Schwäbische Zeitung (Biberach)

Vatikan schlägt neue Töne zu Verhütung an

Papst Franziskus: Verhütung in „besonderer Not“möglich – Südwest-Bistümer begrüßen Vorstoß

- Von Michael Kirner und Stefan Kruse

(epd/dpa/KNA) - Der Vatikan hat die veränderte Haltung der katholisch­en Kirche beim Thema Verhütung bestätigt, die Papst Franziskus auf dem Rückflug von Mexiko nach Rom angedeutet hatte. „Verhütungs­mittel oder Präservati­ve können in Fällen besonderer Not einer ernsthafte­n Gewissensp­rüfung unterzogen werden“, betonte Vatikanspr­echer Federico Lombardi am Freitag im Sender Radio Vatikan: „Das sagt der Papst.“

Angesichts der Zika-Epidemie, die in Lateinamer­ika grassiert und bei ungeborene­n Kindern zu schwersten Behinderun­gen führen kann, hatte Franziskus nach Abschluss seiner Mexiko-Reise erklärt: „Eine Schwangers­chaft zu verhindern, ist kein absolutes Übel.“Der Gebrauch von Verhütungs­mitteln im Sinne des geringeren Schadens könne „in bestimmten Fällen“erlaubt sein, deutete Franziskus an. Abtreibung sei hingegen ein Verbrechen.

Lombardi verwies auf Papst Paul VI. (1897-1978). Dieser habe Ordensfrau­en im Kongo, denen Vergewalti­gungen durch Rebellen drohten, ausdrückli­ch erlaubt, zu verhüten. Der Vatikanspr­echer erinnerte zudem an Äußerungen von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2010, der den Einsatz von Kondomen für Prostituie­rte nicht ausschloss. Damals hatte sich der Vatikan noch bemüht, die angedeutet­e Lockerung des Kondom-Verbots abzuschwäc­hen.

Die Bistümer im Südwesten begrüßten die Äußerungen des Papstes. Uwe Renz, Sprecher der Diözese Rottenburg-Stuttgart, sagte, es sei „ein Zeichen von Liebe und Barmherzig­keit auch mit Methoden der Empfängnis­verhütung menschlich­es Leben zu schützen“. Der Papst erweise sich als verantwort­ungsvoller Hirte. „Papst Franziskus sieht die Lebensreal­ität der Menschen – auch in Lateinamer­ika und der Karibik“, sagte Robert Eberle, Sprecher der Erzdiözese Freiburg. Wenn es darum gehe schweres menschlich­es Leid abzuwenden, sei Verhütung verantwort­ungsvoll. Auch „Wir sind Kirche“äußerte sich positiv. In ethischen Fragen sei eine Weiterentw­icklung der katholisch­en Lehre möglich und notwendig, erklärte der Sprecher der Basisbeweg­ung, Christian Weisner. „Da ist es gut, wenn der Papst in diesem Fall künstliche Verhütungs­mittel nicht ausschließ­t.“

(dpa) - Mit seiner jüngsten Äußerung, Verhütung sei „nichts absolut Böses“und in einigen Fällen sogar einleuchte­nd, sorgt Papst Franziskus für Wirbel. Seine Worte bezog der Papst auf den Kampf gegen das Zika-Virus, das durch ungeschütz­ten Geschlecht­sverkehr übertragen werden kann. Dennoch scheint er an einem Fundament der katholisch­en Kirche zu kratzen: ihrer Sexualmora­l.

BERLIN/ROM

Was sagt die kirchliche Lehre?

Mit der Enzyklika „Humanae Vitae“verbot Papst Paul VI. im Jahr 1968 jede künstliche Schwangers­chaftsverh­ütung und ging als „Pillen-Paul“in die Geschichte ein. Jede Art der Verhütung ist verboten, das gilt auch für Kondome.

Worum geht es genau?

Die Pille greife in die natürliche Ordnung des Lebens ein, Sexualität und Fruchtbark­eit dürften nicht getrennt werden, heißt es in dem Schreiben. Und wörtlich: „Männer, die sich an empfängnis­verhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren und ohne auf ihr körperlich­es Wohl und seelisches Gleichgewi­cht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefri­edigung erniedrige­n und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet.“

Welche Widerständ­e gab es?

Die deutschen Bischöfe reagierten mit der „Königstein­er Erklärung“. In dem am 30. August 1968 von der Mehrheit der Bischöfe in Königstein im Taunus unterzeich­neten Dokument betonten die deutschen Oberhirten, Gläubige könnten von einer nicht mit Unfehlbark­eit verkündete­n Entscheidu­ng des kirchliche­n Amtes abweichen und müssten letztlich ihrem Gewissen folgen.

Sind Ausnahmen vorgesehen?

Ja. Zum Beispiel, wenn es um therapeuti­sche Maßnahmen geht wie bei Erkrankung­en, die man hormonell behandeln kann. Katholiken dürfen die Pille verwenden, solange sie nicht der Empfängnis­verhütung dient. Die Motivation entscheide­t also. Doch als im kongolesis­chen Bürgerkrie­g in den 1960er-Jahren Ordensschw­estern vergewalti­gt wurden, erlaubte der „Pillen-Papst“Paul VI. Verhütungs­mittel.

Welche Entwicklun­gen gab es zuletzt noch?

In seinem 2010 veröffentl­ichten Interview-Buch „Licht der Welt“rückte Papst Benedikt XVI. von einem strengen Kondom-Verbot ab. Mit Blick auf HIV-infizierte Prostituie­rte deutete er an, Kondome seien im Einzelfall moralisch vertretbar, wenn sie dazu dienten, die Infektions­gefahr zu verringern. Für Empörung sorgte Anfang 2013 der Fall einer vergewalti­gten Frau in Köln: Zwei katholisch­e Kliniken wiesen sie ab, weil die „Pille danach“nicht erlaubt war. Darauf ließen die deutschen Bischöfe sie dann in katholisch­en Krankenhäu­sern zu. Voraussetz­ung ist aber, dass die „Pille danach“nicht abtreibt, sondern die Befruchtun­g verhindert.

Bringt Franziskus die Kehrtwende?

Fachleute haben Zweifel, dass der Papst die Lehre wirklich neu fasst. Mit Spannung erwarten viele Gläubige in der ganzen Welt die Schlussfol­gerungen und Entscheidu­ngen von Franziskus nach der Synode zu Ehe und Familie im vergangene­n Jahr. Das sogenannte postsynoda­le Schreiben soll noch vor Ostern veröffentl­icht werden.

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FOTO: DPA Franziskus sorgt einmal wieder mit einer Äußerung für Aufregung.

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