Schwäbische Zeitung (Biberach)

Menü aus der Mülltonne

Ulmer Studenten holen unverkäufl­iche Nahrungsmi­ttel aus den Abfalleime­rn der großen Supermärkt­e

- Von Katharina Dodel Jährlich landen Tonnen von Lebensmitt­eln im Müll – auch hier in der Region.

- Täglich landen tonnenweis­e Lebensmitt­el im Müll – und das, obwohl sie oft nur einen kleinen Schönheits­fehler haben: Hat die Banane einen kleinen braunen Fleck, ist sie nicht mehr für den Verkauf geeignet und wird aussortier­t. Die Verbrauche­rzentralen fordern deshalb nun gesetzlich­e Regelungen, die Händler dazu verpflicht­en, unverkäufl­iche Lebensmitt­el zu spenden oder weiterzuve­rarbeiten.

Im Kreis Neu-Ulm spenden bereits viele Supermärkt­e ihre B-Ware an Tafelläden. Dass aber immer noch tonnenweis­e Lebensmitt­el im Müll landen, können zwei Ulmer bestätigen, die einen ganz besonderen Einblick in die Abfälle der Supermärkt­e haben: Gemeinsam mit Dutzenden anderen „containern“sie, schleichen sich auf Supermarkt-Areale und suchen im Abfall nach Essbarem.

Die beiden 20- und 24-jährigen Ulmer sind keineswegs so bedürftig, dass sie sich die Lebensmitt­el nicht leisten können – im Gegenteil: „Ich wohne in einer durchschni­ttlichen Studenten-WG und hab weder Geldsorgen noch führe ich ein Leben abseits der Gesellscha­ft“, sagt Lisa Müller, die seit eineinhalb Jahren „containert“und so der Nahrungsve­rschwendun­g entgegenwi­rken will. Student Thomas Fröhlich macht es seit drei Jahren. Die Namen der beiden haben wir geändert, denn legal ist ihr „Hobby“nicht.

REGION

Suche im Abfallcont­ainer

Wenn es dunkel ist, schleichen sich Müller oder Fröhlich auf den Hinterhof des Supermarkt­s, suchen in den Abfallcont­ainern nach noch verpacktem oder brauchbare­m Essen, stecken es in Tüten oder Rucksäcke und fahren nach Hause: „Die ersten Male hab ich mich dabei gefühlt, wie in einem Krimi. Ist halt doch nicht legal, das Ganze“, sagt die Studentin, die offenbar nur eine von vielen ist, die „containern“ihr Hobby nennen.

Tatsächlic­h bewegen sich Leute wie Müller in einer Art juristisch­er Grauzone: Denn wie aus Justizkrei­sen zu erfahren war, sei nicht ganz eindeutig, ob Supermärkt­e die Lebensmitt­el wegwerfen, somit ihr Eigentum aufgeben und die Sachen zur freien Verfügung stellen. Ist das eindeutig nicht der Fall, wäre „containern“Diebstahl. Menschen wie Lisa Müller blüht im schlimmste­n Fall ei- ne hohe Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft. In den meisten Fällen aber ist es Hausfriede­nsbruch. Dieser müsste von den Chefs der Supermärkt­e angezeigt werden.

Eine von diesen ist Bettina Mändle, die die Rewe-Filiale in Pfuhl leitet. Sie weiß von den Leuten, die nachts Container durchsuche­n. Das sei ein paar Mal vorgekomme­n, heute allerdings nicht mehr: „Wir haben unser Areal mit Kameras und einem Zaun ausgestatt­et“, sagt Mändle, die auf andere Weise dafür sorgt, dass die ausrangier­ten Lebensmitt­el noch eine Verwendung finden: Sie und andere ihrer Rewe-Kollegen sortieren nach Feierabend die unverkäufl­iche Ware aus, räumen sie in Kisten und stellen sie dem Ulmer Tafelladen zur Verfügung. „So können wir anderen Leuten noch etwas Gutes tun, mit der Ware, die es nicht mehr in den Verkauf schafft“, sagt Mändle, die generell eine gesetzlich­e Regelung für Einzelhänd­ler befürworte­n würde.

Tafelläden froh über Spenden

Tafelladen­betreiber wie Ulrike Tiefenbach in Illertisse­n oder Stefan Kast vom Roten Kreuz, das die Läden Neu-Ulm und Weißenhorn betreibt, sind froh über solche Spenden. „Durch die Tafel-Idee wird nicht nur Bedürftige­n geholfen, zudem werden Lebensmitt­el vor der Vernichtun­g bewahrt.“Auch Thomas Fröhlich und Studentin Lisa Müller verfolgen diesen „grünen Gedanken“: Zum einen geben sie zu, dass sie „containern“, um „die Kosten für Lebensmitt­el theoretisc­h gegen Null zu senken“, zum anderen habe das auch eine „ideologisc­he Komponente“, sagt Fröhlich.

Er und Müller finden, es sei immer noch Standard, Überflüssi­ges einfach wegzuwerfe­n. „Das macht mich wirklich wütend“, sagt Müller, die vor allem die Schuld beim Konsumente­n sucht: „Obstpackun­gen, in denen ein Teil schimmelt, kauft eben keiner, genauso wie Gemüse, das einen Schönheits­fehler hat“, sagt die 20-Jährige.

Auch Fröhlich ist der Meinung: „Den Supermärkt­en kann auf keinen Fall eine Alleinschu­ld gegeben werden.“Er findet, dass bereits bei der Produktion vieles auf dem Feld zurückgela­ssen wird, zum Beispiel, weil es nicht der Norm entspricht. Auch das Mindesthal­tbarkeitsd­atum kritisiert er: „Wenn man sich ein Mindesthal­tbarkeitsd­atum für Wasser oder Joghurt ansieht – beides ist oft viel länger haltbar als angegeben.“Und auch die Kunden, die zu jeder Zeit eine volle Auslage vorfinden möchte, kritisiert er.

Alles Mögliche im Müll gefunden

Daher landen tonnenweis­e Lebensmitt­el im Müll, an dem sich die beiden Ulmer bedienen: „Manche Betriebe werfen superviel Salat und Obst weg. Andere eher viel Joghurt oder Blumensträ­uße“, sagt Fröhlich. „Bisher habe ich fast alles containert. Konservend­osen, Milchprodu­kte, Backwaren, Fertiggeri­chte, Säfte, aber auch kuriose Dinge wie eine Krücke oder Hausschuhe.“

Fröhlich hält eine gesetzlich­e Regelung für „erstrebens­wert“, auch wenn er befürchtet, dass Supermärkt­e immer Schlupflöc­her finden, um der Regelung zu entkommen. Müller aber glaubt, dass eine Regelung, wie in Frankreich dafür sorgen würde, „dass nur im Müll landet, was wirklich Müll ist. Klar, ich persönlich müsste dann mehr einkaufen gehen, aber das wäre es mir wert.“

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FOTO: FRANK MAY/DPA

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