Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Geliebte Glücksbringer, verhasste Schädlinge
Käfer werden immer noch unterschätzt – Welche Fähigkeiten und Tricks die sogenannten Coleoptera so draufhaben
Marienkäfer sind beliebt. Wenn wir einen sehen, freuen wir uns über den kleinen gef lügelten Glücksbringer. Wir mögen auch Maikäfer und Glühwürmchen, die ein überaus positives Image haben. Ganz anders sieht es mit Kartoffelkäfern aus oder Asiatischen Laubholzbockkäfern, die in der Forstwirtschaft für Unmut sorgen. Aber Käfer können noch viel mehr als Freude bereiten oder Ärger machen.
Ganz im Gegenteil sogar sind sie enorm vielseitig sowie vielfältig und werden oft unterschätzt. Allein ihre schiere Anzahl ist beachtenswert: Jede vierte Tierart auf dem Planeten ist ein Käfer. „Mindestens 380.000 Arten sind der Wissenschaft bisher bekannt“, sagt Professor Bernhard Klausnitzer, Vorsitzender der Entomofaunistischen Gesellschaft in Dresden, und einer der weltweit führenden Experten für Coleoptera, wie die Tiere fachsprachlich genannt werden.
Fachleute wie er gehen davon aus, dass es noch sehr viel mehr Käferspezies auf der Erde gibt, die aber bisher noch unentdeckt sind. Eine ganze Reihe der Arten wird wahrscheinlich ausgestorben sein, bevor sie die Wissenschaftler überhaupt zu Gesicht bekommen haben. „Die Käfer sind momentan die Gruppe auf der Erde mit den meisten beschriebenen Arten“, sagt Professor Martin Husemann. „Viele davon sind sehr spezialisiert“, weiß der wissenschaftliche Direktor des Staatlichen Museums für Naturkunde Karlsruhe. „Oft geht mit hoher Spezialisierung auch eine hohe Gefährdung einher.“
Was wir mit jeder einzelnen Käferart verlieren, wird deutlicher, wenn wir uns ihre Vielfalt und Vielseitigkeit vor Augen führen. „Käfer besiedeln fast alle Lebensräume der Erde“, sagt Klausnitzer. „Es gibt sie selbst auf den antarktischen Inseln und an Grönlands Küste.“Der Coleopterologe ergänzt: „Fast alle vom Menschen erforschten Höhlen sind von Käfern besiedelt und auch die Wüsten haben im Allgemeinen eine reiche Käferfauna. Es gibt sogar einen Schwimmkäfer, der in 45 Grad Celsius warmen Thermalquellen lebt.“
Die Tiere haben sich an diese Lebensräume angepasst. Einige von ihnen können überraschend schnell laufen, wie beispielsweise die Sandlaufkäfer. Der australische Tigerkäfer Rivacindela hudsoni hat es mit seinen neun km/h als das am schnellsten laufende Insekt sogar ins Guinessbuch der Weltrekorde geschafft. Für den nur wenige Millimeter kleinen Käfer mit den langen Beinen ist das ganz schön fix, denn das entspricht immerhin 125 Körperlängen pro Sekunde. Doch natürlich läuft das Käferchen nicht nur zum Spaß so schnell. In seinem südaustralischen Lebensraum kann es nämlich ganz schön heiß werden und je schneller er über die ausgetrockneten Salzseen flitzt, desto kürzer ist der Kontakt mit dem heißen Boden.
Um die schnellsten im Wasser schwimmenden Käfer zu sehen, muss man noch nicht einmal nach Australien reisen. Sie kann man mit ein bisschen Glück in unseren heimischen Gewässern beobachten, ja sogar im Gartenteich. „Die Gelbrandkäfer der Gattungen Dytiscus und Cybister haben ideale strömungsmechanische Eigenschaften“, weiß Klausnitzer, „die Geschwindigkeit, die die Schwimmkäfer erreichen, liegt bei etwa 50 Zentimeter pro Sekunde.“Allerdings werden sich Gartenteichbesitzer darüber nur bedingt freuen können, denn Gelbrandkäfer knabbern auch gerne mal die Fische an und machen sich überhaupt über so ziemlich alles her, was sie überwältigen können.
Da die Tiere nicht so wie Fische über Kiemen verfügen, sondern über sogenannte Tracheen atmen, müssen sie zum Luftholen immer wieder an die Oberf läche kommen. Den Atemluftvorrat verstauen sie dann in Form einer großen Luftblase unter ihren Flügeldecken. Wie bei den meisten anderen Käfern auch, ist das vordere Flügelpaar verhärtet und dient zum Schutz der darunter verborgenen und gut zusammengefalteten Flügel, mit denen sich die Gelbrandkäfer in der Regel des Nachts in die Lüfte aufschwingen und so neue Gewässer erobern können.
Käfer können aber nicht nur laufen, schwimmen und f liegen, einige von ihnen können auch beachtlich hoch springen. Bei den Flohkäfern etwa spricht allein der Name schon Bände. „Flohkäfer von 2,5 Millimetern Körperlänge können 50 bis 60 Zentimeter hoch und weit springen“, sagt Entomologe Klausnitzer. Für so einen kleinen Käfer ist das eine ganze Menge. Aber auch das genaue Gegenteil ist möglich: Manche Käferarten können sich unwahrscheinlich gut festhalten. Bei Bachkäfern macht das auch durchaus Sinn, denn ohne diese Fähigkeit würden sie in den teilweise reißenden Strömungen, in denen sie vorkommen, ganz einfach auf und davon getragen werden. Aber auch die Goliath-käfer, die mit ihren bis zu über 100 Gramm Gewicht die schwersten Käfer überhaupt sind, können sich erstaunlich gut an Zweigen und Ästen festhalten – und zwar „wie festgeschmiedet“, meint Klausnitzer.
Obwohl der Goliath-käfer der schwerste aller Käfer ist, so ist er mit seinen etwa zehn Zentimetern Körperlänge doch keineswegs der größte Käfer der Welt. Dieser Titel gebührt dem Riesenbockkäfer Titanus giganteus, der es auf immerhin 16 Zentimeter bringen kann. Herkuleskäfer (Dynastes hercules) können dank ihres langausgebildeten Horns sogar noch etwas länger werden. Wenn es um kämpfende Käfer geht, dürfen natürlich auch die Hirschkäfer (Lucanus cervus) nicht unerwähnt bleiben, die größten europäischen Käfer, die auch in Mitteleuropa heimisch sind. Mit ihren geweihartig ausgeformten Oberkiefern hebeln sich die Männchen im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig vom Ast, können damit aber auch kräftig zubeißen.
Wenn es um die Beliebtheit geht, werden die schönen großen Hirschkäfer aber wohl noch von den Marienkäfern übertroffen, die nicht nur hierzulande als Glückssymbol gelten. Auch wenn die kleinen hübschen Käferchen als sogenannte Nützlinge vieles von dem vertilgen, was wir als Schädling bezeichnen, wie etwa Blattläuse oder Schildläuse, und deshalb bei uns Menschen überaus beliebt sind, so gibt es doch durchaus noch sehr viel schönere Käfer.
Viele Coleoptera fallen durch bunte Farben auf, wie etwa Tropische Prachtkäfer oder auch Goldkäfer. Auch Rosenkäfer gibt es in vielen verschiedenen Färbungen und Zeichnungen. All diese Formen und Farben erfüllen in der Regel natürlich ihren Zweck.
Manche Käfer imitieren mit ihrer auffälligen Zeichnung Hummeln wie etwa die Gebänderten Pinselkäfer oder gar Wespen wie die Wespenkäfer, um nicht gefressen zu werden. Andere setzen wie die Marienkäfer auch auf eine auffällige Warntracht, die jeden, der sie zum Fressen gern hat, vor ihrer Giftigkeit warnt. Dabei kommen vor allem Rot- und Gelbtöne zum Einsatz, die oft mit Schwarz kontrastiert werden.
Ausgesprochen hübsch sind auch Kartoffelkäfer und die Asiatischen Laubholzbockkäfer, wobei diese und viele andere Spezies, die als Schädlinge gelten, bei uns Menschen nicht sonderlich beliebt sind. Erstere wurden schon im 19. Jahrhundert aus Amerika nach Europa eingeschleppt, Letztere sorgen erst seit einigen Jahren in der Forstwirtschaft für Unmut. „Viele invasive Arten können problematisch werden“, weiß Martin Husemann. „Gerade bei Pflanzen und Insekten ist es fast unmöglich, sie wieder loszuwerden, sobald sie etabliert sind. Nur in frühen Phasen hat man Chancen.“