Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Statt Spannung Einblick in die Ökoküche
Bestsellerautorin Ingrid Noll beleuchtet in „Gruß aus der Küche“den Alltag einer Köchin in ihrem vegetarischen Lokal
BBeim Gemüseschnippeln kommen ihr oft die besten Ideen. Das sagte Deutschlands erfolgreichste Krimiautorin Ingrid Noll einmal zu ihrem Schaffensprozess. Um einen Mann, der alles in Stücke schneidet, was ihm vorgelegt wird, geht es unter anderem in ihrem neuen Roman „Gruß aus der Küche“. Der Gemüsemann hat allerdings eher Streiche im Kopf als Geistesblitze.
Der Senior gehört zu der bunt zusammengewürfelten Truppe um Köchin Irma in ihrem Restaurant „Aubergine“. Nicht nur das lila Gemüse weiß sie in vielerlei Arten köstlich zuzubereiten, sodass es ihr an Gästen nicht mangelt; aber an vielem anderen — Ehe, Kinder, Eigenheim scheinen für die 40-Jährige in weite Ferne gerückt. Zudem leidet sie unter ihrer Körperform, die in Kindheit und Jugend Hänseleien und Kränkungen provozierte. Bezeichnungen wie Kurze, Kugel, Speck und Mehlsack kratzen noch immer an ihrem Selbstwertgefühl.
Mit Irma stellt Noll einmal mehr eine Frau in den Mittelpunkt, die von der Natur nicht gerade begünstigt ist, eine Zu-kurzgekommene, die nach Liebe und Anerkennung lechzt. In 30 Kapiteln entwirft sie rund um Irma ein Beziehungsgeflecht, das die Protagonisten aus deren unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Jedes Kapitel ist ein innerer Monolog.
Man erfährt, dass Irma nach einem kurzen Verhältnis mit dem Oberkellner und Lokalmanager Josch noch auf eine stabile Beziehung mit ihm hofft. Zunächst aber steckt sie ihre ganze Leidenschaft in ihre fleischlosen Kreationen, mit denen sie die Gäste verwöhnt. Auf die Szene der Pescetarier, missionarischer Vegetarier, Flexitarier und Ovotarier wirft Noll einen ironischen Blick.
Während Irma sich in der Küche verausgabt, bändelt ihr Ex mit anderen Frauen an, darunter auch Lucy, Schulverweigerin und Aushilfe in der „Aubergine“. Lucy schmachtet den fast doppelt so alten Vorgesetzten mit Männerdutt an. Der wiederum kann dem Mädchen nicht widerstehen. Für die liebeskranke Irma bietet sich von überraschender Seite eine Alternative zu einem smarten Studienabbrecher. Der Gemüsemann hat ein Auge auf die dralle Frau am Herd geworfen und entpuppt sich als weniger arm und taub als er vorgibt. Noll beschreibt die emotionale Konstellation ihrer Figuren mit einem Gedicht. Der gebildete Gemüsemann rezitiert die alte, aber immer wieder neu herzzerreißende Geschichte in Versen von Heinrich Heine: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen, die hat einen andern erwählt, der andre liebt eine andre, mit der er sich vermählt.“
Noll hat Germanistik und Kunstgeschichte studiert, ist aber erst nach dem Auszug der Kinder zum Schreiben gekommen. Sie würzt ihre Texte mit Zitaten aus der Literatur, Sprachwitz und Wortspielen. Die 17-jährige Lucy etwa transportiert die Jugendsprache,
die der vierfachen Großmutter Noll von den Enkeln bekannt sein dürfte. So fühlt Lucy sich „extrem gef lasht“von der anonymen Einladung zu einem Date.
Die 88-jährige Autorin lässt ihre Antiheldinnen oft über Leichen gehen, um Rache zu nehmen oder die eigenen Wünsche mit dem Brecheisen durchzusetzen. Nicht so die herzensgute Irma. Was genau passiert, sei hier nicht verraten. Nur so viel: Ganz auf Tote verzichtet Noll nicht. Doch wer einen spannenden Krimi aufgetischt haben wollte, wird enttäuscht sein. Vielmehr serviert die Hauptehrenkommissarin der Mannheimer Polizei ihren Lesern mit „Gruß aus der Küche“ein leicht verdauliches Psychogramm kurioser Typen, deren Schicksal sich in der „Aubergine“entscheidet. (dpa)