Schwäbische Zeitung (Biberach)
Überhöhtes Anspruchsdenken
Viele Menschen kennen das Problem: Sie ergreifen ihren Traumberuf, ist das Ziel aber einmal erreicht, nervt ein Detail. Meteorologen etwa. Ein toller Job, was allein bei ihnen nervt, ist das Wetter. Immer in Aufruhr, immer unberechenbar, falsche Vorhersagen sind zwangsläufig. Meteorologie ohne Wetter dagegen wäre klasse.
Ähnlich verhält es sich bei der Bahn. Züge, Gleise, tolle Landschaften; ein Traum. Was hier nervt sind die Kunden. Ein Alptraum. Wie diese Frau, die in einer Bahn von Koblenz nach Trier fuhr und auf Toilette musste. Dringend. Das einzige Klo im Zug aber war kaputt. Und die Fahrt dauerte fast zwei Stunden. Die Kundin litt – bis ihr das Malheur unterlief. Ein Gericht sprach ihr deshalb 200 Euro Schmerzensgeld zu. Die Bahn aber wollte diese horrende Summe nicht zahlen, ging in Berufung – und gewann jetzt. Die Begründung des Gerichts: Die Frau hätte den Zug zum Wasserlassen verlassen können. Immerhin würde er auf dieser Strecke 30-mal halten. Nun hat eine SWR-Reporterin festgestellt, dass von diesen 30 Haltebahnhöfen nur vier eine Toilette haben. Aber Hand aufs Herz: Hätte die Frau nicht wissen müssen, dass zum Bahnfahren in Deutschland vor allem Glück gehört? Und warum springt sie nicht aus dem fahrenden Zug, wenn es so dringend ist? Schließlich kann der Kundenservice nicht immer so gut sein, wie vor einiger Zeit, als ein Mann dringend musste und der Schaffner ihm einen Abfalleimer als Klo-Ersatz anbot. Die Bahn sollte aus diesem erpresserischen Anspruchsdenken Reisender Konsequenzen ziehen: Und künftig ohne Kunden fahren. (dg)