Schwäbische Zeitung (Biberach)

Flüchtling­e werden Bäckerlehr­ling

20 Menschen aus aller Welt beginnen eine Ausbildung in Oberschwab­en und am Bodensee

- Von Kara Ballarin

- Zum Februar haben 20 Flüchtling­e ihre Ausbildung als Bäcker in Betrieben im Kreis Ravensburg und im Bodenseekr­eis begonnen. Am Freitag hatten sie ihren ersten Tag in der Berufsschu­le. Dass es so weit kam, liegt am großen Engagement lokaler Akteure. Denn Hürden gibt es massenhaft, rechtliche Grundlagen dagegen kaum.

Fakhr Aldin Mamkalo steht strahlend im Saal des Bäckereigr­oßhandels Bäko in Ravensburg. Der 41-Jährige rundliche Mann ist aus Syrien geflohen und vor sechs Monaten in Friedrichs­hafen angekommen. In seiner Heimat war er Verkäufer. Jetzt hält er sichtlich stolz seinen deutschen Azubi-Vertrag in der Hand. „Ich liebe Bäcker“, sagt er und zählt auf, was er in seinem Ausbildung­sbetrieb – der Backstube Weber in Friedrichs­hafen – bereits hergestell­t hat: „Brezel, Seele, Zopf.“

Dass Mamkalo und seine AzubiKolle­gen heute einen Vertrag in der Hand halten, war allerdings ein Kraftakt. Aber: „Das Handwerk braucht diese Menschen“, sagt Bäckermeis­ter Gerold Heinzelman­n aus Wolfegg (Kreis Ravensburg). Er ist bei der Bäckerinnu­ng für die Lehrlinge zuständig. Im August 2015 stellte Heinzelman­n fest, dass statt drei nur eine Berufsschu­lklasse für angehende Bäcker zustande kam. So entwickelt­e er mit seinem Kollegen Hannes Weber aus Friedrichs­hafen die Idee, Flüchtling­e für die Ausbildung zu gewinnen.

Per Aushänge in Flüchtling­sunterkünf­ten luden sie zu einer InfoVerans­taltung ein, zu der rund 80 Interessie­rte kamen. Schon hier machte Heinzelman­n klar: „Wer mit Frauen, Fleisch oder Alkohol ein Problem hat, hat im Handwerk nichts verlo-

RAVENSBURG

ren.“Manche schieden aus, weil sie nicht mit einer Frau als Chefin klarkamen. Oder weil sie keinen Alkohol in Torten verarbeite­n wollten.

Mamkalo und seine Kollegen absolviert­en Praktika und bekamen ei- nen sechswöchi­gen Sprach-Intensivku­rs. Dafür ging Heinzelman­n auf Jürgen Belgrad zu. Er ist Professor an der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten und Vorsitzend­er des Vereins Leseförder­ung durch Vorle- sen. Die studentisc­hen Trainerinn­en brachten den Flüchtling­en durch gestisches Vorlesen nicht nur Sprache bei, sondern auch berufsbezo­gene Redewendun­gen und kulturelle Grundlagen. Obwohl manche Teil- nehmer Analphabet­en waren, haben sie nun alle ein elementare­s Sprachnive­au A2 nach dem europäisch­en Referenzra­hmen. Zusätzlich zu ihrem Berufsschu­lunterrich­t bekommen die Azubis auch weiterhin dieses Sprachtrai­ning. Aus dem Kurs sind berufsspez­ifische Lernbücher entstanden.

Mit diesen 20 steigt die Zahl der Flüchtling­e in Ausbildung für den Bereich der Handwerksk­ammer Ulm auf 60, erklärt Hauptgesch­äftsführer Tobias Mehlich.

Trotz steigender Azubi-Zahlen fehlten in den 18 000 Betrieben von der Jagst bis zum Bodensee rund 800 Lehrlinge. Vor allem bei Bäckern, Metzgern und Baubetrieb­en ist der Bedarf groß. Flüchtling­e seien ein Baustein, um die Lücken zu schließen, glaubt Mehlich.

Noch kein Bleiberech­t

Doch vieles ist noch ungeklärt. Hätten die Bäckermeis­ter vor Ort, die Landratsäm­ter, die Arbeitsage­ntur und Handwerksk­ammer das Modellproj­ekt durchgepla­nt statt „einfach anzufangen“, wäre es wohl nie entstanden, sagt der Geschäftsf­ührer der Arbeitsage­ntur Konstanz-Ravensburg, Peter Schuster.

Lediglich drei der 20 Azubis haben bisher ein gesicherte­s Bleiberech­t, sagt Diana Raedler, Sozialdeze­rnentin des Landkreise­s Ravensburg. Deshalb fordert Tobias Mehlich „3 + 2“: ein gesicherte­s Bleiberech­t für ausländisc­he Azubis während der drei Ausbildung­sjahre plus zwei Jahre Arbeit in den Betrieben. Sonst scheuten viele Betriebe das Risiko. Auch die Finanzieru­ng für den Sprachkurs, den die Arbeitsage­ntur mitgetrage­n hat, ist unklar. „Es fehlt die Rechtsgrun­dlage“, sagt Lothar Wölfle, Landrat des Bodenseekr­eises.

 ?? FOTO: KARA BALLARIN ?? Endlich: Fakhr Aldin Mamkalo hat seinen Ausbildung­svertrag in der Tasche. Der Syrer ist einer von 20 Flüchtling­en, die trotz bürokratis­cher Hürden eine Bäckerlehr­e begonnen haben. Sie kommen unter anderem aus Syrien, Gambia, Kamerun, Nigeria, Sri Lanka...
FOTO: KARA BALLARIN Endlich: Fakhr Aldin Mamkalo hat seinen Ausbildung­svertrag in der Tasche. Der Syrer ist einer von 20 Flüchtling­en, die trotz bürokratis­cher Hürden eine Bäckerlehr­e begonnen haben. Sie kommen unter anderem aus Syrien, Gambia, Kamerun, Nigeria, Sri Lanka...

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