Schwäbische Zeitung (Biberach)
Häusliche Pflege treibt viele Bürger um
Großes Interesse bei der Telefonaktion der „Schwäbischen Zeitung“– Pflegereform wirft bei den Betroffenen viele Fragen auf
(sz) - Zwei Stunden lang klingelten am vergangenen Mittwoch ununterbrochen die Telefone. Das Thema Pflege interessierte sehr viele Leser. An den Telefonen antworteten Beate Kempter von der Compass Private Pflegeberatung, Andrea Müller vom Pflegestützpunkt des Landkreises Ravensburg und Kay Kortstock, Teamleiter im CompetenceCenter Pflege der AOK Bodensee-Oberschwaben. Die wichtigsten Fragen und Antworten sind im Folgenden noch einmal zusammengefasst.
RAVENSBURG Ich habe eine Pflegestufe und bekomme Pflegegeld. Was muss ich tun, wenn es im nächsten Jahr Pflegegrade gibt?
Da die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade zum 1.1.2017 automatisch erfolgt, müssen sie vorher nichts unternehmen. Eine erneute Begutachtung ist dabei auch nicht notwendig, und Sie erhalten die bisherigen Geldleistungen der Pflegeversicherung weiter. Das Prinzip lautet: niemand wird mit den Pflegegraden schlechtergestellt.
Ich pflege meine Eltern, die beide pflegebedürftig sind. Zahlt die Pflegekasse der Eltern für mich Beiträge zur Rentenversicherung?
Ja. Die Pflegekasse beziehungsweise die private Pflegepflichtversicherung zahlt Beiträge zur Rentenversicherung unter folgenden Voraussetzungen: Sie pflegen mindestens 14 Stunden in der Woche, wenn Sie berufstätig sind, dürfen es maximal 30 Stunden pro Woche sein. Die Höhe der Rentenbeiträge hängt vom zeitlichen Aufwand der Pflege und von der Pflegestufe ab, die Vater und Mutter haben. Die Pflege darf nicht erwerbsmäßig erfolgen.
Wird ab 2017 auch ein Pflicht- Beratungseinsatz gefordert?
Daran wird sich auch nichts ändern. Diese Beratungen dienen der Absicherung einer optimalen Pflege.
Meine Schwester ist jetzt 76 Jahre alt, pflegebedürftig und alleinstehend. Sie kommt zu Hause nicht mehr klar und wird wohl in ein Heim umziehen. Muss sie dann ihr Vermögen für die Kosten aufbrau- chen? Und was ist, wenn irgendwann nichts mehr da ist? Muss ich dann bezahlen?
Um die Heimkosten zu bezahlen, werden alle finanziellen Quellen genutzt: die Leistungen aus der Pflegeversicherung, das Alterseinkommen Ihrer Schwester und vorhandenes Vermögen. Ist das Vermögen aufgebraucht, springt das Sozialamt mit der Hilfe zur Pflege ein. Sie als Schwester bleiben außen vor.
Meine 94-jährige Schwiegermutter zieht in ein Heim. Sie hat eine kleine Rente und nur wenig auf der hohen Kante. Muss mein Mann dann den Heimplatz bezahlen?
Wenn Rente, Vermögen und Leistun- gen der Pflegeversicherung nicht ausreichen, um die Heimkosten zu begleichen, kann Ihre Schwiegermutter Hilfe zur Pflege beim Sozialamt beantragen. Dafür müssen alle Einkommens- und Vermögensverhältnisse offengelegt werden. Außerdem prüft das Sozialamt, inwieweit Ihr Mann zur Finanzierung herangezogen wird. Allerdings gelten dabei diverse Freibeträge, und es werden beispielsweise die Ausbildungssituation der Kinder und die Finanzierung eines Hauses berücksichtigt.
Mein Mann hat Pflegestufe II und erhält Pflegegeld. Jetzt soll zweimal in der Woche ein Pflegedienst zu uns kommen. Bekommt er dann
das Pflegegeld noch voll weiter?
Wenn Ihr Mann neben dem Pflegegeld Sachleistungen erhält, handelt es sich um eine sogenannte KombiLeistung aus Pflegegeld und Sachleistung. Vereinbaren Sie beispielsweise fifty-fifty, würde das Pflegegeld um 50 Prozent gekürzt werden.
Bei meinem Mann wurde eine Demenz festgestellt. Man riet uns, einen Antrag auf Pflegestufe 0 zu stellen. Sollen wir das machen?
Ja, auf jeden Fall. Denn die Pflegestufe 0 ist für Menschen gedacht, die in ihrer Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt sind, aber nur einen ganz geringen Hilfebedarf in der sogenannten Grundpflege haben. Wenn bei Ihrem Mann eine Demenz diagnostiziert wurde, sollten Sie bei der Pflegekasse Ihres Mannes einen Antrag auf diese Leistung stellen. Das wären 123 Euro monatlich Pflegegeld, wenn Sie ihn beaufsichtigen. Wenn Sie einen Pflegedienst engagieren, sind das 231 Euro monatlich, die Sie mit dem Dienst abrechnen können.
Seit sechs Jahren pflege ich meinen Mann. Jetzt muss ich selbst ins Krankenhaus und anschließend wahrscheinlich zur Reha. Was wird aus meinem Mann? Ich habe niemanden, der für mich einspringen kann.
Sie können die Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen. Fragen Sie bei der Pflegekasse Ihres Mannes nach, welche Einrichtungen ihn aufnehmen könnten für die Zeit, in der sie nicht da sind. Für acht Wochen im Jahr steht Ihrem Mann diese Leistung zu. 1612 Euro im Jahr können dafür verrechnet werden. Sie können diesen Betrag durch die Inanspruchnahme der noch nicht genutzten Verhinderungspflege sogar auf 3224 Euro im Jahr verdoppeln.
Meine Schwiegermutter hat bereits die Pflegestufe I und erhält Pflegegeld. Inzwischen ist sie dement geworden. Sollten wir das ihrer Pflegekasse mitteilen?
Ja. Sie bekommt dann mehr Pflegegeld. Stellen Sie bei der Pflegekasse Ihrer Schwiegermutter einen entsprechenden Antrag bei deren Pflegekasse. Wenn eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz vorliegt, gibt es erhöhtes Pflegegeld in Stufe I aufgrund der Demenz. Bei Bewilligung erhöht sich dann das monatliche Pflegegeld von 244 Euro auf 316 Euro.
Unsere Tochter drängt uns, dass wir uns gegenseitig eine Generalvollmacht ausstellen. Ist das denn so wichtig?
Ihre Tochter hat recht. Denn entgegen der noch immer verbreiteten Meinung, Ehepartner seien automatisch bevollmächtigt, ist das nicht der Fall.
Mein Mann hat Pflegestufe I mit Demenz. Ich pflege und betreue ihn. Damit ich zum Schwimmen und zum Friseur gehen kann, würde meine Freundin stundenweise auf meinen Mann aufpassen. Ich möchte ihr das natürlich bezahlen. Gibt es dafür etwas von der Pflegekasse?
Dafür gibt es Verhinderungspflege. Wenn Sie stundenweise verhindert sind, kann ihre Freundin als Ersatz einspringen. Halten Sie fest, wann ihre Freundin einspringt und für wie lange sie einspringt, und lassen Sie sich von ihr den Erhalt des Geldes quittieren. Was Sie ihr an Geld geben, legen Sie gemeinsam fest. Als angemessen gelten zehn Euro pro Stunde. Ende des Monats reichen Sie diese Belege bei der Pflegekasse Ihres Mannes ein und bekommen das verauslagte Geld zurück. Insgesamt stehen für diese Verhinderungspflege 1612 Euro im Jahr zur Verfügung.
Ich bin 70 Jahre, habe Diabetes und ein Fuß wurde mir amputiert. Mein Antrag auf eine Pflegestufe wurde abgelehnt. Was kann ich machen?
Sie können innerhalb eines Monats gegen den Bescheid Widerspruch bei Ihrer Pflegekasse einlegen. Ratsam ist es, sich gemeinsam mit einem Pflegeberater das Gutachten, auf dem die Entscheidung beruht, anzusehen. Für die Pflegestufe I müssen Sie erheblichen Hilfebedarf im Haushalt und in der Grundpflege haben.
Kann ich für längere Zeit aufhören zu arbeiten, um meinen Vater zu pflegen?
Ja. Sie können in Absprache mit Ihrem Arbeitgeber sechs Monate ohne Entgelt der Arbeit fernbleiben. Auf Antrag bezahlt die Pflegekasse Ihres Vaters einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Arbeitslosenversicherung. Darauf haben Sie einen Gesetzesanspruch, wenn der Betrieb, in dem Sie arbeiten, mindestens 15 Mitarbeiter hat. Sie können diese Auszeit auf 24 Monate ausweiten. Die wöchentliche Arbeitszeit muss aber dann mindestens 15 Stunden betragen. Das muss Ihr Arbeitgeber mitmachen, wenn 25 Mitarbeiter im Unternehmen tätig sind. In dieser Zeit besteht Kündigungsschutz. Um den Verdienstausfall zu kompensieren, steht Ihnen ein zinsloses Darlehen des Bundesministeriums für Familie zur Verfügung.
Mein Vater hat Pflegestufe II und kombiniert Pflegegeld und Sachleistungen. Kann der Pflegedienst auch im Haushalt tätig werden? Ich arbeite voll und kann nur wenig helfen.
Sie können das mit dem Pflegedienst vereinbaren. Dann erhöhen sich die Kosten für die sogenannten Sachleistungen. Anteilig fällt das Pflegegeld dann geringer aus. Außerdem können Sie noch zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen verrechnen. Fragen Sie zunächst bei der Pflegekasse Ihres Vaters nach.
Ich habe noch keine Pflegestufe, möchte aber mein Bad umbauen lassen für den Fall, dass ich einmal pflegebedürftig werde. Bezahlt das die Pflegekasse?
Nein, den Zuschuss für sogenannte Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen können nur Menschen mit einer Pflegestufe bekommen. Örtlich gibt es Wohnberatungsstellen, die Ihnen alternative Fördermöglichkeiten nennen können. Die KfW hält beispielsweise zinsverbilligte Darlehen für altersgerechten Umbau einer Mietwohnung oder eines eigenen Hauses bereit.
Kann eigentlich jeder, der eine Pflegestufe hat, die zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen?
Ja. Wer eine Pflegestufe hat, hat Anspruch auf diese Entlastungsleistungen. Das sind 104 Euro monatlich – bei erhöhtem Bedarf 208 Euro –, die als Kosten erstattet werden. Dieses Geld kommt nicht auf Ihr Konto, sondern wird mit dem zugelassenen Anbieter verrechnet, der die Leistung erbringt. Dabei handelt es sich um eine zweckgebundene Erstattung.
Ich habe Pflegestufe II. Nach einem Sturz geht es mir viel schlechter. Darf ich noch einmal einen neuen Antrag stellen?
Ja, auf jeden Fall. Wenn sich der Hilfebedarf durch den Sturz erheblich verschlechtert hat, ist das angebracht. Sie sollten also einen Höherstufungsantrag bei Ihrer Pflegekasse stellen. Es erfolgt eine erneute Begutachtung.