Schwäbische Zeitung (Biberach)
Auf Bayern strahlt Fukushima bis heute aus
Selbst Naturschutzgebiete sind vor der Energiewende nicht sicher
gisch wertvollsten Gewässer im gesamten Alpenraum.
Alles in allem geht es um Strom für allenfalls 25 000 Einwohner. Und in allen Fällen um Naturschutzgebiete von europäischem Rang. Um den Fortbestand von Fischarten, die vom Aussterben bedroht sind, und um Kleinlebewesen, die sonstwo kaum noch eine Lebenschance haben. Fi- nanziert wird das befürchtete Sterben über massiv erhöhte Strompreise nach dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Und zumindest im Fall der Loisach womöglich auch aus Steuergeldern. Die Kraftwerksbetreiber rechnen mit einer Baukostensubvention in Millionenhöhe.
Die höchst umstrittenen Projekte waren bis in unser Jahrzehnt hinein schlicht undenkbar. Mehrere Anläufe von Energieversorgern scheiterten am Widerstand der Genehmigungsbehörden. Auch heute sind die Fischereifachberater der bayerischen Bezirksregierungen geschlossen gegen die Ausbaupläne – wie die unteren Naturschutzbehörden der betroffenen Landkreise. Im Fall der Loisach unterschrieb erst der neue Landrat von den Freien Wählern die Baugenehmigung, die sein CSU-Vorgänger über Jahre allenfalls mit spitzen Fingern anfasste.
Zu hohe Erwartungen
An der Allgäuer Ostrach kommentiert der Bund Naturschutz: „Wenn da ein Kraftwerk gebaut wird, dann können wir den Naturschutz auch gleich abschaffen.“In Berchtesgaden rechnet der Fischereiverein vor, dass die Ertragserwartungen viel zu optimistisch seien. Und der mit Naturzerstörung erkaufte Energiegewinn allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch verglichen mit dem Strom-Überangebot der Windkraftwerke im deutschen Norden, das nicht nach Bayern gelangen kann, so lange sich die Staatsregierung den neuen Stromtrassen in den Süden verweigert. Aber zumindest für die Loisach scheint die Schlacht geschlagen. Das Verwaltungsgericht München hat die Baugenehmigung jetzt abgesegnet. Allerdings mit einem hohen Risiko für die Kraftwerksbetreiber: Sie müssen nachbessern, wenn die Schäden an bedrohten Fischarten fünf Prozent übersteigen – gegebenenfalls sogar bis hin zum Rückbau der 3,5 Millionen teuren Anlage. Aber die Kläger, Bund Naturschutz und Landesfischereiverband, macht dieser Teilerfolg nicht glücklich: Sie fragten bis zuletzt, warum die neuartige Schachtkraftwerkstechnik ausgerechnet an einem so empfindlichen Gewässer erprobt werden muss.
Die Antwort bleibt aus
Die Antwort bleibt weiterhin aus: Schon hatte es die Drohung gegeben, das Kraftwerkspatent sonst außerhalb Bayerns zu testen. Und selbst der Schutz nach den europäischen FFH-Richtlinien, der ökologische Verschlechterung verbietet, erweist sich als stumpfes Schwert. Mehr als die zusätzlichen Auflagen gibt das Recht nicht her, befand das Münchner Verwaltungsgericht.
Der Wissenschaftler, der nun überwachen soll, ob die Kratwerksbauer ihre Versprechen für Fauna und Flora auch einhalten, hat an anderer Stelle schon mal drastisch auf die Risiken hingewiesen: „Dämme und Wehre wirken sich stärker auf das Ökosystem von Fließgewässern aus als bisher bekannt. Die Artenvielfalt geht im Staubereich oberhalb der Querbauten stark zurück: Bei Fischen liegt sie durchschnittlich um ein Viertel, bei Kleinlebewesen zum Teil sogar um die Hälfte niedriger“, fürchtet Professor Jürgen Geist, Ordinarius für Aquatische Systembiologie an der TU München.
Ein Satz, der an der Loisach besonders bedrohlich wirkt: Äschen als bedrohte Fischart pflanzen sich dort noch in ausreichender Zahl natürlich fort – und auch der ebenso aussterbende Huchen als größter heimischer Süßwasserfisch. Einst hat Bayerns ehemaliger Umweltminister Werner Schnappauf hier an der Loisach sein Artenhilfsprogramm für die Äsche vorgestellt – und gut eine Million Mark in die Renaturierung des Flußlaufs gesteckt, der nun im Namen der Energiewende zum Experimentierfeld wird.