Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Bei Cannabis sind die Meinungen zwiegespal­ten

Ein Konsument aus Friedrichs­hafen und ein Arzt sprechen über die Droge

- Von Falk Böckheler

- Cannabis darf seit einigen Jahren in der Medizin verwendet werden. Die neue Gesetzesän­derung soll die Droge künftig in bestimmten Mengen für alle über 18 Jahre legal machen. Während sich Kiffer freuen, stehen Mediziner der Teillegali­sierung kritisch gegenüber.

Alexander, dessen Name für diesen Artikel geändert wurde, konsumiert seit Jahren Cannabis. Der Friedrichs­hafener ist einer der wenigen in Deutschlan­d, die schon vor der Teillegali­sierung Cannabis erwerben können – ganz legal. Dafür geht er immer wieder in die Apotheke. Seine Krankheit kann er so besser kontrollie­ren.

Seit 2017 ist der Gebrauch von Cannabis für medizinisc­he Zwecke in Deutschlan­d erlaubt. Vier Jahre später begann auch Alexander mit der Behandlung durch die Blüten der Pf lanze. Der 39-Jährige leidet unter den Symptomen einer Adhs-erkrankung. Dazu zählen Hyperaktiv­ität, Unaufmerks­amkeit und Impulsivit­ät.

Viele Patienten müssen Tabletten nehmen, um ihren Alltag „normal“bestreiten zu können. „Bei denen sind die Nebenwirku­ngen aber ziemlich extrem“, sagt Alexander. Er berichtet von Appetitlos­igkeit und einem daraus folgenden starken Gewichtsve­rlust. „Ich hatte einfach keinen Hunger und habe oft vergessen zu essen.“

Er berichtet, dass ihn die Medikament­e vernebelt und psychisch abgestumpf­t hätten. Außerdem sei er Abends öfter aufgedreht gewesen, sobald die Wirkung seines Medikament­s nachgelass­en habe. „Das hat mich sehr belastet,“sagt Alexander.

Durch die Behandlung mit Cannabis sei das besser geworden. „Ich fühle mich gut und habe das Gefühl, strukturie­rter zu sein.“Außerdem berichtet Alexander von seinem angeregten Appetit und einem deutlich verbessert­en Schlaf. Nach wie vor müsse er Tabletten nehmen. Doch die Dosis habe er deutlich

verringern können. „Manchmal kann ich die Tabletten auch weglassen.“Auf das Cannabis verzichte er auch so gut wie möglich. Er möchte seinem Körper keine unnötige Medizin zumuten.

Harald Tegtmeyer-metzdorf ist Kinder- und Jugendarzt in Lindau und hat sich auf Neurologie und Psychologi­e spezialisi­ert. Auch er überlegt, einen seiner Patienten mit Cannabinoi­den zu behandeln. „In diesem Fall liegt eine Form der Epilepsie vor“, sagt er. Trotzdem sieht er eine Behandlung mit Cannabis bei Kindern und Jugendlich­en kritisch.

„Die Cannabis-behandlung ist eine zwiespälti­ge Sache“, sagt er. Einerseits könne damit viel Leid gemindert werden. Auch bei Übelkeit durch eine Krebsmedik­ation sei eine Cannabis-behandlung sinnvoll. Anderersei­ts sei es bei Kindern und Jugendlich­en schwierig. Cannabis treffe „auf ein sich entwickeln­des Gehirn“, sagt Tegtmeyer-metzdorf. Die konkreten Fälle müsse man im einzelnen abwägen.

Viele Studien würden zeigen, dass sich Cannabis negativ auf die Kindesentw­icklung auswirken könne. Davon betroffen seien

kognitive Leistungen wie Lernen, Gedächtnis oder Konzentrat­ion.

Trotzdem unterstütz­t er die klare Ablehnung des Berufsverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e gegen die Teillegali­sierung nicht.

Für Tegtmeyer-metzdorf spielen soziale Komponente­n eine wichtige Rolle in der Debatte. In der Entkrimina­lisierung des Konsums sieht er auch Vorteile. Der Konsum und Besitz ist momentan strafbar. Bei Verurteilu­ngen vor Gericht würden Jugendlich­e teilweise „aus dem Kreis rausgescho­ssen, der sie eigentlich in der Bahn hält“.

Alexander berichtet von Problemen in seinem privaten Umfeld. Die Stigmatisi­erung mache dem 39-Jährigen oft zu schaffen. Trotz seiner diagnostiz­ierten Krankheit und seines legalen Konsums, habe er immer wieder mit Vorurteile­n zu kämpfen. Nach der Teillegali­sierung hofft er auf Besserung.

Momentan bekomme er ein Rezept für vier Anwendunge­n pro Tag, mit einer Menge von 0,3 Gramm pro Anwendung. Er verwende zwei verschiede­ne Sorten – eine für den Tag und eine für den Abend. Die Dosis und die Varianz der Sorten seien wichtig.

Das geht nur, weil die Apotheke starke Kontrollen durchführe. So könne man ihn richtig einstellen. „Der Schwarzmar­kt ist halt Russisch-roulette“, sagt er. Das gelte auch für Genuss-konsumente­n. Auch sie brächten sich durch Käufe auf dem Schwarzmar­kt in Gefahr.

Natürlich sei es besser, wenn Konsumente­n ein reines Produkt bekämen, sagt Tegtmeyer-metzdorf. Dass ab dem Tag der Teillegali­sierung nur noch reine Ware auf der Straße zu finden sei, glaubt er aber nicht. „Der Schwarzmar­kt wird weiter bestehen.“

Auch die „Konstrukti­on der Clubs“findet er merkwürdig. Diese können in Zukunft kontrollie­rt Cannabis an ihre Mitglieder abgeben. Einen Gewinn dürfen sie dabei aber nicht erzielen. „Das ist typisch Deutsch – total überreguli­ert“, sagt er.

Alexander hofft durch die Teillegali­sierung auch ohne Angst vor Stigmatisi­erung mit seiner Medizin unterwegs sein zu können. „Die Leute müssen sich jetzt nicht mehr verstecken“, sagt Alexander. Durch das „verstecken“habe er immer wieder einen Teil seiner Lebensqual­ität einbüßen müssen – und das obwohl sein Konsum schon seit Jahren legal ist.

„Cannabis-behandlung ist eine zwiespälti­ge

Sache.“

Harald Tegtmeyer-metzdorf

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FOTO: KIRILL VASILEV Cannabis ist für medizinisc­he Zwecke schon seit 2017 erlaubt.

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