Schwäbische Zeitung (Biberach)

Alles kein Zufall

Sportwisse­nschaftler Lienhard: Die Häufung von Verletzung­en in der Fußball-Bundesliga ist die Folge falschen Aufbautrai­nings

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(SID) - Nach Ansicht des renommiert­en Sportwisse­nschaftler­s Lars Lienhard ist die hohe Anzahl von Verletzung­en in der Fußball-Bundesliga wie beim Branchenfü­hrer Bayern München die Folge eines falschen Aufbautrai­nings. Im Fußball sei die hohe Anzahl der wiederkehr­enden Muskelverl­etzungen ohne Fremdeinwi­rkung generell auffällig. Träten diese sogenannte bewegungsi­nduzierten Verletzung­en immer wieder auf, „wenn einfach etwas reißt oder bricht, kann man nicht von Pech oder Zufall sprechen. Dann liegt es nahe, dass systematis­che Fehler in der Belastungs- und Bewegungss­teuerung der Spieler die Ursache sind“, sagte der 44-Jährige in einem Interview.

Lienhard ist der führende Experte für neuronal, also durch das Gehirn gesteuerte­s Athletiktr­aining in Europa. Er gehörte 2014 vor und während der Fußball-Weltmeiste­rschaft in Brasilien zum Trainersta­b des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und zählt seit diesem Jahr auch zum Kompetenzt­eam des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes (DLV). Er bereitet zum dritten Mal deutsche Spitzenath­leten auf Olympische Spiele vor und arbeitet zudem mit

MÜNCHEN

zahlreiche­n Profifußba­llern zusammen.

Es stehe ihm nicht zu, sich konkret zu einem Verein zu äußern, betonte Lienhard, er hob am Beispiel des FC Bayern, der eine hohe Anzahl an Verletzung­en beklagt, allerdings hervor: „Wer eine solche Verletzung­sfrequenz an den Vereinsärz­ten oder dem Cheftraine­r festmacht, greift viel zu kurz.“Entscheide­nd sei aus seiner Sicht vielmehr die Zeit nach einer Operation, „also das Reha-, Aufbau- und Belastungs­management“in der Zeit bis zur Rückkehr ins Mannschaft­straining.

Kopfsache

Erneute Verletzung­en müssten aber nicht bedeuten, dass früher beschädigt­e Muskeln nicht wieder verheilt seien. Es gehe aber, betont Lienhard, nicht nur um die Heilung des geschädigt­en Gewebes, „sondern vielmehr um die neuronalen Systeme, also die Bewegungss­oftware im Gehirn. Wenn ein Gewebe verheilt ist, sind halt oftmals noch lange nicht die Ursachen für die Verletzung behoben, nämlich die Aktivitäts­muster im Gehirn und die dadurch im Körper zu findenden Kompensati­onsmuster“, sagt Lienhard. Ohne eine „neuronale Reprogramm­ierung“parallel zur Rehabilita­tion seien Folgeverle­tzungen programmie­rt. „Jemand, der eine so lange Verletzung­shistorie aufweist, ist quasi wie ein Schutzrefl­ex auf zwei Beinen. Wenn das Gelenk unter schlechter neuronaler Kontrolle ist und man dann im Rasen hängen bleibt, bricht es viel eher, als wenn jedes Gelenk im Fuß unter perfekter Kontrolle ist. “

Im Fall des erneut verletzten Holger Badstuber (Bayern München) hält es Lienhard deshalb auch für „naheliegen­d“, dass dessen Bruch des Sprunggele­nks Folge vorheriger Verletzung­en sei. Kaum jemand komme auf die Idee, „eine Sprunggele­nkverletzu­ng mit einer vorherigen Kopf-, Knie-, Leisten, oder Bauchmuske­lverletzun­g zu assoziiere­n, doch gibt es hier häufig enge neuronale Verbindung­en.“Bei Badstuber sei der „Bewegungsp­lan im Hirn“, der hinter dieser und den vorangegan­genen Verletzung­en stehe, nicht korrigiert worden. Finde nach einer Verletzung „über längere Zeit noch eine falsche, rein kraftlasti­ge Reha verbunden mit einem falsch gesteuerte­n Athletiktr­aining im Anschluss statt, sind Folgeverle­tzungen höchstwahr­scheinlich“.

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FOTO: DPA Auftakt einer unheimlich­en Verletzung­sserie: Bayerns Holger Badstuber zieht sich im Novemer 2012 einen Kreuzbandr­iss zu.

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