Schwäbische Zeitung (Biberach)
Partei-interner Kampf tritt offen zutage
EU-Referendum in Großbritannien spaltet die Regierung von David Cameron
- Zum Auftakt des viermonatigen Abstimmungskampfes um Großbritanniens Zugehörigkeit zur EU setzen beide Seiten auf Angstmacherei. Sein Land sei mit den europäischen Verbündeten „sicherer, stärker und wohlhabender“, beteuerte Premierminister David Cameron am Sonntag in verschiedenen Interviews und warnte vor den Befürwortern des Austritts („Brexit“): Diese hätten keine Pläne für ihren „Sprung ins Ungewisse“.
Einer von Camerons Vorgängern als konservativer Parteichef warnte hingegen vor dem Verbleib im Brüsseler Klub. Weil die Kontrolle der Grenzen nicht gewährleistet sei, werde das Land „anfälliger“für terroristische Massenmorde wie in Paris im vergangenen November, behauptete Iain Duncan Smith.
Am Samstagvormittag herrschte am Regierungssitz in der Downing Street dem Vernehmen nach im Kabinett höfliche, beinahe entspannte Stimmung. Gemeinsam billigten die 29 Minister den seit Längerem gehandelten Referendumstermin 23. Juni. Mehr oder weniger höflich lobten auch die fünf EU-Feinde im Kabinett, angeführt von Sozialminister Duncan Smith, den Deal ihres Premierministers. Doch seien die in Brüssel erreichten Zugeständnisse nicht genug. Hingegen beschloss die Mehrheit: Großbritannien soll in der EU bleiben.
LONDON
Kein Verlass auf Umfragen
Damit tritt der seit Jahrzehnten schwelende Partei-interne Gegensatz ganz offen zutage. Unterstützt von den zahlreichen EU-Feinden in der konservativen Fraktion hatten zweitrangige Ressortchefs wie Nordirland-Ministerin Theresa Villiers und Kulturminister John Whittingdale den Regierungschef zu Jahresbeginn zu einem wichtigen Zugeständnis gezwungen: Entgegen normaler Gepflogenheit dürfen Kabinettsmitglieder öffentlich gegen die Linie der eigenen Regierung argumentieren. Nach dem Abstimmungskampf, so lautet die offizielle Parole der Downing Street, werde das jetzige Team zur gemeinsamen Arbeit zurückkehren.
Die Chancen der EU-Gegner stehen den Demoskopen zufolge nicht schlecht: Immer wieder findet sich in Umfragen eine Mehrheit für den Austritt. Allerdings ist das Ansehen der Meinungsforscher stark gesunken, seit sie bei der jüngsten Parlamentswahl teils stark danebenlagen. Auch fehlen vergleichbare Zahlen; zum letzten Mal stimmte das Land 1975 in einem Referendum mit Zwei- drittelmehrheit dem Verbleib in der damaligen EWG zu.
Cameron will am heutigen Montag im Unterhaus den Brüsseler Deal erläutern und das Gesetzgebungs- verfahren für die Volksabstimmung am 23. Juni einleiten. Die mit den EUVerbündeten ausgehandelten Bestimmungen spielten freilich schon am Wochenende in der öffentlichen Diskussion nur eine untergeordnete Rolle. Der Deal sei „ein Schritt in die richtige Richtung“, glaubt der einflussreiche Thinktank Open Europe – „weder transformativ noch trivial“.