Schwäbische Zeitung (Biberach)
Politischer Ball paradox
Eine Umfrage ist eine Umfrage – kein Wahlergebnis. Beschwörend mögen sich die Gebeutelten der jüngsten Erhebungen an diese Binsenweisheit klammern, mit vorsichtigem Optimismus deren Profiteure. Die Gebeutelten, das sind CDU und SPD sowie namentlich ihre Spitzenkandidaten Guido Wolf und Nils Schmid. Die Profiteure der Momentaufnahme sind die Grünen, die FDP und vor allem die AfD. Für die Grünen wäre anzumerken: Nicht die Partei liegt bei stolzen 28 Prozent, sondern ihr herausragender Frontmann Winfried Kretschmann verantwortet diesen Höhenflug nahezu im Alleingang.
Es stimmt schon, bis zum 13. März wird noch viel Wasser den Neckar runterfließen, aber der Trend ist eindeutig. Drei Prozent trennen CDU und Grüne noch, und inzwischen liegt es durchaus im Bereich des Vorstellbaren, dass die Christdemokraten auf Platz zwei landen werden. Auch hier ist die Ursachenforschung eine leichte Übung – mit skurril anmutendem Nebenaspekt. CDU-Spitzenmann Guido Wolf verliert wegen der Flüchtlingsproblematik massiv Wähler an die AfD. Er hadert insgeheim mit dem Kurs der Kanzlerin und sieht sich als dessen landespolitisches Opfer. Laut wiederum darf er nicht hadern, und diesen Zwiespalt dankt ihm niemand. Der skurrile Aspekt: Der Grüne Winfried Kretschmann lobt fast mit Inbrunst die CDU-Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik – und er profitiert auch noch davon. Das ist eine Art politischer Ball paradox.
Aus CDU-Sicht mögen die drei Abstandspunkte zu den Grünen katastrophal sein, für die politische Kultur im Land ist ein anderer Abstand schlimmer. Zwei Prozent trennen die traditionsreiche, stolze SPD derzeit von der AfD. Es ist eine schlichte Tatsache: Wer auch immer dieses Bundesland in seiner Geschichte gestaltet, vorangebracht und zu der Erfolgsregion gemacht hat, die es heute ist – die Rechtsaußen von Republikanern und NPD waren es nie. Diese Erfahrung erleichtert keine Regierungsbildung, den demokratischen Konsens kann sie aber befördern.