Schwäbische Zeitung (Biberach)
Bauern suchen Auswege aus der Krise
Zum fünften Unternehmertag des Landesbauernverbands kommen 1200 Landwirte
- Landwirtschaft anno 2016 ist nicht bloß säen und ernten, züchten und schlachten. Landwirtschaft heißt vor allem: kalkulieren. Die Agrarindustrie ist nicht mehr nur abhängig von Launen der Natur und den Kunden, sondern auch von der Weltpolitik, deren Erschütterungen diese Branche durchschütteln.
Das zeigt sich besonders deutlich, wenn der Landesbauernverband Baden-Württemberg (LBV) alle zwei Jahre zum Unternehmertag lädt. Jungbauern, die ihre Tasche in Kuhfleckenoptik lässig um die Schultern hängen lassen, sitzen hier im Internationalen Congresscenter in Stuttgart neben Menschen in edlen Anzügen. Ihr gemeinsamer Blick richtet sich an diesem Tag auf die Wirtschaft, im großen und im kleinen. Die Tagesordnung liest sich wie ein Zoom heraus von den Höfen hin zur weltpolitischen Lage.
STUTTGART
Märkte in der Schieflage
Und die ist für die Bauern dieses Jahr nicht besonders vorteilhaft. Die Märkte für Milch und Fleisch sind in Schieflage geraten. Zeitgleich zum Unternehmertag erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), dass die Finanzhilfen für Milch- und Fleischerzeuger wegen der derzeit niedrigen Agrarpreise verlängert werden. Bis zum 22. März noch können sie Mittel aus einem 13 Millionen Euro schweren Topf beantragen. Der Informationsbedarf ist groß. Zur fünften Auflage des Unternehmertags sind so viele Landwirte gekommen wie noch nie. 1200 Besucher sind es, sagt eine LBVSprecherin. Man habe sogar noch um 200 Stühle aufstocken müssen.
Alexey Ugarov, Aufsichtsratsvorsitzender der Agrokultura Holding, spricht über das Einfuhrverbot von Agrarerzeugnissen, Rohstoffen und Lebensmitteln in die russische Föderation als Konsequenz der UkraineKrise. „Da Deutschland besonders viel exportiert, hat es Deutschland auch besonders hart getroffen“, erläutert Ugarov.
Russland habe vor dem Embargo Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Erzeugnisse mit einem Volumen von fast 30 Milliarden Euro importiert. „Nach Berechnungen eines österreichischen Institutes hat Deutschland wirtschaftliche Verluste durch die Sanktionen und Gegensanktionen in Höhe von fast 25 Milliarden Euro gemacht.“Doch auch die russische Seite spüre dies, wie Ugarov erklärt. So seien die Preise von Exportprodukten wie Getreide und Pflanzenöl und Importprodukten wie Fleisch und Milcherzeugnisse gestiegen. Nur eine verantwortungsvolle Politik des Miteinanders könne wieder Entspannung schaffen, sagt Ugarov.
Aktuelles Thema ist auch die Milchquote. Nach ihrem Wegfall zum 1. April 2015 ist der Milchpreis drastisch gesunken. „Bis Ende 2016 gibt es keine positive Nachricht. Der Markt in Europa wird weiterhin gesättigt bleiben, die Preise ziehen weiter nach unten“, sagt Ralph Wonnemann, Geschäftsführer der Ravensburger Molkerei Omira. Aktuell steht der Preis bei 26 bis 27 Cent pro Liter – rentabel wären 35 Cent. Die Weltmarktpreise hätten das Krisenniveau von 2009 unterschritten. Deutschland trifft es mit 32, 4 Millionen Tonnen produzierter Milch, und damit als größten Erzeuger in der EU, hart. 2,4 Millionen Tonnen steuert BadenWürttemberg zur Gesamtmenge bei.
„Die Fragen werden sein: Wie gehen wir mit der Menge um? Wie erreichen wir die Wachstumsmärkte?“, stellt Wonnemann in den Raum. „Wir wollen Regionalität über unsere Produktsortimente vermarkten und den Weltmarkt über zusätzliche Partnerschaften anpacken“, erklärt er. Wenn die Molkereien nur über den Preis gingen, könnten sie nicht mithalten. „Das funktioniert nur über die Qualität.“