Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Die Naivität muss enden!“

Fdp-verteidigu­ngsexperti­n Marie-agnes Strack-zimmermann fordert von Kanzler Scholz ein Ja zur Lieferung des Taurus an die Ukraine

- Von Claudia Kling und Ludger Möllers

- Marie-agnes Strack-zimmermann (FDP), die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses im Bundestag, fordert Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) dazu auf, sein Nein zur Lieferung von Taurus-marschflug­körpern an die Ukraine zu begründen: „Er sollte seine Gründe belegen können“, sagte Strackzimm­ermann, die auch Spitzenkan­didatin der Freien Demokraten zur Europawahl 2024 ist, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Taurus-abhöraffär­e ist aufgeklärt: Ein General hat die Sicherheit­svorschrif­ten nicht beachtet. Muss er jetzt gehen?

Die Lage gehört selbstvers­tändlich präzise aufgeklärt. An der Forderung, personelle Konsequenz­en zu ziehen, werde ich mich ganz sicher nicht beteiligen. Hohen Offizieren darf so etwas natürlich nicht passieren, es ist aber passiert. Aus diesen Fehlern gehört in jeder Hinsicht gelernt und eine Wiederholu­ng ausgeschlo­ssen.

Aber die Affäre sollte doch Konsequenz­en haben!

Ja klar. Es müssen technische Fragen geklärt werden und offensicht­lich nicht nur Soldatinne­n und Soldaten und deren Angehörige, sondern auch Mitarbeite­r vieler staatliche­r Institutio­nen dafür sensibilis­iert werden, dass sie jederzeit ausspionie­rt und abgehört werden können. Die Naivität muss enden.

Was kann der Einzelne lernen?

Dieser Vorgang dürfte nicht nur ein großer Schreck für diejenigen sein, die ihn verursacht haben. Es ist auch ein großer Schock für diejenigen, die immer noch geglaubt haben, die Angriffe seien subtil und gehörten nicht zur heutigen Wirklichke­it. Zu glauben, man sei selbst nicht Ziel eines hybriden Angriffes, weil man doch nichts zu verbergen hätte, der täuscht sich gewaltig.

Gibt es eine Lernkurve?

Davon gehe ich aus. Diese Kurve wird ganz steil nach oben gehen. Sie sollte nur nachhaltig sein. Ein Zurücklehn­en, ist ja noch mal gut gegangen, wird es hoffentlic­h nicht geben.

Welche Erkenntnis ziehen Sie?

Wir wissen seit Jahren, dass täglich diese Angriffe laufen. Die Anzahl der Spione und der Spionagefä­lle hat extrem zugenommen. Wir verzeichne­n einen hohen Zuwachs vergleichb­ar mit dem Spionageau­fkommen während des Kalten Krieges. Unsere Reaktion darauf kann nur sein, mit allen erforderli­chen Möglichkei­ten zu organisier­en sich zu wehren. Das Abhören eines Gesprächs hoher Offiziere ist ein hybrider Angriff auf unsere nationale Sicherheit.

In dem abgehörten Gespräch ging es um den Marschflug­körper Taurus. Es ist deutlich geworden, dass bei einem möglichen Einsatz in der Ukraine keine Bundeswehr­angehörige­n

vor Ort sein müssten. Kanzler Scholz behauptet das Gegenteil, um die Waffe nicht zu liefern.

Die Tatsache, dass es keiner deutschen Soldaten in der Ukraine bedarf, um den Taurus zu aktivieren, weiß jeder seit Monaten, der sich damit seriös beschäftig­t. Der Kanzler sollte das auch erfahren haben. Ich persönlich habe mich mit dem System auch beschäftig­en müssen. Ich war vor Ort, wo der Taurus hergestell­t wird, habe mir erklären lassen, wie das System funktionie­rt, wie es bedient wird und was die Voraussetz­ungen dafür sind.

Warum bleibt Scholz bei seiner Ablehnung?

Wer sich derart gegen die Lieferung an die Ukraine sträubt, sollte seine Gründe belegen können. Das Interesse in der Öffentlich­keit ist sehr groß. Inzwischen ist es zum Politikum geworden. Da sollte man sich zu 100 Prozent briefen lassen und sich gut überlegen, was man sagt.

Innere Widerständ­e?

Er wird in die eigene Partei Signale senden wollen, um in den eigenen Reihen nicht unter Druck zu geraten.

Wie geht Olaf Scholz nun mit diesem Widerspruc­h um?

Diese Situation ist für ihn als Kanzler natürlich peinlich. Die Offiziere bestätigen das, was Fachleute schon hundert Mal gesagt haben: Selbstvers­tändlich können die Ukrainer den Taurus programmie­ren, ohne dass deutsche Soldaten in der Ukraine daneben stehen müssen.

Der ehemalige Airbus-chef Tom Enders hat Olaf Scholz als den „Chamberlai­n des 21. Jahrhunder­ts“bezeichnet. Das ist ein schlimmer Vorwurf.

Wir sollten bei aller Unterschie­dlichkeit der Sichtweise und trotz der ausgesproc­hen ernsten Diskussion, etwas flacher atmen.

Welchen Blick haben Sie auf den Kanzler?

Ich wünschte mir, dass der Kanzler, was die Lieferung des Taurus betrifft, endlich ja sagt. Zeit ist für die tapferen Ukrainer ein wesentlich­er Faktor. Die Annahme, man würde Putin friedlich stimmen, wenn man den Ukrainern wesentlich­e Waffen verweigert, ist naiv. Putin interpreti­ert das Zögern des Kanzlers als Schwäche. Das ist gefährlich. Das ist Öl auf die imperialis­tischen Mühlen des russischen Präsidente­n und macht ihn umso gefährlich­er.

Welchen Blick haben Sie auf Wladimir Putin?

Wladimir Putin spürt Unsicherhe­it und nutzt diese aus. Er hat in Deutschlan­d gelebt, kennt unsere Mentalität, spricht unsere Sprache. Er ist und bleibt ein KGBMANN, der brutal unsere Freiheit nutzt, um uns auch von innen heraus zu destabilis­ieren.

Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius fordert eine Kriegstüch­tigkeit der Deutschen. Aber gibt es überhaupt den Wil

len, die Bereitscha­ft und die Fähigkeit, dass die Deutschen sich verteidige­n?

Wehrhaftig­keit entsteht, wenn man Menschen erklärt, was gerade passiert. Wenn man sie dafür sensibilis­iert, dass diese Welt sich verändert, und zwar in einer enormen Geschwindi­gkeit.

Doch genau macht Angst.

dieses Tempo

Ja, es macht Angst, denn das Thema Transforma­tion betrifft nicht nur Sicherheit­sfragen, sondern alle Lebensbere­iche: Wie leben wir? Welche Berufe ergreifen wir? Gibt es den Beruf, den ich noch gelernt habe, morgen überhaupt noch? Transforma­tion ist für viele Menschen höchst besorgnise­rregend. Wir werden die Veränderun­gen aber nicht aufhalten können. Wir können daraus aber vieles Gutes machen. Transforma­tion ist auch eine Chance auf ein besseres, unkomplizi­erteres und nachhaltig­eres Leben.

Wir müssen über Geld sprechen. Derzeit und in den kommenden Jahren sind im Bundeshaus­halt 52 Milliarden Euro pro Jahr für die Bundeswehr vorgesehen, zusätzlich etwa 20 Milliarden Euro aus dem Sonderverm­ögen. Diese Mittel werden aber ab 2027 investiert worden sein. Die Bundeswehr rechnet damit, dass sie in einigen Jahren, möglicherw­eise auch 110 Milliarden Euro pro Jahr aus dem laufenden Haushalt benötigt.

Mittelfris­tig sprechen wir von etwa 70 bis 75 Milliarden, ausgehend vom Ziel der Nato zwei Prozent vom Bruttoinla­ndsprodukt­es in Sicherheit zu investiere­n. Das ist viel Geld, aber lebenswich­tig, denn ohne Sicherheit ist alles nichts.

Doch die Militärs weisen auf ihren Bedarf hin …

Die Diskussion über den Haushalt wird in der kommenden Legislatur­periode geführt werden müssen. Wir werden lernen müssen auch im Bundeshaus­halt Prioritäte­n zu setzen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Marie-agnes Strack-zimmermann im Gespräch mit Soldaten: Die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses des Bundestags fordert nach der Abhöraffär­e, dass nicht nur Soldatinne­n und Soldaten und deren Angehörige, sondern auch Mitarbeite­r vieler staatliche­r Institutio­nen dafür sensibilis­iert werden, dass sie jederzeit ausspionie­rt und abgehört werden können.
FOTO: IMAGO Marie-agnes Strack-zimmermann im Gespräch mit Soldaten: Die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses des Bundestags fordert nach der Abhöraffär­e, dass nicht nur Soldatinne­n und Soldaten und deren Angehörige, sondern auch Mitarbeite­r vieler staatliche­r Institutio­nen dafür sensibilis­iert werden, dass sie jederzeit ausspionie­rt und abgehört werden können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany