Schwäbische Zeitung (Biberach)
Camerons Drohungen mit ungewissen Folgen
Britischer Premier pocht vor dem EU-Gipfel auf Erfüllung seiner Reformforderungen – Österreich sieht in Flüchtlingsfrage Europa am Zug
(dpa) - Die EU ohne das Vereinigte Königreich? Mit einem Schlag mehr als 64 Millionen Bürger weniger? Dazu ein Verlust an wirtschaftlicher und diplomatischer Stärke? Wenn Kanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen an diesem Freitag vom EU-Gipfel abreisen, dann können sie nur noch hoffen. Hoffen darauf, dass das düstere „Brexit“-Szenario nicht eintritt.
Mit einem „Deal“zu britischen EU-Reformforderungen soll dann die Grundlage dafür stehen, dass die Regierung in London für einen Verbleib des Königreiches in der EU werben kann. Für die EU-Partner ist Camerons versprochenes Referendum eine Provokation. Der Brite machte zuletzt immer wieder deutlich, dass er seinen Landsleuten nur dann ein Ja zur EU empfehlen werde, wenn die anderen Staaten einem umfassenden Katalog von britischen EU-Reformforderungen zustimmen.
So will das Vereinigte Königreich neue Regeln, die es ihm ermöglichen, zugewanderten EU-Bürgern erst nach vier Jahren Arbeit im Land und bestimmte Sozialleistungen zu gewähren. In Brüssel zeichnete sich am Donnerstag ab, dass die EU-Partner
BRÜSSEL
diese Forderung weitgehend akzeptieren. Zum Auftakt der Gespräche hatte Cameron deutlich gemacht, was im Fall einer Ablehnung passieren würde: „Wenn wir eine gute Vereinbarung bekommen, werde ich diesen Deal annehmen – aber ich werde keinen Deal annehmen, der unseren Bedürfnissen nicht entspricht.“Das klang nach Drohung.
Warum sich Cameron das erlauben kann? Die EU macht sich Sorgen, dass ein Austritt Großbritanniens im schlimmsten Fall Schule machen könnte. Dies würde dann eine noch stärkere Schwächung der Europäischen Union zur Folge haben.
Das zweite große Thema des EUGipfels – Europas Flüchtlingskrise – dürfte den Regierungschefs ebenfalls Kopfschmerzen bereiten. Ausgerechnet Österreich, Deutschlands enger Partner, wird zum nächsten Problemfall. Der Klub der Willigen, also die Koalition der elf EU-Länder, die mit der Türkei an einer Lösung arbeiten wollten, ist damit in Gefahr.
Faymann hält an Obergrenze fest
Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann beharrt trotz aller Kritik auf der umstrittenen Flüchtlingsobergrenze, die Wien verhängt hatte. Zuvor hatte die EU-Kommission dies als Verstoß gegen internationales Recht gerügt. Faymann ermahnt die EU: „Wir sind mit gutem Beispiel vorangegangen. Jetzt seid ihr dran.“
In Deutschland sind die Erwartungen an das Brüsseler Treffen riesig – obwohl sich die Bundesregierung bemühte, eben solche Erwartungen zu dämpfen. Es werde lediglich eine „Zwischenbilanz“gezogen, überprüft, wie es um die Umsetzung bereits getroffener Beschlüsse stehe, betonte zuletzt Merkel.
Den Plan für feste Quoten für weitere Flüchtlingskontingente hat sie ganz beerdigt. Immerhin: In einem Entwurf zur Abschlusserklärung des Gipfels heißt es, die „Politik des Durchwinkens“von Flüchtlingen müsse ein Ende haben.