Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Die Naivität muss enden!“
Fdp-verteidigungsexpertin Marie-agnes Strack-zimmermann fordert von Kanzler Scholz ein Ja zur Lieferung des Taurus an die Ukraine
- Marie-agnes Strack-zimmermann (FDP), die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, fordert Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu auf, sein Nein zur Lieferung von Taurus-marschflugkörpern an die Ukraine zu begründen: „Er sollte seine Gründe belegen können“, sagte Strackzimmermann, die auch Spitzenkandidatin der Freien Demokraten zur Europawahl 2024 ist, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Taurus-abhöraffäre ist aufgeklärt: Ein General hat die Sicherheitsvorschriften nicht beachtet. Muss er jetzt gehen?
Die Lage gehört selbstverständlich präzise aufgeklärt. An der Forderung, personelle Konsequenzen zu ziehen, werde ich mich ganz sicher nicht beteiligen. Hohen Offizieren darf so etwas natürlich nicht passieren, es ist aber passiert. Aus diesen Fehlern gehört in jeder Hinsicht gelernt und eine Wiederholung ausgeschlossen.
Aber die Affäre sollte doch Konsequenzen haben!
Ja klar. Es müssen technische Fragen geklärt werden und offensichtlich nicht nur Soldatinnen und Soldaten und deren Angehörige, sondern auch Mitarbeiter vieler staatlicher Institutionen dafür sensibilisiert werden, dass sie jederzeit ausspioniert und abgehört werden können. Die Naivität muss enden.
Was kann der Einzelne lernen?
Dieser Vorgang dürfte nicht nur ein großer Schreck für diejenigen sein, die ihn verursacht haben. Es ist auch ein großer Schock für diejenigen, die immer noch geglaubt haben, die Angriffe seien subtil und gehörten nicht zur heutigen Wirklichkeit. Zu glauben, man sei selbst nicht Ziel eines hybriden Angriffes, weil man doch nichts zu verbergen hätte, der täuscht sich gewaltig.
Gibt es eine Lernkurve?
Davon gehe ich aus. Diese Kurve wird ganz steil nach oben gehen. Sie sollte nur nachhaltig sein. Ein Zurücklehnen, ist ja noch mal gut gegangen, wird es hoffentlich nicht geben.
Welche Erkenntnis ziehen Sie?
Wir wissen seit Jahren, dass täglich diese Angriffe laufen. Die Anzahl der Spione und der Spionagefälle hat extrem zugenommen. Wir verzeichnen einen hohen Zuwachs vergleichbar mit dem Spionageaufkommen während des Kalten Krieges. Unsere Reaktion darauf kann nur sein, mit allen erforderlichen Möglichkeiten zu organisieren sich zu wehren. Das Abhören eines Gesprächs hoher Offiziere ist ein hybrider Angriff auf unsere nationale Sicherheit.
In dem abgehörten Gespräch ging es um den Marschflugkörper Taurus. Es ist deutlich geworden, dass bei einem möglichen Einsatz in der Ukraine keine Bundeswehrangehörigen
vor Ort sein müssten. Kanzler Scholz behauptet das Gegenteil, um die Waffe nicht zu liefern.
Die Tatsache, dass es keiner deutschen Soldaten in der Ukraine bedarf, um den Taurus zu aktivieren, weiß jeder seit Monaten, der sich damit seriös beschäftigt. Der Kanzler sollte das auch erfahren haben. Ich persönlich habe mich mit dem System auch beschäftigen müssen. Ich war vor Ort, wo der Taurus hergestellt wird, habe mir erklären lassen, wie das System funktioniert, wie es bedient wird und was die Voraussetzungen dafür sind.
Warum bleibt Scholz bei seiner Ablehnung?
Wer sich derart gegen die Lieferung an die Ukraine sträubt, sollte seine Gründe belegen können. Das Interesse in der Öffentlichkeit ist sehr groß. Inzwischen ist es zum Politikum geworden. Da sollte man sich zu 100 Prozent briefen lassen und sich gut überlegen, was man sagt.
Innere Widerstände?
Er wird in die eigene Partei Signale senden wollen, um in den eigenen Reihen nicht unter Druck zu geraten.
Wie geht Olaf Scholz nun mit diesem Widerspruch um?
Diese Situation ist für ihn als Kanzler natürlich peinlich. Die Offiziere bestätigen das, was Fachleute schon hundert Mal gesagt haben: Selbstverständlich können die Ukrainer den Taurus programmieren, ohne dass deutsche Soldaten in der Ukraine daneben stehen müssen.
Der ehemalige Airbus-chef Tom Enders hat Olaf Scholz als den „Chamberlain des 21. Jahrhunderts“bezeichnet. Das ist ein schlimmer Vorwurf.
Wir sollten bei aller Unterschiedlichkeit der Sichtweise und trotz der ausgesprochen ernsten Diskussion, etwas flacher atmen.
Welchen Blick haben Sie auf den Kanzler?
Ich wünschte mir, dass der Kanzler, was die Lieferung des Taurus betrifft, endlich ja sagt. Zeit ist für die tapferen Ukrainer ein wesentlicher Faktor. Die Annahme, man würde Putin friedlich stimmen, wenn man den Ukrainern wesentliche Waffen verweigert, ist naiv. Putin interpretiert das Zögern des Kanzlers als Schwäche. Das ist gefährlich. Das ist Öl auf die imperialistischen Mühlen des russischen Präsidenten und macht ihn umso gefährlicher.
Welchen Blick haben Sie auf Wladimir Putin?
Wladimir Putin spürt Unsicherheit und nutzt diese aus. Er hat in Deutschland gelebt, kennt unsere Mentalität, spricht unsere Sprache. Er ist und bleibt ein KGBMANN, der brutal unsere Freiheit nutzt, um uns auch von innen heraus zu destabilisieren.
Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert eine Kriegstüchtigkeit der Deutschen. Aber gibt es überhaupt den Wil
len, die Bereitschaft und die Fähigkeit, dass die Deutschen sich verteidigen?
Wehrhaftigkeit entsteht, wenn man Menschen erklärt, was gerade passiert. Wenn man sie dafür sensibilisiert, dass diese Welt sich verändert, und zwar in einer enormen Geschwindigkeit.
Doch genau macht Angst.
dieses Tempo
Ja, es macht Angst, denn das Thema Transformation betrifft nicht nur Sicherheitsfragen, sondern alle Lebensbereiche: Wie leben wir? Welche Berufe ergreifen wir? Gibt es den Beruf, den ich noch gelernt habe, morgen überhaupt noch? Transformation ist für viele Menschen höchst besorgniserregend. Wir werden die Veränderungen aber nicht aufhalten können. Wir können daraus aber vieles Gutes machen. Transformation ist auch eine Chance auf ein besseres, unkomplizierteres und nachhaltigeres Leben.
Wir müssen über Geld sprechen. Derzeit und in den kommenden Jahren sind im Bundeshaushalt 52 Milliarden Euro pro Jahr für die Bundeswehr vorgesehen, zusätzlich etwa 20 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen. Diese Mittel werden aber ab 2027 investiert worden sein. Die Bundeswehr rechnet damit, dass sie in einigen Jahren, möglicherweise auch 110 Milliarden Euro pro Jahr aus dem laufenden Haushalt benötigt.
Mittelfristig sprechen wir von etwa 70 bis 75 Milliarden, ausgehend vom Ziel der Nato zwei Prozent vom Bruttoinlandsproduktes in Sicherheit zu investieren. Das ist viel Geld, aber lebenswichtig, denn ohne Sicherheit ist alles nichts.
Doch die Militärs weisen auf ihren Bedarf hin …
Die Diskussion über den Haushalt wird in der kommenden Legislaturperiode geführt werden müssen. Wir werden lernen müssen auch im Bundeshaushalt Prioritäten zu setzen.