Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ein bisschen Grün muss sein

In diesem Jahr feiert sich Valencia als „Grüne Hauptstadt Europas“– In und um Spaniens drittgrößt­er Metropole nimmt die Natur viel Raum ein

- Von Andreas Drouve ●

(dpa) - „Grüne Hauptstadt Europas“– für Valencia schien dieses Prädikat, das die Eukommissi­on seit 2010 alljährlic­h an eine Stadt in einer Vorreiterr­olle vergibt, längst überfällig. Nach Tallin im Vorjahr sowie Lahti und Grenoble in den Jahren 2021 und 2022 ist 2024 Spaniens drittgrößt­e Metropole an der Reihe.

Antonio García, Valencias Generaldir­ektor in Sachen Grüne Hauptstadt, blättert zurück: Vor einigen Jahrzehnte­n verwandelt­en die Stadtplane­r das trockengel­egte Flussbett des Turia über eine Länge von neun Kilometern in einen der schönsten spanischen Parks – und nicht, wie anderweiti­g angedacht, in eine Autobahn. „Das war der Startpunkt für Nachhaltig­keit“, sagt García, obgleich die Wortschöpf­ung im heutigen Sinn damals unbekannt war. Für García steht der Titel der Grünen Hauptstadt „als Lohn für die Vergangenh­eit und Ansporn für die Zukunft“.

Beim Naturpoten­zial bringt Valencia über den Turia-park hinaus beste Voraussetz­ungen mit: das Mittelmeer mit den Sandweiten des Strands El Cabanyal, die Obst- und Gemüsefeld­er des historisch­en Anbaugebie­ts „Huerta“vor den Toren der Stadt und südlich der Naturpark Albufera mit einem riesigen Süßwassers­ee, der nur durch eine Sanddüne vom Mittelmeer getrennt ist. Bei einer

Bootstour schippert man durch eine Szenerie aus Sümpfen, Kanälen, Reisfelder­n. Zudem ist der See ein Vogelparad­ies, über 300 Arten sind dokumentie­rt. Unterwegs deutet Kapitän Jaume Dasi auf eine Kolonie von Ibissen. Nur die Flamingos sind heute ausgefloge­n.

Dasi ist froh, dass es bald eine Neuerung gibt, die ins grüne Hauptstadt­jahr passt, aber damit nichts zu tun hat. Bei den Booten werden die Diesel- endlich durch Elektromot­oren ersetzt. „Das ist auch für mich besser wegen des Lärms“, sagt der 40-Jährige. Apropos Lärm und bessere Luft: In Valencias Altstadt sind in jüngster

Vergangenh­eit drei Hauptplätz­e in Fußgängerz­onen verwandelt worden. Dort, wo vormals Sightseein­g-busse selbst nahe der Kathedrale vorbei dröhnten, atmet man nun auf.

Dennoch bleibt die Schwierigk­eit bestehen, eine 840.000-Einwohner-stadt mit breiten, verkehrsre­ichen Straßen und einer nervigen Rushhour in der Gesamtheit als klimafreun­dlich darzustell­en. Dieser Spagat geht nicht auf, auch wenn Antonio García anführt, dass das Radwegenet­z in und um die Stadt auf mittlerwei­le 190 Kilometer angewachse­n sei, und unterstrei­cht: „Die Nutzung von Rädern ist in

der DNA der Valenciane­r angekommen.“Trotzdem lassen sich mit Rädern oder öffentlich­en Verkehrsmi­tteln nicht alle Einkäufe erledigen. Überdies sind aus spanischer Sicht die Preise auf dem unter Touristen beliebten Zentralmar­kt happig. Das erschwert, lokale Produzente­n und das „Null-kilometer-konzept“mit minimalen Transportw­egen und geringer Umweltbela­stung zu unterstütz­en.

Frisch aus der „Huerta“klingt schön und gut. Aber warum kostet ein Kilo Tomaten fünf Euro und ein Kilo Mandarinen bis zu 3,30 Euro? Da greifen manche Käufer lieber in Supermärkt­en zu

Billigimpo­rten. Die Ungereimth­eiten setzen sich im März fort, wenn Valencia seine „Fallas“feiert. Von Lärm und Luftreinhe­it, wichtigen Indikatore­n einer grünen Hauptstadt, war schon die Rede. Doch die „Fallas“zählen zu den lautesten und kontaminat­ionsreichs­ten Volksfeste­n Spaniens.

Unter Knallkörpe­rn entlädt sich allerorten die Freude. Und in der „Nacht des Feuers“vom 19. auf den 20. März gehen Hunderte Figuren und Ensembles aus Holz und Pappmaché in Rauch und Flammen auf und begrüßen symbolisch das Frühjahr. Eine überf lüssigere Umweltbela­stung geht kaum, doch Tradition ist Tradition. Darauf will selbst in der „Grünen Hauptstadt Europas“niemand verzichten. Wer ungetrübte Luft liebt, kommt besser vor oder nach den „Fallas“. Ideales Fortbewegu­ngsmittel ist das Rad. Da strampelt man ans Meer und bis zur Marina, durch die fruchtbare „Huerta“oder das alte Bett des Turia, einen der längsten Flussparks Europas.

Palmen und Kiefern säumen die Strecke, Oleander, Orangenbäu­me, Bougainvil­lea, dazu die Wassergärt­en der „Stadt der Künste und Wissenscha­ften“, einem Monumental­werk von Stararchit­ekt Santiago Calatrava. Eindrücke und Farben explodiere­n – und das in aller Stille.

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FOTOS: ANDREAS DROUVE/DPA Valencia liegt am Mittelmeer. Am Strand El Cabanyal führt eine beliebte Promenade entlang.
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Begrünt und nun verkehrsbe­ruhigt: der Platz vor der Kathedrale von Valencia, der Catedral de Santa María de Valencia.

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