkreis Biberach haben eine Lösung.
Familie Funk aus Berkheim kennt alle Herausforderungen, die man als Eltern eines pflegebedürftigen Kindes meistern muss. Petra und Kurt Funk haben drei Kinder, der älteste Sohn Noah ist 20 Jahre alt und hat seit seiner Geburt eine sehr seltene Stoffwechselerkrankung (Cobalamin G-defekt). Er ist zu 100 Prozent geistig und körperlich schwerbehindert. Seit 20 Jahren wird Noah an sieben Tagen die Woche 24 Stunden von seiner Familie gepflegt. Vor allem für Mutter Petra Funk ist das ein Einsatz, der die schwer chronische rheumakranke Frau sowohl psychisch auch als physisch belastet. Klagen möchte sie nicht, denn als Mutter fühlt sie sich ihrem Sohn verpf lichtet, aber die Kräfte lassen nach 20 Jahren allmählich nach. An schlechten Tagen könne sie aufgrund starker rheumatischer Schmerzen kaum aufstehen oder ihre Hände verwenden, so ihr Mann Kurt Funk.
„Aktuell geht unser Sohn noch im Rahmen der Eingliederungshilfe in die St.-franziskus-schule der St.-elisabeth-stiftung in Ingerkingen, doch unsere langjährige Suche nach einem Folgeplatz blieb bisher erfolglos“, sagt Funk. Seit nunmehr zwei Jahren versuchen sie einen Platz in einer Wohngruppe zu finden, um die künftige Betreuung des jungen
Manns sicherzustellen, doch vergebens. „Monat für Monat kämpfen wir, ohne Aussicht“, so der Vater. Die Familie weiß nicht mehr weiter, ruft zahlreiche Einrichtungen an, wird immer wieder vertröstet. Doch sie geben nicht auf, sammeln ihre Hoffnungskrümel zusammen und versuchen es auch in den umliegenden Landkreisen, auch hier ohne Erfolg.
„Die St.-elisabeth-stifung wäre eigentlich für die Übernahme der Schulabgänger für den Landkreis Biberach zuständig. Eine Chance auf einen Platz dort gibt es aktuell oder wohl auch mittelfristig nicht. Vielmehr wird von dort darauf hingewiesen, dass man es doch auch in anderen Landkreisen versuchen soll“, sagt Funk. Die Suche außerhalb des Landkreises Biberach versetzt die Familie in eine noch düsterere Lage, da andere Landkreise sich erstrangig um die Bedürfnisse ihrer Bewohner verpflichtet fühlen, so der dreifache Vater. „Somit sind wir chancenlos, da insgesamt in den Landkreisen zu wenige Wohnangebote vorhanden sind.“Inzwischen zehrt nicht nur die Versorgung ihres 20-jährigen Sohnes an ihren Kräften, sondern auch die Tatsache, dass die fünfköpfige Familie an dieser Herausforderung zerbricht. „Wir wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll“, offenbart Funk.
Die Kritik des Ehepaars Funk richtet sich primär an die St.-elisabeth-stiftung, da sie sich von ihr im Stich gelassen fühlen: „Die
Schule St.-franziskus in Ingerkingen ist Teil der St.-elisabethstiftung und steht seit jeher in engem Austausch. Somit muss doch den Verantwortlichen für den Wohnbereich der St.-elisabeth-stiftung die Zahlen der abgehenden Schüler bekannt sein.“Kurt Funk vermutet, dass eine Selektion stattfindet – vergleichsweise leichter handhabbare Fälle werden schwerwiegenden vorgezogen.
Christian Metz, Pressesprecher der St.-elisabeth-stiftung, weist diese Behauptung konsequent zurück: „Das können wir definitiv ausschließen.“Sie seien schließlich spezialisiert auf Menschen mit Schwer- und Mehrfachbehinderungen. „Die Menschen, für die ein Pf legeplatz beantragt wird, werden von den zuständigen Bereichen der Stiftung genau untersucht und darauf hin wird bestimmt, welcher der Wohnplätze für sie infrage kommen.“Dazu nennt Metz ein Beispiel (nicht bezogen auf den aktuellen Fall): „Ein Mensch, der immer wieder starke epileptische Anfälle hat, kann nicht in einer Wohngemeinschaft leben, in der es nachts nur eine Rufbereitschaft gibt. Das bedeutet: Für einen Menschen mit mehrfacher Behinderung und/ oder psychischer Erkrankung beziehungsweise herausforderndem Verhalten müssen wir nicht irgendeinen, sondern den zu seinen Bedürfnissen passenden Wohnplatz finden.“
Die Stiftung fühle sich diesen jungen Erwachsenen verpflichtet, Anschlussplätze im Erwachsenenwohnen anzubieten. „Wir können das aber nur nach unseren Möglichkeiten beziehungsweise Kapazitäten tun. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass sich Familien dadurch im Stich gelassen fühlen“, so Metz.
Auch die Stiftung suche inzwischen in benachbarten und befreundeten Einrichtungen nach freien Plätzen für betroffene Familien, doch ohne Erfolg. „Wir bekommen längst Anfragen aus ganz Deutschland. Und auch unsere Anfragen laufen mittlerweile teilweise deutschlandweit.“
Die geeignete Wohngruppe, die auf Noahs Bedürfnisse passt, wäre eigentlich in Heggbach, doch hier sei man bereits an der Kapazitätsgrenze und voll belegt, erklärt der Pressesprecher. Auch die Hoffnung, in absehbarer Zeit auf der Warteliste aufzurücken, sei nicht besonders realistisch, da keine „normale“Warteliste geführt werde. „Die würde ja suggerieren: Wenn ich auf Platz eins rutsche, bekomme ich automatisch einen Wohnplatz. So ist es aber nicht. Wenn ein Wohnplatz frei wird, prüfen wir zuerst, für wen dieser Platz geeignet ist.“
Auch Landrat Mario Glaser hat Familie Funk bereits kontaktiert und um Unterstützung gebeten. „Die Situation von Familie Funk hat Landrat Glaser sehr betroffen gemacht, sie ist dramatisch und äußerst belastend“, teilt Philipp Friedel, Pressesprecher des Biberacher Landratsamts, mit. Der Fall sei kein Einzelfall, dem Sozialamt seien weitere ähnliche Fälle bekannt, so Friedel. „Die Situation ist dramatisch und es ist zu befürchten, dass das erst der Anfang ist.“Betonen möchte er außerdem, dass die Versorgung dieser jungen Menschen keine Frage der Finanzen sei: „Die Situation macht alle sehr betroffen und wir haben keine wirkliche Lösung in Aussicht. Wir können nur versuchen, die Familien in der häuslichen Situation so gut es geht durch finanzielle Mittel und Entlastungsangebote zu unterstützen.“