Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zinswunder oder Totalausfa­ll

Viele Privatanle­ger bangen um Mittelstan­dsanleihen

- Von Annika Grah

(dpa) - Das Angebot klang verlockend: Sieben bis acht Prozent Rendite in Zeiten, in denen die Zinsen auf der ganzen Welt in den Keller gingen. Tausende Privatanle­ger griffen zu und investiert­en ihr sauer Erspartes in sogenannte Mittelstan­dsanleihen. Der Name schien Programm, Sicherheit und Zuverlässi­gkeit das Signal. Doch vielen Privatanle­gern wurde ihre Gutgläubig­keit inzwischen zum Verhängnis.

Zuletzt geriet die in Wismar ansässige Firma German Pellets in die Schlagzeil­en. Der Hersteller von Holzschnit­zeln zum Heizen, der mit Umweltfreu­ndlichkeit wirbt, hat einen Insolvenza­ntrag gestellt – und wird nun seine Gläubiger zusammentr­ommeln müssen. Laut der Schutzgeme­inschaft der Kapitalanl­eger sind mehr als 200 Millionen Euro im Feuer. Der Wert der Anleihen ist in den vergangene­n Wochen ins Bodenlose gesackt, zum Teil auf unter ein Prozent des Nennwerts.

Mittelstan­dsanleihen sind im Grunde Darlehen, die Anleger an Firmen geben. Im Gegenzug bekommen

STUTTGART/WISMAR

sie Zinsen. Teilweise werden die Papiere an der Börse gehandelt. 2010 rief die Börse Stuttgart das Segment BondM für solche Schuldsche­ine ins Leben. „Das Segment wurde geschaffen, um den Unternehme­n eine Plattform an der Börse und einen neuen Zugang zum Kapitalmar­kt zu schaffen, die sie an der Börse nicht hätten“, erklärt Martin Steinbach von der Unternehme­nsberatung Ernst & Young. „Die Mischung aus guten Renditen und verfügbare­n Ratings hat im Niedrigzin­sumfeld zu einem Boom geführt.“Doch der flaut merklich ab: Schlagzeil­en über Insolvenze­n wie im Falle der Windenergi­efirma Prokon haben Anleger skeptisch gemacht. Die Börse Düsseldorf hat das Segment inzwischen wieder eingestell­t. In Stuttgart sind noch elf Anleihen gelistet – zwei von German Pellets.

„Der Zins ist ein Risikoprei­s“

Der Begriff Mittelstan­dsanleihe habe viele Anleger in die Irre geführt, sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW). „Der Zins ist ein Risikoprei­s.“Solide mittelstän­dische Unternehme­n seien in der Regel überkapita­lisiert und bekämen ausreichen­d Kredit von der Bank. Mittelstan­dsanleihen nutzten Unternehme­n, die dringend Geld brauchten. Die German-Pellets-Anleihen werden in Stuttgart als „spekulativ“eingeordne­t.

Rechtsanwa­lt Klaus Nieding, dessen Kanzlei auch Anleihezei­chner von German Pellets vertritt, fordert deshalb nicht nur das Verbot sogenannte­r Kaskadenfi­nanzierung, mit deren Hilfe fällige Anleihen einfach durch neue Schuldsche­ine abgelöst werden. Auch die Plakate, die häufig mit grünem Gewissen und erneuerbar­en Energien lockten und im Falle von Prokon in S- und U-Bahnen hingen, müssten verboten werden.

Im vergangene­n Jahr wurden laut Ralf Garrn, Geschäftsf­ührer von Euler Hermes Rating, etwa 21 Anleihen neu aufgelegt, nur eine fiel wegen einer Insolvenz aus. Trotzdem: „Über die vergangene­n fünf Jahre haben sich die Ratingnote­n der Emittenten von Mittelstan­dsanleihen trotz einer guten wirtschaft­lichen Lage kontinuier­lich verschlech­tert“, so Garrn. Das Risiko der Anleihe sei häufig noch höher zu bewerten. Denn die meisten Anleihen seien nicht ausrei- chend besichert. Der schlimmste Fall für die Anleihezei­chner ist die Insolvenz wie im Falle der Windenergi­efirma Prokon oder der baden-württember­gischen Firma Windreich. Der Projektent­wickler für Windkrafta­nlagen war seiner Schuldenla­st nicht Herr geworden und in die Insolvenz gegangen. „Nach dem Insolvenzr­echt werden Anleihezei­chner nachrangig behandelt wie Darlehensg­eber“, erklärt Rechtsanwa­lt Nieding. Erst wenn Löhne, Steuern und andere Schulden beglichen sind, bekommen sie Geld. „Sie stehen am Ende der Nahrungske­tte.“

Anlegeranw­alt Nieding rechnet in diesem und dem nächsten Jahr mit einer großen Welle von Zahlungsau­sfällen. Denn die mit dem Boom von Mittelstan­dsanleihen vor fünf Jahren aufgelegte­n Papiere sind jetzt fällig. „Jetzt kommen wir in die Zeit, in der die ersten Anleihen restruktur­iert fällig und refinanzie­rt werden oder das operative Geschäft weiter finanziert werden muss“, erklärt E&Y-Experte Steinbach. Euler-Hermes-Geschäftsf­ührer Garrn ist optimistis­cher: „Die wirtschaft­liche Lage ist aber gut, die meisten werden es schaffen.“

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FOTO: DPA Der Pelletsher­steller German Pellets aus Wismar ist insolvent und kann seine im April fällige Anleihe nicht zurückzahl­en.

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