Schwäbische Zeitung (Biberach)

Präsident Morales’ Polit-Lotterie in Bolivien

- Von Klaus Ehringfeld, Mexiko-Stadt

vo Morales, Boliviens beliebter Präsident, spielt eine Art Polit-Lotterie. Er lässt sein Volk über eine Verfassung­sänderung abstimmen, die ihm eine weitere Wiederwahl und in der Folge das Präsidente­namt bis 2025 sichern könnte. Ergebnisse werden erst im Laufe des Montags erwartet, doch sollte alles klappen, also Verfassung­sänderung und Wiederwahl, wäre der linke Nationalis­t am Ende 20 Jahre im Amt gewesen.

Dann aber solle auch wirklich Schluss sein, versprach er. Immerhin. Kein Staatsober­haupt hat Bolivien seit der Unabhängig­keit 1825 länger regiert als der frühere Koka-Bauer. Verliert Morales das Referendum, bleibt er zwar noch bis 2019 im Amt, aber er wäre ein Präsident auf Abruf.

Im größeren lateinamer­ikanischen Kontext heißt es schon lange: links ist out. Die fortschrit­tlichen, sozial orientiert­en Regierunge­n, die aber auch anfällig für Populismus und Korruption sind, verlieren dramatisch an Zustimmung. In Argentinie­n ist der Kirchneris­mus abgewählt worden, in Venezuela ist der Sturz von Präsident Nicolás Maduro und der Untergang des gesamten chavistisc­hen Projektes nur noch eine Frage der Zeit. Möglicherw­eise wird der dickköpfig­e Maduro schon im April vom Parlament gestürzt. Die Verfassung ließe das zu. Und in Brasilien ist die linke Arbeiterpr­äsidentin Dilma Rousseff bei der Bevölkerun­g beinahe schon eine persona non grata. Ihre Präsidents­chaft hängt am seidenen Faden.

Evo Morales und sein Andenstaat nahmen sich in dieser Gemengelag­e eigentlich bis zuletzt als Hort der Stabilität aus. Bei der Wahl 2014 hatte Morales noch 61 Prozent der Stimmen bekommen, auch weil ihm lange die autokratis­chen Anwandlung­en seiner Kollegen fern lagen. Sein großes Pfund, mit dem er auch jetzt wieder im Referendum­s-Wahlkampf wuchert, ist die Verbesseru­ng der sozialen Lage der Bolivianer während seiner Amtszeit. Tatschlich lesen sich die Zahlen beeindruck­end: Von den 10,5 Millionen Einwohnern des Landes haben unter Morales 2,6 Millionen den Aufstieg in die Mittelklas­se geschafft. Die extreme Armut (weni- ger als ein Dollar pro Tag) sank von 37 auf 19 Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen stieg unter Morales von 873 auf 3119 Dollar an. Das durchschni­ttliche Wirtschaft­swachstum belief sich in diesen Jahren auf fünf Prozent.

Möglich machte das der Geldsegen aus dem Verkauf der Rohstoffe, von denen Bolivien vor allem Gas und Mineralien im Überfluss hat. Mit den Einnahmen hat Morales auch die Infrastruk­tur in dem Land ausgebaut, das einmal das zweitärmst­e auf dem amerikanis­chen Kontinent war. Straßen und Flughäfen wurden erneuert oder neu gebaut. Sogar einen eigenen Satelliten hat Bolivien jetzt im All.

Aber wie alle Staaten der Region hat auch Bolivien diesen Boom der Rohstoffe nicht genutzt, die Gewinne in eine Diversifiz­ierung der Wirtschaft zu investiere­n, um genau die Abhängigke­it von Gas und Metallen zu reduzieren. Und nun, wo China schwächelt, die Weltmarktp­reise sinken, bricht auch das Wachstum ein. Aber die Menschen fordern weiter die Sozialleis­tungen, an die sie gewohnt sind. Da bleiben Spannungen nicht aus. Aber dennoch will Morales weitermach­en.

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