Schwäbische Zeitung (Biberach)
Merkel setzt in der Flüchtlingsfrage auf Zeit
Die CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen, Guido Wolf und Julia Klöckner, wollen Tageskontingente nach österreichischem Vorbild
- Mag die Kanzlerin beim EU-Gipfel in Brüssel in der Flüchtlingsfrage auch kaum vorangekommen sein: In ihrem Umfeld gibt man sich trotz allem optimistisch. „Wir können in absehbarer Zeit mit der Türkei und Griechenland an der Außengrenze erfolgreich sein“, verspricht Angela Merkels Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU). „Deshalb sollten wir nicht kurz vor dem Ziel die Flinte ins Korn werfen.“
Bis zum nächsten Treffen der Staats- und Regierungschefs Anfang März will Merkel weiter für die von ihr präferierte europäische Lösung werben. Oder wie es ihr Flüchtlingskoordinator Altmaier formuliert: „Unsere Politik war richtig, aber sie brauchte Zeit: Sobald die Zahlen deutlich sinken, werden wir die meisten Kritiker überzeugen und zurückgewinnen.“
Auf den Prüfstand will Merkel nach dem EU-Gipfel Sozialleistungen für EU-Ausländer stellen. So solle geschaut werden, das Kindergeld für EU-Ausländer an die Lebenshaltungskosten in den Heimatländern
BERLIN
anzupassen, wenn die Kinder dort leben. „Auch Deutschland kann davon Gebrauch machen, kann ich mir vorstellen“, meinte Merkel.
Die Nervosität in der CDU wächst. Für Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) steht jetzt die Zukunft Europas auf dem Spiel. Gestern Abend wollte sich eine Gruppe junger CDU-Politiker treffen, um die Lage in der Flüchtlingskrise zu beraten – unter anderem mit den Bot- schaftern Polens und Ungarns sowie mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Dass sich hier „Rebellen“gegen Merkel wenden, weist Jens Spahn, Initiator des Treffens der Gruppe, die sich „CDU2017“nennt, entschieden zurück: „Bullshit.“
Die CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Guido Wolf und Julia Klöckner, pochen auf nationale Maßnahmen in der Flüchtlingskrise und setzen sich für Tageskontingente nach österreichischem Vorbild ein. „Ohne Asylgrund oder Schutzstatus solle niemand mehr in unser Land einreisen dürfen und auf die Kommunen verteilt werden“, heißt es im Papier von Wolf und Klöckner. „All diese Schritte können wir ohne Verzögerung national angehen, wenn möglich natürlich auch zusammen mit anderen europäischen Ländern, auch mit Österreich.“Eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen bedeute Herz und Härte, schwierige Entscheidungen und auch Leid: „Zu zögern, nicht zu handeln, wird letztlich jedoch noch mehr Schaden und Schmerz verursachen.“Der langjährige CDU-EuropaAbgeordnete Elmar Brok wies den Vorstoß zurück: „Ich halte den Ansatz für falsch, kurz vor Landtagswahlen in Panik zu verfallen.“
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erneuerte seinen Vorschlag, anerkannten Flüchtlingen vorübergehend den Wohnort vorzuschreiben und so Ghettobildung zu vermeiden. Die SPD signalisiert Zustimmung. „Wir haben schon in der Vergangenheit Wohnsitzauflagen unter anderem bei Spätaussiedlern gehabt, damit sich Neubürger nicht in wenigen Großstädten konzentrieren und die Integrationsaufgaben dadurch schwieriger werden“, erklärte SPD-Vizechef Thorsten SchäferGümbel.