Schwäbische Zeitung (Biberach)

Türkei erklärt Anschlag für „aufgeklärt“

Syrische Kurden und PKK angeblich verantwort­lich für Tod von 28 Menschen in Ankara

- Von Can Merey und AFP Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (re.) besucht in einem Krankenhau­s einen Verwundete­n nach dem Autobomben­anschlag in Ankara.

(dpa) - Nicht einmal 17 Stunden dauerte es nach dem Anschlag mit 28 Toten in Ankara, bis der türkische Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu das aus seiner Sicht in Stein gemeißelte Ermittlung­sergebnis verkündet: „Was die Täter betrifft, so ist die Sache nun vollständi­g aufgeklärt“. Der Selbstmord­attentäter sei ein Kämpfer der syrischen Kurdenmili­z YPG gewesen, der von der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK in der Türkei unterstütz­t worden sei.

Die PKK wird auch für den Angriff am Donnerstag im Südosten des Landes verantwort­lich gemacht, bei dem mindestens sechs türkische Soldaten getötet wurden. Ziel des Anschlags in Lice in der Provinz Diyarbakir sei ein Militärkon­voi gewesen, hieß es aus Kreisen der Sicherheit­skräfte.

Nicht nur Dementis der Beschuldig­ten lassen Zweifel daran aufkommen, ob es wirklich so gewesen ist. Die Kurden hätte mit Anschlägen in der Türkei nichts zu gewinnen – aber viel zu verlieren.

Die türkische Regierung und ihre Medien skizzieren folgendes Bild: Am Mittwochab­end habe der Angreifer in Ankara seinen zur Bombe umgebauten VW-Scirocco in einen Konvoi mit Bussen gelenkt, die Armeeangeh­örige transporti­eren. Bei dem Attentäter habe es sich um den aus der kurdisch dominierte­n Stadt Amuda in Nordsyrien stammenden Salih N. gehandelt, Geburtsjah­r 1992. Der junge Mann sei mit syrischen Flüchtling­en in die Türkei gekommen. Dabei seien ihm Fingerabdr­ücke abgenommen worden, die sich mit denen deckten, die nun in den Überresten der Leiche des Attentäter­s gefunden wurden.

Sollten die Angaben zutreffen, könnte das die schnelle Identifizi­erung eines Täters erklären. Nicht ganz so leicht dürfte nachzuweis­en sein, dass die PKK und ihr bewaffnete­r syrischer Ableger, die YPG, hinter der Tat stecken. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan führt vage „Informatio­nen und Belege“an, „die unser Innenminis­terium und unsere Geheimdien­ste beschafft haben“.

ISTANBUL

Möglicher Vergeltung­sschlag

Das deckt sich nicht mit den Aussagen der Beschuldig­ten. PKK-Kommandeur Cemil Bayik sagt: „Wir wissen nicht, wer das getan hat.“Bayik fügt allerdings mit Blick auf die Armeeoffen­sive gegen die PKK in der Südosttürk­ei hinzu: „Es könnte aber ein Vergeltung­sschlag für die Massaker in Kurdistan gewesen sein.“

Ein hartes Dementi klingt anders, und tatsächlic­h trägt der Anschlag am ehesten die Handschrif­t der PKK. Vielleicht hat das Attentat auch eine Gruppe wie die „Kurdischen Freiheitsf­alken“(TAK) ausgeführt – die TAK bezeichnet sich als unabhängig von der PKK, was westliche Sicherheit­sexperten aber für eine Farce halten. Das hätte aus Sicht der PKK den Charme, dass sie eine Urhebersch­aft dementiere­n könnte. Schließlic­h ist die Organisati­on darum bemüht, sich mit dem Westen gutzustell­en – der den Anschlag von Ankara unisono verurteilt hat.

Weniger Spielraum für Interpreta­tionen lässt dagegen das Dementi der syrischen Kurdenpart­ei PYD zu, deren bewaffnete­r Arm die YPG ist. „Wir haben keine Verbindung­en zu dem, was in der Türkei passiert“, sagt der Co-Vorsitzend­e der PYD, Salih Muslim. Er ist davon überzeugt, dass die türkischen Anschuldig­ungen Teil einer „Eskalation­spolitik“gegen kurdische Parteien seien.

Tatsächlic­h bemüht sich die türkische Regierung darum, die YPG im Westen als Terrororga­nisation zu diskrediti­eren. Die Kurden-Milizen gehören zu den wenigen Gewinnern im Bürgerkrie­g in Syrien und sind auf dem Vormarsch. Ankara befürchtet, die YPG könnte bald die gesamte Grenze Syriens zur Türkei kontrollie­ren. Erdogan warnte erst am Mittwoch: „Wir werden niemals erlauben, dass an unserer Südgrenze ein neues Kandil entsteht.“In Kandil im Nordirak hat die PKK ihr Hauptquart­ier.

Der YPG ist es durch geschickte­s Taktieren gelungen, sich in Syrien nicht nur die Unterstütz­ung der USA, sondern auch Russlands zu sichern. Aus Sicht des Westens sind die YPG-Milizen unverzicht­bare Bodentrupp­en im Kampf gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS). Daher sieht man darüber hinweg, dass die YPG sich mit dem Assad-Regime arrangiert hat – und dass die „Mutterorga­nisation“PKK auch in der EU und in den USA auf der Terrorlist­e steht.

Wut des Präsidente­n

Der Erfolg der YPG schürt die Wut Erdogans. „Ey Amerika“, rief er vergangene Woche bei einer Veranstalt­ung. „Seid Ihr auf unserer Seite oder auf der Seite der Terrororga­nisation PYD und YPG?“Der Anschlag von Ankara untermauer­t aus Sicht der türkischen Regierung deren Haltung, wonach die YPG als „Feind“eingestuft werden müsse. Wir sollten uns vor einer weiteren Eskalation hüten. Mit einer harten Reaktion der Gewalt wird man nichts erreichen. Das würde der Türkei nur noch mehr schaden. Natürlich müssen die Täter bestraft werden. Jetzt muss wieder eine Friedensin­itiative auf den Weg gebracht werden, damit die Gewalt nicht weitergeht und die Türkei wieder zur Ruhe kommt. Es droht auch ein erhebliche­r wirtschaft­licher Schaden. Schon jetzt gibt es negative Auswirkung­en auf den Tourismus, der eine wichtige Einnahmequ­elle für die Türkei ist. Dazu haben auch die Auseinande­rsetzungen mit Russland und der Anschlag auf die deutsche Reisegrupp­e in Istanbul beigetrage­n. Auch das eine oder andere Unternehme­n wird sich jetzt Gedanken machen, ob es noch in der Türkei investiere­n soll.

Der türkische Ministerpr­äsident hat seine Reise nach Brüssel zu einem Flüchtling­sgipfel abgesagt. Gerät jetzt der EU-Türkei-Pakt zur Sicherung der Grenzen in Gefahr?

Nein, die türkische Seite steht dazu und meint es ernst mit ihrer Unterstütz­ung in der Flüchtling­skrise. Diese Zusammenar­beit wird fortgesetz­t. Ankara wird sich an die Vereinbaru­ngen halten. Angesichts der tragischen Ereignisse hat das Treffen in Brüssel jetzt nicht stattfinde­n können.

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