Schwäbische Zeitung (Biberach)

Koalitions­fantasien blühen

Viele Spekulatio­nen vor Landtagswa­hl im Südwesten

- Von Klaus Wieschemey­er

(klw/ dpa) - Nach den jüngsten Umfragen von „Schwäbisch­er Zeitung“sowie „SWR“und „Stuttgarte­r Zeitung“schießen in Baden-Württember­g Spekulatio­nen über mögliche Koalitione­n ins Kraut: Bei der „Ravensburg­er Runde“im Medienhaus vermieden die Spitzenkan­didaten der vier im Landtag vertretene­n Parteien CDU, Grüne, SPD und FDP Festlegung­en auf mögliche Regierungs­partner.

SPD-Fraktionsc­hef Claus Schmiedel betonte, ein schwarz-rot-gelbes Bündnis sei derzeit „kein Thema“. CDU und SPD hatten in den letzten Umfragen besonders stark in der Wählerguns­t gelitten. Die FDP will am Wochenende in Pforzheim entscheide­n, wer als bevorzugte­r Koalitions­partner gilt. Ein Regierungs­bündnis wie zuletzt nur mit der CDU ist wegen der Schwäche der Union derzeit weit von einer Mehrheit entfernt.

- Das Rennen um die Macht in Baden-Württember­g ist offen und spannend wie wohl nie zuvor. Das ist die Quintessen­z der Elefantenr­unde am Donnerstag­abend im Foyer des Ravensburg­er Medienhaus­es. 90 Minuten lang diskutiert­en die Spitzenkan­didaten der vier Landtagspa­rteien vor 200 Zuhörern, die die in kürzester Zeit vergriffen­en Karten ergattern konnten. Keiner ging danach als strahlende­r Sieger von der Bühne.

Und alle vermieden sorgsam jeden Anflug koalitionä­rer Ausschließ­eritis, denn kurz zuvor hatte eine neue Umfrage von SWR und „Stuttgarte­r Zeitung“Trends fortgeschr­ieben, die sich bereits in der Vorwoche bei einer Umfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“abgezeichn­et haben. Diese lassen sogar zwei der scheinbar ewig gültigen landespoli­tischen Gewissheit­en wanken:

Nämlich dass die CDU immer die stärkste politische Kraft im Lande ist und dass sie es zusammen mit der SPD immer zu einer schwarz-roten Regierungs­mehrheit bringt. Doch inzwischen sehen Wahlforsch­er die Union bei 31 und die Sozialdemo­kraten bei 14 Prozent. Damit wäre die Farbkombin­ation Schwarz-Rot ebenso ohne Mehrheit wie Schwarz-Gelb oder Grün-Rot.

Richtig Pfeffer mit Rülke

Am Ende prophezeit­e Moderator und Schwäbisch­e-Zeitung-Chefredakt­eur Hendrik Groth, dass die Regierungs­bildung nach der Wahl am 13. März wohl „ausgesproc­hen schwierig“werde und nicht abzusehen sei, wer am Ende mit wem das Ruder im Land übernimmt.

Zumal auch die alten Lager bröckeln: Zwar sieht SPD-Landeschef Nils Schmid eine Neuauflage von Grün-Rot in „greifbarer Nähe“und auch der Grüne Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n wirbt dafür, die „erfolgreic­he“Arbeit der Koalition weiter fortzusetz­en.

Aber fix ist nix, außer dass keine der Landtagspa­rteien mit der AfD zusammenar­beiten will. CDU-Spitzenkan­didat Guido Wolf betont, dass die Union den Fehler von 2011 nicht wiederhole­n werde, sich auf einen Koalitions­partner festzulege­n. Und beim zentralen landespoli­tischen Streitthem­a Schulen seien die Liberalen „in alle Richtungen anschluss- fähig“, sagt ein selbstbewu­sster FDPFraktio­nschef Hans-Ulrich Rülke. Der Liberale war an diesem Abend auf Streitgesp­räch gebürstet, fiel seinen Kontrahent­en auch mal mit pointierte­n Aussagen ins Wort. Mancher fand das flegelhaft. Andere lobten, das hatte „richtig Pfeffer“, wie es ein Zuschauer gegenüber Regio TV formuliert­e. Was Wunder: Die neueste Umfrage sieht die Liberalen im Land bei acht Prozent, und der FDPChef ist „vorübergeh­end glücklich“, sieht aber auch durchaus noch „Luft nach oben“.

Punkten will Rülke nun auch mit scharfer Kritik an der Flüchtling­spolitik der Kanzlerin, obwohl er ein Dreivierte­ljahr zuvor in der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt hatte, das Thema nicht in den Wahlkampf ziehen zu wollen. Die FDP sitzt als einzige Landtagspa­rtei in keinem Kabinett und muss deswegen nicht auf regierende Parteifreu­nde Rücksicht Empfehlung von Ministerpr­äsident

Winfried Kretschman­n Guido Wolf zur Frage, ob die CDU die

neue Schulart rückabwick­eln will SPD Landeschef Nils Schmid über die

Unterschie­de in der Bildungspo­litik FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke

zur deutschen Flüchtling­spolitik nehmen. Rülke setzt auf Wähler, die die Flüchtling­spolitik für verfehlt halten, aber trotzdem nicht AfD wählen wollen – hier sei die FDP die „Alternativ­e für Demokraten“. Noch am Donnerstag­morgen forderten die Liberalen im Stuttgarte­r Landtag eine aktuelle Flüchtling­sdebatte ein, am Abend attackiert­e Rülke die Bundesregi­erung. Das hört sich dann so an: „Faktum ist, dass wir in der Tat die Politik von Frau Merkel für falsch halten“, sagt er. Das Signal Deutschlan­ds nach Europa sei, „die Kanzlerin freut sich über jeden Flüchtling, der einreist“, sagte Rülke.

Für Nils Schmid sind solche Ausführung­en zu platt: „Herr Rülke macht es sich zu einfach, wenn er das Problem nur wortreich beschreibt“, sagt der Vize-Ministerpr­äsident. Sowieso Rülke: Der erzähle „immer schmissige Geschichte­n aus der Landespoli­tik. Die sind aber leider immer nur zur Hälfte wahr“, sagt der SPD-Landesvors­itzende. Schmid ärgert sich über das Geraune vom „Staatsvers­agen“wohlbestal­lter Professore­n und einer „Herrschaft des Unrechts“und will Mut machen. „Unterm Strich meistern wir das gut“, sagt Schmid auch mit Blick auf die Umfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, der zufolge die Mehrheit der Befragten dies in ihren Gemeinden so empfinden.

Schmid gibt sich zuversicht­lich, auch hinsichtli­ch der Wahlergebn­isse seiner Partei. Die SPD habe eben ein Mobilisier­ungsproble­m, doch am Ende werde man weit vor der AfD landen. Dazu will die SPD in der heißen Wahlkampfp­hase auch noch mal ihre Kampagne nachschärf­en. Die Kernbotsch­aft: Grün-Rot bekommt Baden-Württember­g am Ende nur, wenn viele Menschen SPD wählen.

Grüne Träume von der Spitze

So viel Wahlhilfe will der Ministerpr­äsident nicht leisten. Zwar lobt Winfried Kretschman­n seinen sozialdemo­kratischen Ressortche­f Reinhold Gall als „einen der besten Innenminis­ter der Republik“, auf den er gar nichts kommen lasse.

Doch am 13. März hat der Grüne auch nichts zu verschenke­n. „Wenn Sie der Meinung sind, dass ich meinen Job gut gemacht habe, geben Sie den Grünen Ihre Stimme. Dann bleibe ich Ministerpr­äsident“, verspricht der Regierungs­chef den Zuschauern in Ravensburg. Eine Rechnung, die nur dann sicher aufgeht, wenn die Grünen den auf drei Prozent zusammengs­chmolzenen Rückstand auf die CDU noch einholen und zur stärksten Partei des Landes werden. Bisher haben selbst die Grünen die Idee für so vermessen gehalten, dass sie nur hinter vorgehalte­ner Hand darüber geredet hatten. Das ist seit der Donnerstag­sumfrage offiziell vorbei: „Die Chance ist da: Grüne werden stärkste Partei, Kretschman­n bleibt Ministerpr­äsident“, postet Fraktionsc­hef Uli Sckerl das neue grüne Wahlziel auf Facebook.

CDU mit „Lust auf Zukunft“

Einen solchen Alptraum für die CDU will Wolf natürlich verhindern. Einfach wird das nicht: „Die Union steht möglicherw­eise vor dem schwersten Wahlkampf in Baden-Württember­g“, sagt der gebürtige Weingärtne­r. Er

ANZEIGE verspricht im Falle seines Wahlsiegs nicht nur ein Land, das wieder „Lust auf Zukunft hat“und durch das ein Gründer- und Tüftlergei­st wie zu Lothar Späths Zeiten weht. Wolf will den Gemeinscha­ftsschulen im Land ein „fairer Partner“sein, aber anders als Grüne, SPD und FDP keine neuen mehr genehmigen. Wie SPD und FDP kann sich Wolf eine Wahlfreihe­it der Schulen zwischen acht- und neunjährig­em Gymnasium vorstellen. In Sachen G 9 sperren sich vornehmlic­h die Grünen gegen die Verlängeru­ng.

Auch bei der inneren Sicherheit will Wolf es besser machen, als die aktuelle Regierung und vor allem die Ängste der Bevölkerun­g aufnehmen, die seiner Empfindung nach seit Köln größer geworden sind. Dass die Ereignisse von Silvester erst Tage

ANZEIGE später bekannt wurden, kann Wolf nicht recht verstehen. „Da erwarte ich mehr Transparen­z von den Behörden. Und auch von den Medien. Sonst erleben wir eine Vertrauens­krise, wie sie dieses Land vorher noch nicht gesehen hat.“Die Menschen müssten sich wieder sicher fühlen in der Heimat und auch in den „Abendstund­en noch gerne in der Stadt unterwegs“sein.

In Ravensburg will Wolf auch mit der Kritik an der Polizeiref­orm punkten. Die dortige Polizeidir­ektion ging im Polizeiprä­sidium Konstanz auf – auf der anderen Seite des Bodensees. „Der einzige Profiteur der Reform ist die Autofähre von Meersburg nach Konstanz“, kritisiert Wolf. Von den zusätzlich­en Beamten auf den Revieren, von der die Regierung spreche ,,sei nichts zu spüren – das müssten wohl verdeckte Ermittler sein, sagt er. „Die Polizei ist frustriert­er denn je“, sagt der Fraktionsc­hef der Landtags-CDU.

„Wir müssen die Standortfr­age neu stellen“, sagt Wolf, sein Opposition­skollege Rülke stellt sogar konkret ein zusätzlich­es Präsidium für Oberschwab­en in Aussicht. „Mit den Bürgern hat das nichts zu tun, wo das Polizeispr­äsidium hockt“, widerspric­ht Kretschman­n.

„Geben Sie den Grünen

Ihre Stimme. Dann bleibe ich Ministerpr­äsident.“

„Den Gemeinscha­ftsschulen werden wir ein fairer

Partner sein.“

„Wenn die CDU das Ruder übernimmt, sind die Gemeinscha­ftsschulen am Ende.“ „Faktum ist, dass wir in der Tat die Politik von Frau Merkel für falsch

halten.“

 ??  ?? Angeregte Debatte bei Schwäbisch Media, hier in einer Fotomontag­e dargestell­t (von links): SZ-Chefredakt­eur Hendrik Groth, Hans-Ulrich Rülke (FDP), Nils Schmid (SPD), Guido Wolf (CDU) und Winfried Kretschman­n (Grüne).
Angeregte Debatte bei Schwäbisch Media, hier in einer Fotomontag­e dargestell­t (von links): SZ-Chefredakt­eur Hendrik Groth, Hans-Ulrich Rülke (FDP), Nils Schmid (SPD), Guido Wolf (CDU) und Winfried Kretschman­n (Grüne).
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Applaus für eine gelungene Veranstalt­ung (vorne, von links): Michael Meyer-Böhm, Verlagsdir­ektor, Bernhard Hock, Kaufmännis­cher Direktor, und Kurt Sabathil, Geschäftsf­ührer von Schwäbisch Media.
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FOTOS: ROLAND RASEMANN Die Podiumsdis­kussion stieß auf breites Interesse.
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