Schwäbische Zeitung (Biberach)
Vatikan schlägt neue Töne zu Verhütung an
Papst Franziskus: Verhütung in „besonderer Not“möglich – Südwest-Bistümer begrüßen Vorstoß
(epd/dpa/KNA) - Der Vatikan hat die veränderte Haltung der katholischen Kirche beim Thema Verhütung bestätigt, die Papst Franziskus auf dem Rückflug von Mexiko nach Rom angedeutet hatte. „Verhütungsmittel oder Präservative können in Fällen besonderer Not einer ernsthaften Gewissensprüfung unterzogen werden“, betonte Vatikansprecher Federico Lombardi am Freitag im Sender Radio Vatikan: „Das sagt der Papst.“
Angesichts der Zika-Epidemie, die in Lateinamerika grassiert und bei ungeborenen Kindern zu schwersten Behinderungen führen kann, hatte Franziskus nach Abschluss seiner Mexiko-Reise erklärt: „Eine Schwangerschaft zu verhindern, ist kein absolutes Übel.“Der Gebrauch von Verhütungsmitteln im Sinne des geringeren Schadens könne „in bestimmten Fällen“erlaubt sein, deutete Franziskus an. Abtreibung sei hingegen ein Verbrechen.
Lombardi verwies auf Papst Paul VI. (1897-1978). Dieser habe Ordensfrauen im Kongo, denen Vergewaltigungen durch Rebellen drohten, ausdrücklich erlaubt, zu verhüten. Der Vatikansprecher erinnerte zudem an Äußerungen von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2010, der den Einsatz von Kondomen für Prostituierte nicht ausschloss. Damals hatte sich der Vatikan noch bemüht, die angedeutete Lockerung des Kondom-Verbots abzuschwächen.
Die Bistümer im Südwesten begrüßten die Äußerungen des Papstes. Uwe Renz, Sprecher der Diözese Rottenburg-Stuttgart, sagte, es sei „ein Zeichen von Liebe und Barmherzigkeit auch mit Methoden der Empfängnisverhütung menschliches Leben zu schützen“. Der Papst erweise sich als verantwortungsvoller Hirte. „Papst Franziskus sieht die Lebensrealität der Menschen – auch in Lateinamerika und der Karibik“, sagte Robert Eberle, Sprecher der Erzdiözese Freiburg. Wenn es darum gehe schweres menschliches Leid abzuwenden, sei Verhütung verantwortungsvoll. Auch „Wir sind Kirche“äußerte sich positiv. In ethischen Fragen sei eine Weiterentwicklung der katholischen Lehre möglich und notwendig, erklärte der Sprecher der Basisbewegung, Christian Weisner. „Da ist es gut, wenn der Papst in diesem Fall künstliche Verhütungsmittel nicht ausschließt.“
(dpa) - Mit seiner jüngsten Äußerung, Verhütung sei „nichts absolut Böses“und in einigen Fällen sogar einleuchtend, sorgt Papst Franziskus für Wirbel. Seine Worte bezog der Papst auf den Kampf gegen das Zika-Virus, das durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen werden kann. Dennoch scheint er an einem Fundament der katholischen Kirche zu kratzen: ihrer Sexualmoral.
BERLIN/ROM
Was sagt die kirchliche Lehre?
Mit der Enzyklika „Humanae Vitae“verbot Papst Paul VI. im Jahr 1968 jede künstliche Schwangerschaftsverhütung und ging als „Pillen-Paul“in die Geschichte ein. Jede Art der Verhütung ist verboten, das gilt auch für Kondome.
Worum geht es genau?
Die Pille greife in die natürliche Ordnung des Lebens ein, Sexualität und Fruchtbarkeit dürften nicht getrennt werden, heißt es in dem Schreiben. Und wörtlich: „Männer, die sich an empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren und ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet.“
Welche Widerstände gab es?
Die deutschen Bischöfe reagierten mit der „Königsteiner Erklärung“. In dem am 30. August 1968 von der Mehrheit der Bischöfe in Königstein im Taunus unterzeichneten Dokument betonten die deutschen Oberhirten, Gläubige könnten von einer nicht mit Unfehlbarkeit verkündeten Entscheidung des kirchlichen Amtes abweichen und müssten letztlich ihrem Gewissen folgen.
Sind Ausnahmen vorgesehen?
Ja. Zum Beispiel, wenn es um therapeutische Maßnahmen geht wie bei Erkrankungen, die man hormonell behandeln kann. Katholiken dürfen die Pille verwenden, solange sie nicht der Empfängnisverhütung dient. Die Motivation entscheidet also. Doch als im kongolesischen Bürgerkrieg in den 1960er-Jahren Ordensschwestern vergewaltigt wurden, erlaubte der „Pillen-Papst“Paul VI. Verhütungsmittel.
Welche Entwicklungen gab es zuletzt noch?
In seinem 2010 veröffentlichten Interview-Buch „Licht der Welt“rückte Papst Benedikt XVI. von einem strengen Kondom-Verbot ab. Mit Blick auf HIV-infizierte Prostituierte deutete er an, Kondome seien im Einzelfall moralisch vertretbar, wenn sie dazu dienten, die Infektionsgefahr zu verringern. Für Empörung sorgte Anfang 2013 der Fall einer vergewaltigten Frau in Köln: Zwei katholische Kliniken wiesen sie ab, weil die „Pille danach“nicht erlaubt war. Darauf ließen die deutschen Bischöfe sie dann in katholischen Krankenhäusern zu. Voraussetzung ist aber, dass die „Pille danach“nicht abtreibt, sondern die Befruchtung verhindert.
Bringt Franziskus die Kehrtwende?
Fachleute haben Zweifel, dass der Papst die Lehre wirklich neu fasst. Mit Spannung erwarten viele Gläubige in der ganzen Welt die Schlussfolgerungen und Entscheidungen von Franziskus nach der Synode zu Ehe und Familie im vergangenen Jahr. Das sogenannte postsynodale Schreiben soll noch vor Ostern veröffentlicht werden.